WIEN/ STAATSOPER: LOHENGRIN AM am 20.4.2023
Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
WIEN/ STAATSOPER: LOHENGRIN AM am 20.4.2023
Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper:
LOHENGRIN von Richard Wagner
Premiere: 12. April 2014
Beginnen wir mit Richard Wagners „Lohengrin“: Der spielt in allerhöchsten Kreisen, daran ist nicht zu rütteln. Ein König kommt, weil eine Landesfürstin angeklagt ist von einem hohen Adeligen mit Thronanspruch, der seinerseits mit der Fürstentochter der Friesen verheiratet ist, und das „Personal“ rundum rekrutiert sich aus den Edlen von Brabant.
Gehen wir einmal davon aus, weil wir’s nicht besser wissen, dass die Gralsburg „Monsalvat“ wirklich das Monserrat in Katalonien ist, wie so oft vermutet. Wenn sich Lohengrin also von dort aufgemacht hat, um nach Brabant zu kommen – ja, da hatte der Schwan ein fehlerhaftes GPS und hat sich ganz schaurig verirrt, er ist nämlich in Bayern gelandet.
Und dort hat Regisseur Andreas Homoki die Handlung fest verortet – nicht beim „Kini“ Ludwig, sondern im Dorf, im Dorfwirtshaus. Ausstatter Wolfgang Gussmann hatte mit der Szene nicht übertrieben viel zu tun, ein einziger großer Raum, im Hintergrund das Bildchen mit den zwei brennenden Herzen, das auch (riesig) den Zwischenvorhang ziert, im übrigen Tische und Stühle, wie man sie eben braucht. Richtig geschwelgt hat der Ausstatter hingegen in den Kostümen – die Krachledernen, die Janker, die Stutzen, die Dirndln, die Genagelten, die Jägerkostüme, die Hüte… das sind nicht primitive „Bauerng’wandeln“, das ist eine hochästhetische Welt. (Und wenn man weiß, wie teuer diese Dinge „in echt“ sind – man gehe einmal in ein Salzburger Trachtengeschäft, da schnackeln einem die Knie bei den Preisen -, da möchte man die Kostümrechnung für diese Inszenierung lieber nicht sehen…)
Dennoch: In diesem Ambiente, das ja doch eine bäuerliche Wirklichkeit beschwört, verkleinert sich das Schwert zum Jagdmesser, da kommt der „König“ zu Besuch wie der Oberförster vom Nebenort, da ist Telramund so was wie der Dorf-Ungustl (diese Typen gibt es immer). Elsa erscheint als verwirrte Gretel, die fest eine kleine Schwanenfigur festhält, und gefeiert wird eine Bauernhochzeit, wenn’s nach Happyend ausschaut. Denn der Neuankömmling im Nachthemd (? – das ist wirklich erklärungsbedürftig) nimmt in einer Wirtshausrauferei dem Ungustl sein Messer mühelos aus der Hand, und schon kriegt er das Mädel. Die ist natürlich neugierig wie alle Weiber, ob in der Stadt oder am Land, sekkiert ihren Helden, der auch die Krachlederne angelegt hat, und muss sich sagen lassen, dass er vom Gral gesandt ist. Wie bitte?
Also, das Konzept, Lohengrin in die bayerische Dorfwelt zu versetzen (Bier darf nicht fehlen, auf Weißwurst und Bretzen wurde allerdings verzichtet), hat nicht wirklich Hand und Fuß, weil es dem Stück keine Perspektiven eröffnet. Allerdings ist der Schwanenauftritt gelungen, wenn sich alle in eine Art kollektiver „Wunderhysterie“ hineinsteigern – und dann ist er halt da, der Spezi, den sich die Elsa so sehr erträumt hat. Lustig ist’s?
Nein, da muss man den Regisseur in Schutz nehmen: Gehöhnt, gespottet, veralbert hat Andreas Homoki das Werk nicht. Selbst wenn Telramund während des Gesprächs seiner Frau mit Elsa dauernd ein Versteckt sucht (Es sei wiederholt: die Wirtsstube ist einziger Austragungsort der Geschichte), ist das mehr nötig als lustig. Freilich, beim Chor dürfen die Damen oft schon recht possierlich sein, aber sie tun es aus gefühlter Anteilnahme zu Elsa. Wenn Ortrud allerdings in echter Wut mit ein paar gezielten Fußtritten die Blumenschalen von den Wirtshaustischen, über die sie stapft, wegschleudert, ist das ein komischer Effekt – und wenn König Heinrich (der Oberförster) ihr die Leviten lesen will, aber angesichts ihrer Mördermiene geradezu angstvoll zurückschreckt, ist auch ein kleiner Lacher erlaubt. Aber man kann nicht behaupten, dass Homoki sich über die Geschichte lustig macht – oder dass er sie nicht erzählt.
Wir leben ja nun einmal in einer Welt, wo nach Verabredung der Medien und des fortschrittlichen Publikums Regisseure alles dürfen, was sie nur wollen – und es ist nur schüchtern zu bitten erlaubt, dass sie das, was sie machen, auch gut machen. Und da kann man Homoki nichts vorwerfen – das Handwerk beherrscht er, das zeigt sich an einer hervorragenden Logistik, vor allem in der Führung des Chors, und die psychologische Nachzeichnung der Figuren im gewählten Milieu ist absolut richtig. Man kann ihm nicht einmal das „Vorspiel“ im Vorspiel böse ankreiden, wo er uns die Vorgeschichte erklärt, denn auch das passt zum Ganzen.
Da sieht man erst Elsa und den kleinen Gottfried am Sarg des Vaters, Telramund will ihr die Hand reichen, sie läuft vor ihm davon. Dann, des Vorspiels zweiter Teil, Elsa im Hochzeitsdirndl, geführt von einem nicht definierten jungen Mann offenbar zur Hochzeit, Telramund wartet, sie überlegt es sich, wirft ihm den Brautstrauß hin und verschwindet – glücklicherweise steht da eine andere Dame und nimmt ihn gern: Ortrud. (Was allerdings so nicht bei Wagner steht, wo Telramund expressis verbis sagt, Ortrud habe ihn davon abgehalten, Elsa zu heiraten…)
Auch ein anderes Ende gibt es bei Homoki – normalerweise nimmt man an, dass Elsa, die in die Arme des Bruders sinkt, da gleich in Reue ihr Leben aushaucht. Aber so ein reiches Bauerndirndl (das sie hier ist) steht mit beiden Füßen am Boden: Der kleine Bruder ist wieder da, wenn er auch hilflos wie ein Embrio am Boden liegt, da hält man ihm doch gleich Schwert und Horn hin, die der Oberförster (pardon: König) irgendwie hervorgezaubert hat: Man muss den Hof ja übernehmen, also…
So hat Andreas Homoki eines nach dem anderen in seinem Sinn zusammengefügt, und dabei gelingt ihm etwas ganz Wichtiges: Hier wird auf der Bühne eine eigene Welt kreiert, die dann in sich auch (so einigermaßen) stimmt. Kurz, mag das Konzept grundsätzlich nicht unbedingt überzeugen, es ist zumindest konsequent und mit großer Könnerschaft durchgeführt.
Die Entdeckung des Abends stand am Dirigentenpult. Irgendwann wird der erst 35jährige Finne Mikko Franck nicht mehr der Einspringer vom Dienst sein (wie auch schon für „A Harlot’s Progress“ zu Beginn der Saison im Theater an der Wien – und nun für Bertrand de Billy), sondern ein an sich gefragter Künstler. Schon im Vorspiel zeigte er eine beachtliche Fähigkeit zur Steigerung, und in der Folge war er nicht nur ein sehr kompetenter Sängerbegleiter und Bändiger des großartigen Chores (Chorleitung: Thomas Lang), sondern gestaltete alle orchestralen Vor- und Zwischenspiele mit einer Intensität, die Gänsehaut erzeugte. Auch haben die Herren Philharmoniker wieder einmal wie die Götter gespielt, die Bläser so großartig und sauber, die Geigen so schwelgerisch und irisierend. Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache, zu „schön“ sozusagen, aber wer in Wagner psychedelisch eintauchen möchte, bekam reichlich Gelegenheit. Und spannend war’s auch.
Auch nicht jedermanns Sache ist das Timbre von Klaus Florian Vogt, manchem vielleicht zu hell, zu knabenhaft. Aber gerade in der Rolle des Lohengrin ist er nicht nur goldrichtig, sondern geradezu anbetenswürdig. Klar, sauber, strahlend, aus einer anderen Welt und doch ein Kämpfer – welch prachtvoller Tenor mit einer grandiosen Technik, der über alle Schwierigkeiten hinweg singt, als gäbe es sie nicht, der jeden Übergang, jeden Ansatz mit der größten Selbstverständlichkeit schafft und der dabei über Kraft und Stimmumfang verfügt, die ihn mühelos durch alle Orchesterwogen gleiten lässt. Die Stimme, auf die er nie „drücken“ muss, verliert in keiner Lage, in keiner Lautstärke ihre Qualität, wird nie gaumig, bleibt immer makellos. Dabei schafft es Vogt, in der Krachledernen nicht lächerlich zu wirken und, was eine ziemliche Zumutung ist, einen Teil der Gralserzählung am Boden kauernd, teils unter dem Tisch zu singen. Und ist dennoch ein vollkommener Lohengrin. Wer das nicht anerkennen und dankbar genießen kann und sich damit selbst um ein Erlebnis der besonderen Art bringt – ja, der ist selbst schuld.
Und wunderbar, dass er eine adäquate Partnerin hat (wie übrigens auch in Bayreuth in Annette Dasch, das muss man ehrlicherweise sagen): Camilla Nylund hat ähnliche Stimmqualitäten wie Vogt, die Leichtigkeit des Ansatzes, eine stupende Pianokultur und selbstverständliche Sicherheit in der Höhe, genug Kraft, ohne je zu forcieren, dabei – wie Vogt – eine wirkliche Durchdringung der Rolle nicht nur im Spiel, sondern auch im Gesang. Fabelhaft.
Leider konnte die restliche Besetzung mit dem „Traumpaar“ nicht mithalten, am wenigsten der Heerrufer von Detlef Roth, der zwar mit der Aktentasche wie ein beflissener Parteisekretär ganz drollig daherkam, aber stimmlich nur eine halbe Portion war. Ähnliches kann man von Michaela Martens sagen, die sich in ihren feschen Dirndln rollte wie die Köchin des Herrn Grafen, aber keine adäquate Stimme zu bieten hatte: Sie säuselte sich durch ihre Rolle, und wo sie dramaturgisch unweigerlich „loslegen“ müsste, bekam man keinerlei Material zu hören.
Überzeugender die beiden anderen Herren, wenn sie auch beide ein wenig angestrengt klangen – der schnarrende Telramund des Wolfgang Koch und der „des Basses Grundgewalt“ entbehrende Günther Groissböck, der allerdings als Figur wohl einer der überzeugendsten und präsentesten „Könige“ (im hier gezeigten Kleinformat) war, die man je gesehen hat, in jedem Detail, jedem Blick ausgearbeitet, immer voll in der Rolle, humorvoll, genervt, anteilnehmend, wie es die Situation verlangte. Es ist nicht leicht, Dorfpolitiker zu sein!
Schon nach dem ersten Akt Buhs und Bravos, am Ende die erwartete Schlacht: Buhrufe (nicht ganz unverdient) für Roth und Martens, Jubel für die anderen, und als das Leading Team erschien, brach die Hölle los: Da machte nicht ein Einzelner seinem Unmut Luft, da beteiligten sich schon sehr viele Besucher dabei, diesem Lohengrin auf dem Dorfe ihr Missfallen auszusprechen.
Dennoch: Als Wagnerianer hatte man keinesfalls einen verdammenswerten Unglücksabend erlebt.
Renate Wagner