WIEN/ Staatsoper: LUCIA DI LAMMERMOOR am 20.6.2012
Eine „erstklassige Drittbesetzung“ – das ist die wichtigste Nachricht von der gestrigen Lucia di Lammermoor. Mit Interesse wurde, nach den krankheitsbedingten Absagen von Diana Damrau und Hibla Gerzmava der erste Wien-Auftritt von Brenda Rae, einer jungen, amerikanischen Koloratursopranistin aus dem Ensemble der Frankfurter Oper, erwartet. Der erste Akt war noch von verhaltenem, vorsichtigem Agieren bestimmt – möglicherweise aus Respekt vor dem Haus und den großen Namen der Rollenvorgängerinnen. In der Folge – speziell im Zusammenspiel mit Piotr Beczala – blühte der glockenhelle, mädchenhafte Sopran zu einer für Wien ungewohnten, aber wunderschönen Interpretation der Lucia auf. Dass das Duett Lucia und Flöte noch nicht die berührende, traumwandlerische Sicherheit der Paarung Gruberova / Schulz haben kann, ist selbstverständlich – das war ja fast schon ein symbiotisches Verhältnis. Nach der virtuosen „Königin des Belcanto“, der klaren, vielleicht schönststimmigsten Interpretation von Stefania Bonfadelli und der wunderbaren, darstellerisch und stimmlich warmen, lyrischen Gestaltung der Anna Netrebko war es spannend, einmal die Darstellung eines jungen Mädchens mit schlanker, nie schneidender Stimme, die aber in allen Lagen und auch im Piano sehr gut trägt, zu erleben.
Jedenfalls wäre eine weitere Lucia von Brenda Rae interessant – wir hatten nach der Wahnsinnsszene den Eindruck, dass sie jetzt voll angekommen ist und das Potential zur Entwicklung von einer sehr guten zu einer außergewöhnlichen Lucia vorhanden ist. Die Latte liegt jedenfalls für die nächsten Vorstellungen – wer auch immer die Lucia singen mag – recht hoch.
Außergewöhnlich – das ist auch die treffende Beschreibung des Edgardo von Piotr Beczala. Die Steigerung seit der letzten Serie ist hörenswert: Höhensicher, ausdrucksvoll, technisch perfekt und herrlich klingend – bravo, eine tolle Leistung!
Mit sehr guten Momenten ließ auch Marco Caria als fieser Bruder Enrico aufhorchen, besonders in der Turmszene mit Beczala kam die Sehnsucht auf, die beiden als Don Carlo und Posa zu hören.
Wenn Sorin Coliban den Raimondo singt, freut man sich, dass die früher oft gestrichene Szene mit Lucia, die aber für das Verständnis der Handlung so wichtig ist, gespielt wird. Sein sonorer Bass erreicht zwar momentan nicht ganz die Souveränität seines Landgraf Hermann, das tut der imposanten Bühnenpersönlichkeit jedoch keinen Abbruch.
Juliette Mars (Alisa), Ho-yoon Chung (Arturo) und KS Peter Jelosits (Normanno) trugen einen guten Teil zum Gelingen eines sehr schönen Opernabends bei.
Das Staatopernorchester mit Guillermo Garcia Calvo am Pult und der Staatsopernchor erbrachten die gewohnt verlässliche, gute Leistung; beim himmlischen Cello-Solo von Robert Nagy konnte man leicht die fast unerträgliche Hitze und die unbequemen Stühle in den Logen der Staatsoper vergessen.
Der Schlussapplaus schwoll – vollkommen verdient – zum euphorischen Jubel mit vielen Bravo- und Brava-Rufen an.
Maria und Johann Jahnas
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