Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Staatsoper LUCIA DI LAMMERMOOR von Gaetano Donizetti

Keine Augenweide, jedoch beklemmend inszeniert

13.02.2019 | KRITIKEN, Oper

Die Hochzeitsgesellschaft vor den Resten des Schneehaufens, erheblich bewegungsbehindert. Mittendrin Olga PERETYATKO im Dauerwahnsinn.     Foto:M.Pöhn/Wr.Staatsoper

 

WIEN / Staatsoper

LUCIA DI LAMMERMOOR  von Gaetano Donizetti

2.Aufführung in dieser Inszenierung
Dienstag, 12. Februar 2019

 

Keine Augenweide, jedoch beklemmend inszeniert

 

Kenner behaupten ja, dass erst ab der zweiten Aufführung eine geeignete Grundlage für eine kritische Bewertung einer Neuinszenierung vorhanden ist. Hohe Erwartungen und Nervosität beeinträchtigen tatsächlich oft die Leistungen bei der Premiere, zudem werden aus den Erfahrungen der ersten Nacht oft schon erste Konsequenzen gezogen und allfällige Abschleifungen und Retouchen vorgenommen. Die Vorbereitungszeit war ja ohnehin meist zu knapp, so dass man sich erst allmählich aufeinander einspielen und abstimmen kann. Und dieser Prozess geht dann auch später noch weiter. Nicht zuletzt deshalb hat sich ja der Online Merker zum Ziel gesetzt, möglichst viele der Folgevorstellungen einer Serie kritisch zu begleiten. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Laurent Pelly wurde 2016 bei den International Opera Awards als bester Regisseur ausgezeichnet und ist in Wien mit seiner pfiffigen Inszenierung von Donizettis La fille du Regiment in bester Erinnerung. In seiner Neuinszenierung von Lucia di Lammermoor ist kein Platz für ein romantisierendes Idyll der schottischen Highlands à la Sir Walter Scott, von dem die Vorlage zur Oper stammt, sondern er versetzt die Handlung in das schneebedeckte, von Eiseskälte durchwehte 19. Jahrhundert. Das lässt sich natürlich nicht an der Landschaft festmachen, sondern an der – ebenfalls von Pelly stammenden – Kostümierung. Schwarzgekleidet, streng und verschlossen stapfen sie da im Schnee umher – das erinnert mehr an das engstirnige puritanische Norwegen Henrik Ibsens als an das – allerdings nicht weniger prüde – Viktorianische Zeitalter. Wie dort wird auch hier eine junge Frau in ihren Entfaltungsmöglichkeiten stark beschnitten und schließlich durch das strikte Diktat ihrer Familie in den Untergang getrieben. Schon die erste Szene mit den Jägerchor macht klar, dass es hier um eine Hatz gegen Lucia gehen wird, die zuvor im Vorspiel schon desorientiert, verwirrt und in einem desolaten Zustand über den schneebedeckten Hang wankt, die Geister beschwört, die sie heimsuchen, und stets auszurutschen droht.

Anders als gewohnt zeigt Pelly nicht eine anfangs hoffnungsfrohe Lucia, die von einem Happyend mit ihrem Geliebten träumt, der ausgerechnet der Todfeind ihres Bruders Enrico ist, und erst allmählich abgedrängt wird und in den Wahnsinn kippt, sondern Pellys Lucia ist von Beginn an verstört, desorientiert, zerbrechlich und gefährlich nahe am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Wie denn auch nicht? Die sich in weiterer Folge entwickelnde Zuspitzung in der Beziehung zwischen Lucia und ihrer Familie, die sie wie ein Pfand in ihren Machenschaften einsetzt, hat gewiss eine nicht weniger traumatische Vorgeschichte. Bei ihrem Liebesduett mit Edgardo ist der Hintergrund der Schneelandschaft in roter Farbe gehalten. Rot als Farbe der Liebe, aber auch eine Vorahnung auf die ebenfalls in Rot gehaltene Wahnsinnsszene. Mitten in diesem Duett geht Edgard plötzlich von der Bühne nach rechts ab, um dann wenig später von der anderen Seite – neu gekleidet – wiederaufzutauchen und in den Gesang einzustimmen. Realität und Wahnvorstellungen gehen also schon früh ineinander über. Das ist von Pelly scharfsinnig analysiert und wird zu einem gut umgesetzten Regieeinfall, um die heikle seelische Verfassung Lucias aufzuzeigen

Eindrucksvoll eingesetzt sind auch die beklemmenden Chorszenen. Als die Hochzeitsgäste eintreffen, künden sie von Jubel, Liebe und Freude. Die Art aber, wie sie sich bewegen, ist nur ein stumpfsinniger Trauermarsch mit unbewegten, griesgrämigen Gesichtern: Aus Ablehnung gegenüber Lucia? Oder gegenüber ihrem rücksichtslosen Bruder, der seinen Hof in den Ruin getrieben hat und sich durch ihre Verheiratung mit dem ungeliebten Arturo sanieren möchte? Tatsache ist, dass die Regie darauf abzielt, das Geschehen ausschließlich aus der Perspektive Lucias ablaufen zu lassen. Das stößt allerdings dann an seine Grenzen, wenn es sich um Szenen handelt, in denen Lucia gar nicht involviert ist, was leider oft der Fall ist.

Das karge Bühnenbild von Chantal Thomas bietet dem Auge wenig Abwechslung, ist aber ein getreues Abbild der Seelenlandschaft der tragischen Heroine. Bei den Szenen am Hofe schiebt sich dann die durchsichtige Fassade eines Herrenhauses hinter die Schneemassen. Die stilisierten, konstruktivistischen Strukturen, die an Mies van der Rohe erinnern und damit wie aus der Zeit gefallen wirken, und die fokussierende Beleuchtung von Duane Schuler vermitteln – zusammen mit dem weiß-grau-schwarzen Farben der Inszenierung – eine höchst dramatische, beklemmende Atmosphäre. Zugegebenermaßen keine Augenweide, aber dennoch ziemlich werkgetreu, wenn auch mit einem Touch Surrealismus versehen.

Lucia erheblich anlehnungsbedürftig, Edgardo Juan Diego FLÒREZ aber voll Ernsthaftigkeit Foto:M.Pöhn

Bei einer Inszenierung, die so sehr auf die Perspektive der Titelpartie hin ausgerichtet ist, hängt ihre Tragfähigkeit fast ausschließlich von der Besetzung dieser Rolle ab. Olga Peretyatko als Lucia ist stimmlich nicht überfordert, die mörderischen Koloraturen klappen recht gut, auch in der Höhe hat sie kaum Probleme. Es fehlt ihrem Sopran aber an Glanz und Eindringlichkeit. Das klingt alles zu brav und unauffällig.  Darstellerisch weiß sie zu berühren, aber auch da fehlt der Magnetismus, der die großen Sängerinnen dieser Partie auszeichnet.

Juan Diego Flórez betritt als Edgardo rollenmäßig gewissermaßen Neuland. Er ist in einer Phase angelangt, in welcher er dabei ist, sein Spektrum zu erweitern. Der Belcanto-Tenor zeigt sich dabei anpassungsfähig und auf dem richtigen Weg. Seine Arie „Fra poco a me ricovero“ wird mit Begeisterung aufgenommen und ist nahe daran wiederholt zu werden. Eine starke Leistung, wenn auch nicht unbedingt eine Idealpartie für den auch darstellerisch einnehmenden Sänger.

Ein starker Edgardo ruft nach einem ebenbürtigen Gegner. George Petean kann auch gut mithalten, hat in der Höhe allerdings zu kämpfen. Dass beide bei ihrem von Aggressivität geprägten Aufeinandertreffen, bei dem sie sich zum Duell verabreden, vor geschlossenen Vorhang ganz nahe nebeneinander zu stehen kommen, ist von der Regie nicht eben gut durchdacht.

Jongmin Park setzt seinen mächtigen, wohltönenden Bass ein und ist ein respektheischender, Autorität ausstrahlender Raimondo, auch wenn er in dieser Inszenierung nicht so gut wegkommt und letztlich als Komplize bei den Machenschaften gegen Lucia vorgeführt wird: Gemeinsam mit Alisa – gut dargestellt von Virginie Verrez –  treibt er die unwillige Braut, unerbittlich hinter ihr her marschierend, in die Arme des ungeliebten Arturo. Dieser wird von Lukhanyo Moyake rollendeckend verkörpert.

Im Orchestergraben sorgt Evelino Pido als ein etwas bürokratisch wirkender Kapellmeister für Ordnung, beweist aber, dass er, wenn es darauf ankommt, ein waches Ohr für die Bedürfnisse der Stimmen auf der Bühne hat. Interessant, dass trotz der durchgehenden Tragik Donizetti in dieser Oper ungewöhnlich viel Musik in Dur-Tonarten geschrieben hat – bis hin zu Lucias Arie „Soffriva nel pianto“, in der sie ihr schreckliches Los und ihre Abneigung gegenüber ihren Bruder Enrico Ausdruck verleiht. Für die Moll-Stimmung sorgt unentwegt ohnehin diese Inszenierung, die es einem nicht leicht macht, die manchmal verärgert und die nicht in allem gelungen ist, die aber dennoch in Vielem stimmig umgesetzt ist und zum Nachdenken anregt. Viel Applaus – der deutlich länger als die üblichen fünf Minuten andauert.

Manfred A. Schmid

 

Diese Seite drucken