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WIEN/ Staatsoper: LUCIA DI LAMMERMOOR

21.06.2012 | KRITIKEN, Oper

WIENER STAATSOPER: „LUCIA DI LAMMERMOOR“ am 20.6.2012

Donizettis beliebteste opera seria bewies in der altbewährten Inszenierung von Boleslaw , Barlog, diesmal wieder samt den beiden oft gestrichenen Szenen (Enrico-Raimondo und Turmszene Edgardo-Enrico) ihre Lebensfähigkeit.

Nach der Absage von Diana Damrau hätte sollen die Russin Hibla Gerzmava in der Titelrolle debutieren. Daraus wurde aber schließlich die Amerikanerin Brenda Rae (Ensemblemitglied der Frankfurter Oper). Da die junge Sängerin in Anbetracht der Umstände wohl kaum Orchesterproben gehabt haben kann, begann sie verständlicherweise im 1. Akt recht vorsichtig, sich auf die klangliche Umgebung einzuhören. Sorgfältig sang und artikulierte sie Phrase für Phrase ihrer ersten Arie. Der noch recht zarte, helle Sopran öffnete sich in den treffsicher bewältigten Spitzenregionen. An der Seite ihres souveränen Tenorpartners gewann auch ihre Stimme an Kraft. Spätestens in der Szene mit Bruder Enrico erkannte man auch das Spieltalent der anmutigen jungen Dame, das sich im Hochzeitsbild und in der Wahnsinnsszene weiter entfaltete. Das im Machtkampf entmündigte fragile Geschöpf glaubte man ihr. Das Duett mit der Flöte gelang besonders schön und bewies, dass ihr die zarten Töne vorerst noch besser liegen als die große Dramatik. Da geriet sie am Ende schon an die Grenzen ihrer Stimmkraft. Dennoch war der Jubel für die tapfere Einspringerin berechtigt.

Die tenorale Pracht, mit der Piotr Beczala uns beglückte, kann als Lehrbeispiel gelten, wie ein kluger Sänger seine Gaben richtig einsetzen und sich langsam in höchste Höhen der Gesangskunst emporsingen kann. Dort ist der Künstler nun angelangt. Ach Gott, wie ist das schön, um keinen Ton zittern zu müssen, und dazu leidenschaftlichen, rückhaltslose Hingabe an die Rolle erleben zu dürfen! Diese herrlich volle, strahlkräftige Tenorstimme mit dem nunmehr unverwechselbaren Edeltimbre betört vom ersten Ton an – nicht nur die Bühnenpartnerin. Strotzend vor männlicher Energie und dennoch voll lyrischem Zauber, singt sich dieser Edgardo von Ravenswood in sein Unglück hinein. Beczala gehört zu den raren Rollenvertretern, denen es auch gelingt, das Sextett total an sich zu reißen, wie der Komponist es ja vorgesehen hat. (Bekanntlich zerfällt es, wenn der Tenor nicht souverän die musikalische und szenische Führung übernimmt). Die große Arie „Tombe degli avi miei“ wurde mit meisterhafter Stimmführung bis in die Exxtremhöhen zu einem weiteren Höhepunkt des Abends und für die „bell’alma innamorata“ hatte er auch noch die Herzenstöne parat, die diesen Abgesang eines Liebenden so ergreifend machen. Mit diesem schottischen Edelmann wünscht man sich Wiederbegegnungen sonder Zahl!

In Marco Caria als Enrico Ashton hatte der Tenor auch einen potenten baritonalen Gegenspieler. Carias dunkel timbrierte kernige Stimme passt zu dem rachsüchtigen Kämpfer für die Familienehre weit besser als so mancher perfekte Lyriker. Das Sturmduett der beiden kraftstrotzenden Kontrahenten, die einander den Tod schwören, war reinste Opernwonne!

Warum Sorin Coliban justament seine beiden Kollegen an Stimmkraft übertrumpfen wollte? Sein robuster Bass, ideal fürs russischen Fach, konnte bei diesem Gastspiel im Belcanto-Bereich keinesfalls begeistern. Der alte Raimondo, der mit dem leidenden Liebespaar mitfühlende Friedensstifter, sollte seine Autorität nicht unbedingt durch Dauerlautstärke beweisen, mit der er sogar das Orchester niedersang. Wohltuend daneben der kultivierte Tenor von Peter Jelosits als Normanno, gut Juliett Mars als die Titelheldin umsorgende Alisa. Offenbar schon sein Schicksal vorausahnend, mühte sich Ho-yoon Chung als Kurzzeitbräutigam Lord Arturo Buklaw um die in unangenehmer Höhenlage komponierte Kurzrolle.

Reinster Balsam der Gesang des Wiener Staatsopernchores, diesmal betreut von Martin Schebesta. Das war Edel-Belcanto mit allen Finessen dieser Branche, schwebend leicht dahingleitend auf den Donizettischen Klangwellen, mit Anteilnahme singend und trotzdem markante Akzente setzend. Dabei wurde es den schottischen Edelleuten vom Maestro gar nicht leicht gemacht. Guillermo Garcia Calvo bemühte sich zwar um ein zügiges Dirigat, aber einen durchgehenden Spannungsbogen aufzubauen, gelang ihm ebenso wenig, wie die Lautstärke des Orchesters zu dosieren. Sämtliche Fortestellen waren zu knallig, wie sie vom Meister aus Bergamo sicher nicht komponiert wurden. Dass der melodische Faden wiederholt abriss, ist nicht nur der Rücksichtnahme auf die Titelrollensängerin zuzuschreiben, sondern vor allem der Tatsache, dass jede Pause zu einem Loch wurde, aus dem sich die Sänger nur schwer wieder herausretten konnten. Tenor und Bariton konnten dies aus eigener Kraft, die übrigen Solisten sahen sich mit Lücken konfrontiert, die ihre vokalen Ergüsse unterbrachen.

Hoffentlich konsolidiert sich das bei den Reprisen.

Sieglinde Pfabigan

 

 

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