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WIEN / Staatsoper: MACBETH

04.10.2015 | KRITIKEN, Oper

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Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper:
MACBETH von Giuseppe Verdi
Premiere: 4. Oktober 2015

Denkt man an den verantwortungslosen Umgang mit „Macbeth“ in der vorangegangenen Inszenierung der Wiener Staatsoper zurück, so besitzt man nach dieser Premiere nun eine Aufführung, die Hand und Fuß hat, die die Geschichte erzählt und sich vorzüglich fürs Repertoire eigenen wird. Das Resümee also zuerst: Es war ein großer und – wann hatte man das zuletzt? – absolut unwidersprochener Erfolg.

Regisseur Christian Räth hat keine extreme Lösung gesucht, die auch sehr erfolgreich sein kann – man denke an geglückte Versuche, etwa als Graham Vick an der Scala das Werk für Muti in einer abstrakten Welt der Schockfarben präsentierte, Macbeth und Lady im Partnerlook, herrlicher Theaterdonner; oder als Kusej in München seine aufs Exzentrische gepolte Vorstellungswelt selten besser eingesetzt hat als im surreal-krassen Angst-Ambiente, das er – samt Lobmeyr-Luster – für Macbeth beschwor. So aufregend (in welchem Sinn auch immer) ist der Wiener Abend nicht.

Wenn Christian Räth wieder einmal auf eine Welt moderner Diktatoren in Uniform zurückgreift, ist das zwar eine nicht gerade neue Lösung, passt aber zweifellos gerade zu dieser Geschichte. Die Ausstattung von Gary McCann bietet vor allem Betonwände – man ist in einer geschlossenen Burg, die immer wieder an den Führerbunker gemahnt, die Natur hat hier keine Funktion, selbst der Wald von Birnam wird am Ende nur mit Strichen an die Wand gezeichnet (und von Videoeffekten dann verstärkt). Düster ist’s, aber die Sache will’s.

Interessant und souverän ist vor allem der Umgang mit den Hexen (Pausenkommentar: „Arbeitshexen mit Umbauverpflichtung“), die die üblichen dunklen Geschöpfe mit langen grauen Haaren sind, sich aber rhythmisch interessant in Dreiergruppen bewegen und sozusagen stets präsent bleiben: Sie sind es, die gelegentlich (scheinbar) die Umbauten bewerkstelligen, sie suchen in der zweiten Szene, in der Macbeth ihnen begegnet und die eigentlich im Wald spielen sollte, diesen in seinem Schlafzimmer heim (und kriechen teils wirklich beängstigend über sein Bett), und wenn dann am Ende der neue Herrscher in die Burg einzieht, folgen ihm die Hexen als Symbol für das Verhängnis, das Macht mit sich bringt, nach. So weit, so gut.

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Eigentümlich auch, dass die Lady offenbar zu den Hexen gehört – sie löst sich ganz zu Beginn aus den Armen des schlafenden Macbeth, und am Ende scheinen die Hexen sie in ihrem Wahnsinnsmonolog zu verdoppeln, zu verdreifachen… und denselben Mantel tragen sie auch. Das ist eindrucksvoll, warum dann allerdings die Treppengeländer wie Neonleuchten strahlen müssen, das zählt zu den wenigen Dingen, die Räth in seiner so klar gebauten Inszenierung nicht vermitteln kann, die durch manche exzellente Logistik besticht – etwa, wenn in der Bankettszene die Menschen vor dem wirren Macbeth zurückweichen und sich deutlich hinter Macduff formieren…

Was innerhalb der grauen Mauern an „Atmosphärischem“ zu gewinnen ist, machen ein paar Licht- und Videoeffekte (Mark McCullough, Licht, und Nina Dunn, Video), ohne ärgerlich zu überborden, vor allem die Schatten sind dramaturgisch überzeugend eingesetzt. Dass eine Grau-in-Grau-Welt, auch wenn sie ihre Elemente intelligent stets neu formiert, nach und nach etwas öde wirkt – dagegen ist wohl nichts zu machen. Bei den Diktatoren geht es zwar normalerweise bunter zu, aber sei’s drum: Es ist als Idee richtig gemacht und gedacht. Jedenfalls lässt der Regisseur die Rituale, die mit der Macht zwanghaft Hand in Hand gehen, deutlich ausspielen.

Spartanisch bisweilen – es gibt kein Bankett (es gibt übrigens auch kein Ballett, aber das geht in diesem Werk wirklich keinem ab), und der tote Banquo erscheint nicht als sichtbarer Geist, sondern nur als Schatten-Silhouette an der Wand, doch das reicht, denn so weit meint man sich in Macbeths Phantasie hineinversetzen zu können. Dass der Bösewicht am Ende nicht im Kampf fällt, sondern gleichsam vom „Volk“ umringt und von diesem getötet wird, ist eine plausible Möglichkeit – das gleich an die aktuelle Flüchtlingsfrage anzuhängen, wirkt ein wenig opportunistisch, denn dass die mörderische Haupt- und Staatsaktion auch hier und heute in Diktaturen stattfinden kann, glaubt man auch ohne die jüngsten Zeitungsberichte.

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George Petean sang seinen ersten Macbeth und hat die Rolle in unglaublich kurzer Zeit erarbeitet. Den allergrößten Teil des Abends ist er (als Macbeth) verwirrt, geängstigt und überfordert von der Situation: vor allem ein herumirrender Schwächling, der auch stimmlich nicht wirklich auftrumpfte. Die Ausstrahlung des überlebensgroßen Bösewichts, die Milnes, Bruson oder Nucci mühelos mitbrachten, hat er nicht. Erst eine wunderschön gesungene letzte Arie schob ihn dann unübersehbar und unüberhörbar ins Zentrum des Geschehens.

Tatiana Serjan wuchs im Lauf des Abends zu „ihrer“ Lady Macbeth empor (wobei es zu Beginn auch schwer ist, ihre archaisch-destruktiven Gefühle in einem eleganten Schneiderkostüm über die Rampe zu bringen – im blutroten Abendkleid, auch im Nachtgewand mit Soldatenmantel gelingt dergleichen logischerweise besser). Dass die Höhen oft „verschleiert“ kamen, manches gelegentlich fast misstönend – ja, da kann man sich auf Verdi berufen. Ihre Intensität machte sie jedenfalls zum Publikumsliebling des Abends.

Ferruccio Furlanetto in Uniform ist ein Banquo von Format, wenn seine Stimme an diesem Abend auch nicht immer gleichmäßig auf der Höhe ihrer Schönheit und Fülle war.

Die Rolle des Macduff ist, wie vieles an dieser Oper, eine dramaturgische Unmöglichkeit – dass die Hexen Banquo voraussagen, er sei der Vater von künftigen Königen, dass aber dann doch der Sohn des ermordeten Königs Duncan nächster König wird, das steht schon bei Shakespeare. Aber jeder Librettist hätte dann, wo ohnedies so viel gestrichen wurde, diesen Malcolm mit der Arie im vierten Akt bedenken können, für die „der“ Tenor des Werks bis zum Ende warten muss (sonst hat er nur zwei kurze, vergessenswerte Auftritte davor). Und dann bekommt dieser Feldherr Macduff nicht viel mehr als diese eine Möglichkeit und die Andeutung eines stretta-artigen Duetts… Da müsste „Oh figli miei“ schon atemberaubend schön gesungen werden (was vorkommen kann), damit sich das lohnt. Jorge de Leon tat es ehrenhaft, mit gekonnten Höhen, aber gewöhnungsbedürftigem Timbre. Jinxu Xiahou als Malcolm (der künftige König) sang kraftvoll mit ihm um die Wette, wo er durfte. Alle übrigen dunklen Männerrollen des Stücks waren mit dem sonoren Baß von Jongmin Park besetzt, von dem man gerne mehr gehört hätte. Donna Ellen gab die Kammerfrau

Alain Altinoglu packte das Werk in dramatischen Passagen kräftig an, versäumte aber, die langsamen Teile mit der nötigen inneren Spannung zu versehen. Musikalisch hing der Abend immer wieder durch, und wenn in der Szene, wo Macbeth zum Mord schreitet und vom Mord zurückkommt, beide Herren an meiner Seite, der rechts und der links, geradezu selig schliefen, stimmt etwas nicht. Der geniale Gänsehaut-Charakter der Musik vermittelte sich bestenfalls stellenweise.

Aber für das Publikum gab es keine Einwände, es klatschte schon während der Vorstellung kräftig und jubelte am Ende ohne Einschränkung. Und die Inszenierung wird ihren Wert als idealer Rahmen für das Repertoire erweisen, wenn eines Tages (hoffentlich) Anna Netrebko und andere ganz große Kaliber hier durchmarschieren und dem intelligenten Grau der Szenerie durch den Glanz ihrer Stimmen große Opernfarbe geben.

Renate Wagner

 

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