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WIEN/ Staatsoper: LUCIA DI LAMMERMOOR – „Unerwartetes Lucia-Debüt“

24.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Wiener Staatsoper: UMJUBELTES, UNGEPLANTES  LUCIA-DEBÜT VON DIANA DAMRAU (24.Juni 2012)

Fürs große „Opernglück“ fehlte doch noch einiges – aber der große Jubel für das Wiener Lucia-Debüt von Diana Damrau als Partnerin von Piotr Beczala am Ende der Vorstellung war insgesamt mehr als berechtigt. Dabei hatte alles mit einer Dreifach-Absage begonnen. Die deutsche Sopranistin cancelte die erste Staffel der Lucia-Serie, dann erkrankte die Ersatzsängerin und für gestern sagte auch der Ersatz vom Ersatz ab. So entschloss sich Diana Damrau für eine in dieser Form tatsächlich ungeplanten ersten Vorstellung der Donizetti-Meisteroper, ließ sich „ansagen“ und riskierte erst gar nicht den gefürchteten Schlusston der berühmten Flöten-Szene (sie wurde schon vorher „wahnsinnig“ und fiel effektvoll in Ohnmacht). Das Publikum feierte sie dennoch enthusiastisch – ebenso wie ihren polnischen Tenor-Kollegen Piotr Beczala, der auch schon ihr Edgardo beim Met-Lucia-Einspringen für Anna Netrebko im Jahr 2008 war. Dabei benötigten gestern beide eine gewisse „Anlaufzeit“ und auch die Rahmen-Bedingungen waren alles andere als optimal. Die Inszenierung von Boleslaw Barlog (Bühnenbild Pantelis Desyllas /Kostüme Silvia Strahammer) ist nur mehr in Rudimenten erkennbar. Der Spanier Guillermo Garcia Calvo (glückloser Einspringer für Daniele Gatti bei der jüngsten Macbeth-Premiere) bemühte sich beim Staatsopern-Orchester zunächst wenig erfolgreich um eine „dramatische Aufwertung“ der schottischen Liebestragödie . In der ersten Szene wirkte Marco Caria als Enrico noch saft- und kraftlos, der Staatsopern-Chor (Leitung Martin Schebesta) war noch uninspiriert und Diana Damrau klang in ihrer Auftrittsarie und im großen Liebesduett „angeschlagen“. Und auch der großgewachsene Tenor blieb zunächst im konventionellen „Fahrtwasser“. Doch schon im 3.Bild begann sich dieser Eindruck zu wandeln. Die Auseinandersetzung zwischen Lucia und ihrem betrügerischen Bruder Enrico geriet zu einer explosiven Auseinandersetzung. Marco Caria’s Stimme bekam „Biss“, Diana Damrau zeichnete eine leicht hysterische Lucia, die das Unrecht, das ihr angetan wird, emotional voll durchschaut. Ihre Stimme wird nun runder, die Tongebung vielfältig. Toll auch die nun nicht mehr gestrichene Auseinandersetzung zwischen Lucia und ihrem Erzieher Raimondo im dritten Bild: Sorin Coliban avancierte in dieser Vorstellung zum 4. Haupdarsteller! Mit ihm wächst ein echter Belcanto-Bass heran – großartig! Der erste dramatische Höhepunkt ist dann das 4.Bild mit dem Auftritt von Edgardo bei der Hochzeitsfeier. Der ungewollte Bräutigam wird von Ho-yoon Chung aufgewertet. Der Koreaner hat bereits das Zeug zum Edgardo in sich und bietet seinem Kollegen Piotr Beczala wirklich contra. Und auch die Turmszene, die fast immer gestrichen ist, heizt die Dramatik, die für dieses unerwartete Damrau-Rollendebüt bezeichnend ist, noch weiter an. Jetzt kommen auch die Damen und Herren des Staatsopern-Orchesters unter Garcia Calvo in Fahrt. Und sowohl Beczala wie Caria gehen nun an die Grenzen ihrer vokalen Möglichkeiten. Wirklich unter die Haut geht dann die berühmte Wahnsinn-Szene der Lucia. Diana Damrau spielt eine völlig verwirrte Frau, die mit zuckenden Händen positive Erinnerungen beschwört, um den Mord am Bräutigam zu verdrängen. Auch gesangstechnisch macht sie aus der Situation eine Psycho-Studie – es singt aus ihr, die Zwanghaftigkeit ihrer Klang-Assoziationen ist für den Zuhörer nachvollziehbar und das Mitleid nimmt zu. Zuletzt das „Klagelied“ von Edgardo: Piotr Beczala trumpft auf, seine Stimme strahlt, die Höhe sitzt; leider fehlt auch bei ihm ein letzter Schritt zum großen Opernglück: wenn dieser Sänger auch noch über ein echtes Piano verfügen würde…! Und überhaupt –Piotr Beczala ist für den Edgardo zu „gesund“, zu „vital“, zu wenig sensibel. Doch was soll’s? Das Publikum jubelt, freut sich über das unerwartete Lucia-Debüt und lobt eine Aufführung, in der auch alle Chargen etwa Peter Jelosits als Normanno und Juliette Mars als Alisa ausgezeichnet besetzt sind. Eine Repertoire-Vorstellung, die zumindest recht nahe an das große Opern-Glück herankam.

Peter Dusek

 

 

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