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WIEN / Staatsoper: MACBETH

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Alle Fotos: Wiener  Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
MACBETH von Giuseppe Verdi
Premiere: 10. Juni 2021

Also, da müssen doch noch irgendwo ein paar schwarze Scheinwerfer von Herbert von Karajan herumgelegen sein, die Barrie Kosky geschnappt und reichlich für seine Inszenierung von Verdis „Macbeth“ eingesetzt hat. Schwärzer geht’s kaum, als man es hier auf der Bühne erlebt. Mit all den bekannten Nachteilen – die Augen ermüden, das Interesse erschlafft…

Aber Karajans Scheinwerfer können es nicht gewesen sein, denn Barrie Kosky hat die Inszenierung ja schon vor fünf Jahren in Zürich geschaffen und (man kann es nachlesen), ist von der Presse fast einhellig gefeiert worden. Dafür, dass er die äußere Handlung der Geschichte einfach weggeworfen hat – kein Schloß, keine Wälder, kein Bankett (und auch keine zeitgemäßen Äquivalente). Ein leeres Einheitsbühnenbild, das mit zwei Sesseln auskommt, wo an den Wänden sich je zwei Lichtbatterien im Hintergrund treffen, so dass sie den Spiel-Raum zum schmalen Dreieck reduzieren. (Bühne und Licht Klaus Grünberg). Rätselhaft allerdings hängt ein ovales Ding vom Schnürboden herab, man weiß nicht, soll es ein Sarg sein, ein Ufo, was immer, am Ende regnen Rabenfedern daraus herab. Und man weiß noch immer nicht, was es bedeuten soll.

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Es scheint, als habe Kosky an das Opernhaus nur drei Bedingungen gestellt. Zwei Dutzend Nackerte, ein paar Raben und, billig zu haben, ein paar bunte Papierschlangen, wie man sie im Fasching herumwirft. Das einzig farbige Element des Abends, kurz genug auftauchend. Der Rest ist Finsternis – in jeder Hinsicht. Man fragt sich, ob die letzte Inszenierung von Christian Räth, die ja auch erst von 2015 stammte, mit ihren grauen Mauern, ihrer gnadenlosen militärischen Welt und einem Ceausescu-artigen Ehepaar nicht eine sinnvollere Geschichte erzählt hat.

Immerhin beginnt Kosky dramatisch und möchte es wohl gern provokant: Die Hexen sind, wie erwähnt, nackt, zu ihren echten Busen bekam manche Dame noch Genitalien umgeschnallt, und sie rücken Macbeth, der anfangs wie tot am Boden liegt, während Krähen auf ihm hocken, ganz schön an den Leib. Sie sind übrigens (bis auf das Volk rund um Macduff) sozusagen alles, spielen Mörder, Tischgesellschaft, und was sie nicht spielen, findet nicht statt (die Haupt- und Staatsaktion, die noch von Shakespeare her kommt, Einzug des Königs etwa, alles eliminiert).

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Natürlich gehören die nackten Herrschaften nicht zum Chor (bei denen stehen solche Kleinigkeiten wie nackt auf der Bühne zu singen nicht im Vertrag), meist erklingt er von hinten, am Ende, wenn der Chor laut Verdi einen Chor hat, sind die Herrschaften dann sichtbar. Und klingen, wie in Wien so gut wie immer, prächtig.

Ein Regisseur, der aus welchen Gründen immer ein Konzept erstellt, in dem nur das Ehepaar im Zentrum steht, die anderen einzig (und, wie es scheint, fast ungern) vorkommen, wenn es gar nicht zu vermeiden ist, kann sich dann natürlich konzeptionell so mancher Idee rühmen – vielleicht ist das Ganze nicht einmal real? Ein Traumspiel des Bösen? Oder doch der Psychothriller zweier Persönlichkeiten, die einander ins Unglück hetzen und die so auf einander bezogen sind, dass es gar keine Umwelt gibt? Macbeth, von besagten Raben bedeckt (die Lady hat später auch einen in ihrer Wahnsinnszene), ist von Anfang an nicht ein Verwirrter, sondern ein bereits totaler Hysteriker , muss grimassierend und überagierend den Getriebenen spielen, den eine ziemlich eiskalte Lady total auf die Blutspur bringt. Dann dreht es sich allerdings um, er findet Gefallen an der Macht und am Töten, da wird sie unsicher. Eine Bankettszene ohne Bankett, nur die beiden und die Nackten – da stimmt dann vieles nicht, aber wenn alles nicht echt sein soll?

Ganz am Ende besinnt sich der Regisseur darauf, dass eine heutige Inszenierung auch ihre Rätsel haben muss – nein, Macbeth ist nicht tot, man hat ihm den Mantel, der ihn den ganzen Abend kleidete (gar kein Kostümaufwand: Klaus Bruns), vom Leib gerissen, nun sitzt er im weißen T-Shirt da, plaudert fröhlich mit den Raben und die Federn regnen auf ihn herab. Es wird schon etwas bedeuten sollen.

Wahrscheinlich würde man sich in dieser Dunkelkammer weidlich gelangweilt haben, hätte da nicht ein Interpreten-Trio Prächtiges geleistet. Voran Philippe Jordan, der in seiner ersten Saison wirklich zu zeigen suchte, dass er als Dirigent „alles“ kann – und damit reüssierte. Von der Züricher Inszenierung wird berichtet, dass Teodor Currentzis einen schroffen, gewissermaßen alternativen Verdi dirigiert haben soll, der dunklen Geschichte angemessen. Glücklicherweise ließ sich Jordan nicht abhalten, die Musik in ihrer ganzen Pracht und Reichhaltigkeit aufrauschen zu lassen, mit der vollen Farbpalette von Dramatik bis Fahlheit, Bedrohlichkeit bis Schmalz (ja auch das, zumindest beim großen Chor am Ende). Und es ist anzunehmen, dass auch er mit den Hauptdarstellern ihre reich differenzierten stimmlichen Klangfarben erarbeitet hat, die dann in die Charakteristik der Figuren aufgehen.

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Luca Salsi ist ein mächtiger Mann, der für den Neurotiker fast zu normal wirkt, aber bewegt spielte und vor allem mit schier unerschöpflichen Kräften sang, bis zum bitteren Ende. Und Anna Netrebko ist jetzt die Lady aller Ladies, mit ihrer aufregenden Tiefe und der immer strahlenden Höhe, mit ihrer Ausdauer und gloriosen Technik. Als „strenge Herrin“ verkleidet, vorwiegend statuarisch wirkend, hat sie schon interessantere Versionen dieser Frau zu spielen gehabt, aber sie hat im Lauf der Jahre ein echtes darstellerisches Talent entwickelt (obwohl man gelegentlich immer noch zu merken scheint: Sie tut, was man ihr sagt). Eine wirklich schreckenerregede Bösewichtin ist sie nicht, und auf Verdis Forderung, die Lady solle nicht „schön“ klingen, lässt sie sich wahrlich nicht ein. Sie klingt schön, und wenn es hie und da nicht ganz perfekt ist, soll man nur zuhören, was der Komponist da von der Sängerin verlangt.

Freddie De Tommaso sang die Arie des Macduff schön und erntete verdienten Beifall, Carlos Osuna als Malcolm hielt mit (das ganze Stück hindurch so gut wie keine Tenöre und am Ende dann zwei), und nur Roberto Tagliavini als Banquo fiel aus. Nicht daran denken, welch prächtige Bässe man in der kleinen Rolle schon gehört hat.

Am Ende viel Beifall, wenn auch nicht wirklich enthusiastisch (das klingt anders). Barrie Kosky erschien nicht. „Feig“, sagte mein Kollege von den Oberösterreichischen Nachrichten. Finde ich auch. Oder war er vielleicht gar nicht da? Man verzeichnet „Szenische Einstudierung Sylvie Döring“. Waren dann die Fotos für Instagram, Barrie und Anna, scheinbar an der Arbeit, nur Fake?

Renate Wagner

 

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