Foto: Wiener Staatsoper / Pöhn
WIEN / Staatsoper:
MACBETH von Giuseppe Verdi
8. Dezember 2016
11. Aufführung in dieser Inszenierung
Die gute, sehr gute Nachricht für die Wiener Simon-Keenlyside-Fans (in New York und Mailand weiß man es schon): Die Stimme ist wieder da. Nicht weniger als früher, nicht mehr als früher, sie klingt auch wie immer. Und da ist die Kraft, eine ziemlich lange Verdi-Rolle ohne Ermüdungserscheinungen durchzuhalten. Und die bemerkenswerte Technik, auch ohne natürlich strömende Stimmfülle die Verdi’schen Kantilenen zu erfüllen.
Die andere Nachricht ist die bekannte: Es ist keine Verdi-Stimme, war es nie, wird es nie sein. Jeder weiß es, mit einiger Sicherheit auch Simon Keenlyside selbst, der im Laufe seiner Karriere beschlossen hat, sich darüber hinweg zu setzen. Dabei hat er doch ein bemerkenswertes Repertoire – Mozart (der neurotischste Graf, der exzentrischste Don Giovanni), den Eugen Onegin (als darstellerische Leistung besonders bemerkenswert in der „schwulen“ Münchner Inszenierung) und die halbe oder ganze Moderne von Wozzeck bis zum Prospero.
Aber Keenlyside will Verdi singen, wobei ihm der Posa wirklich gut gelungen ist, der Germont ein interessant ungehaltener Herr, seinen Ford haben wir in Wien nie gesehen, Rigoletto (auch schon vor der missglückten Premiere) und Macbeth sehr wohl. Der Maskenball-René, für München und Wien angesetzt und an beiden Häusern abgesagt, wird es wohl nicht mehr werden.
Als Macbeth kehrte Keenlyside, der 2009 die Premiere (und alle Reprisen) der nur sechsmal gespielten, verheerenden Nemirova-Inszenierung gesungen hat, nach zweijähriger Pause nun an die Staatsoper zurück, in der Inszenierung von Christian Räth, die sich schnell als brauchbares Repertoire erwiesen hat. Optisch zwar langweilig in ihrem Grau in Grau, wird die Tragödie im Military-Look logisch und überzeugend erzählt und gewinnt durch die geschickte Führung der Hexen durchaus die nötige irrationale Dimension.
Und Simon Keenlyside zeigt, wie ein ordentlicher Opernabend zu einem spannenden werden kann, wenn sehr brave Sänger durch einen Sängerdarsteller abgelöst werden, der Macbeth zu einer durch und durch aufregenden Studie macht. Verunsichert von Anfang an (durch die Prophezeiung der Hexen), verliert er, als er nach dem Mord mit den blutigen Händen zurückkommt, den Boden unter den Füßen – allein zuzusehen, wie diese Hände, die er immer wieder mit einem Taschentuch abwischt, für ihn zu einer steten Erinnerung an seine Schuld werden, ist ein bemerkenswertes darstellerisches Detail. Macbeth am Rande des Nervenzusammenbruchs, kein obligatorisches Erschrecken beim Gastmahl, wenn er Banquo sieht (in dieser Inszenierung erscheint er zwar nicht, aber kein Zweifel, was sich vor Macbeths innerem Auge abspielt), das ist nicht die übliche Opern-, die Sängergeste, das ist schauspielerische Detailarbeit, mit der er auch auf eine Theaterbühne gehen könnte. Dieser Macbeth ist individuell ausgefeilt und durchdacht von der ersten bis zur letzten Minute, und das ist es, was Keenlyside (letztendlich in allen seinen Rollen) auf unseren Opernbühnen so bemerkenswert macht.
Dass Opernbesucher, die zumindest beim Titelhelden auf Verdi’schen Schöngesang hoffen (bei der Lady darf man ihn ja gar nicht verlangen), mit Keenlysides „Charakter“-Stimme nicht glücklich sein werden, müssen sie von Anfang an wissen. Wobei auch Macduff, dessen große Arie ja Verdis Zugeständnis an Tenor-Belcanto in dieser so herrlich düsteren Oper ist, hier keine Wünsche erfüllt: Die Stimme von Jorge de Leon ist viel zu hart und ungepflegt, um das nötige tragische Schmalz zu liefern. Rollendebutant Bror Magnus Tødenes legte als Malcolm gewaltig los, dennoch würde man noch nicht wagen, seine Stimme zu beurteilen.
Dafür kann man vom besten Sänger des Abends nur das Beste sagen: Jongmin Park, der erstmals den Banquo übernommen hat, verfügt über eine der schönsten Bassstimmen überhaupt (in der Staatsoper sowieso), dunkel leuchtend, mit der verschwenderischen Kraft der Jugend, aber sehr gut geführt. Es ist Zeit, dass der 30jährige konsequent zu den größeren Rollen aufschließt.
An der ersten Lady der Martina Serafin wäre man sehr interessiert gewesen, aber wenn schon umbesetzt werden muss, ist die Premierenbesetzung wohl die ideale „Einspringerin“. Tatiana Serjan wirft sich der Lady Macbeth in die Arme, als gäbe es kein Morgen, als bräuchte sie ihre Stimme nicht noch ein paar Jahre, was dann auch bei so viel rücksichtsloser Attacke dem Besucher ziemlich ins Ohr schrillt. Aber ihre Intensität ist gerade an der Seite des neben ihr schmal und schwächlich wirkenden Keenlyside auch dramaturgisch so überzeugend, als sei es geplant gewesen…
Evelino Pidò ist ein Verdi-Kapellmeister, der mit Kraft und Knalleffekten, aber auch mit Drive und Spannung Repertoire so über die Runden bringt, wie man es sich nur wünschen kann. Da hängt nichts durch, da gibt es keinen müden Moment, wozu diesmal auch der Chor (die Damen meist als Hexen, die Männer meist als Bösewichte) besonders erfolgreich beiträgt.
Renate Wagner