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WIEN / Staatsoper: LOHENGRIN zum Saisonausklang

LOHENGRIN IM LODENGRÜN

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Sara Jakubiak. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LOHENGRIN zum Saisonausklang

29. Aufführung in dieser Inszenierung

30. Juni 2021

Von Manfred A. Schmid

Als letzte Vorstellung zum Ausklang der ausgezehrten Saison 2020/21 steht eigentlich nicht, wie angekündigt, Wagners Lohengrin auf dem Programm, sondern die von Andreas Homoki ersonnene und von Wolfgang Gussmann ausgestattete Paraphrase Lodengrün, in der über die von einer alpenländischen Trachtenboutique gesponserte Jahreshauptversammlung einer Jägerschar im „Gasthaus zum goldenen Schwan“ berichtet wird, zu der – zur Klärung der anstehende Probleme und Streitigkeiten – offenbar auch der Landesjägermeister sowie ein geheimnisvoller, per Schwan angereister Gast eingeladen worden sind. Der von Wagner festgelegte Handlungsverlauf ist in dieser Inszenierung aus dem Jahr 2014, von ein paar Ungereimtheiten abgesehen, jedoch weitgehend eingehalten und bleibt nachvollziehbar. Homoki hat den Schritt ins Regietheater nicht vollzogen, sondern „nur“ eine verunglückte Einbettung des Geschehens in eine alpenländische Dorfszenerie mit krachledernen, Bierkrüge schwingenden Männern und sittsamen Ehefrauen mit Gretlfrisuren gewagt. Lodenjanker und Dirndlkleider statt SS-Stiefel und BDM. Naja. Hier hätte der neue Staatsoperndirektor beherzt eingreifen können, doch für das kommende Frühjahr ist stattdessen ausgerechnet eine Neuinszenierung von Tristan und Isolde angekündigt, die die gar nicht schlechte, sondern bewährte und allseits gelobte Produktion von David McVicar aus 2013 ablösen wird. Man hofft auf das Beste und ist …

Wie so oft, bleibt dem Publikum auch bei dieser Aufführung der Trost, dass das, was auf der Bühne und im Orchestergraben geboten wird, die Unzulänglichkeiten von Regie und Ausstattung transzendierend vergessen macht und so immerhin die Musik für ein befriedigendes, erhebendes Erlebnis sorgt. Dem musikalischen Leiter Cornelius Meister gelingt es, die grandiosen Spannungsbögen mit dem Orchester eindrucksvoll herauszuarbeiten und die dramaturgisch bestimmenden Übergänge von lyrischen Passagen – grandios die silbrig schwirrenden Geigentöne im Vorspiel – zu dramatischen Zuspitzungen fein zu gestalten. Das kann zuweilen gehörig laut werden, ohne aber je die Sängerinnen und Sänger zu überfordern oder gar zuzudecken. Der wiederholte Einsatz von Orchestermusikern, vor allem von Blechbläsern hinter der Bühne, ist effektvoll und perfekt abgestimmt. Auch der Chor (Einstudierung Thomas Lang) macht seine Sache wie gewohnt gut. Die Männer hämmern mit ihren Krügen so mächtig auf die Tische, dass sie zu einem Teil der ohnehin stark geforderten Perkussion im Orchester werden.

Klaus Florian Vogt ist ein großartiger, stimmlich und ausdrucksmäßig gereifter Lohengrin. Seine darstellerische Leistung ist fein austariert, kleinste Gemütsbewegungen werden unmittelbar sicht- und hörbar. Gesanglich ist es eine Freude, ihm auf seiner Berg- und Talfahrt von höchster Seligkeit zu tiefster Enttäuschung zu folgen. Jeder Ton sitzt, ist in allen Stimmlagen perfekt. Die Gralserzählung als dramaturgisch ausgeklügeltes Outing seiner Herkunft ist ebenso berührend wie das wonnevolle, überschäumende Bekenntnis seiner Liebe zu Elsa. Vogt ist gewiss ein Heldentenor eigener Art, wozu auch sein weich temperiertes Timbre beiträgt, das freilich auch in machtvollen Passagen und mit gebührender Lautstärke durchaus überzeugen kann. In einer Zeit, in der machohafte, draufgängerische Heldenfiguren skeptischer beurteilt werden, ist sein Lohengrin ein sehr heutiger Held. Kein Softie, aber auch kein Rabauke. Nur am Anfang, als er, bei seinem ersten Erscheinen als sehnsüchtig erwarteter Retter, wie ein Häufchen Elend im Nachthemd am Boden liegt – warum Homoki das so will, weiß nur er – klingt er bei seinem innigen Dank an den Schwan wie ein Knabensopran, der zu mutieren vergessen hat.

Sara Jakubiak braucht als Elsa etwas Zeit, in die Gänge zu kommen, wirkt mit ihrem dunklen, gedeckten Sopran etwas unterkühlt und hat in ihrer Auseinandersetzung mit der charismatischen Ortrud und in ihrem Drängen auf Lohengrin, ihr seine Identität preiszugeben, ihre stärksten Auftritte.  Als ihre Gegenspielerin ist Tanja Ariane Baumgartner eine hochdramatische, manipulative Ortrud mit einschüchternden, markigen Höhen. Ihre Verführungskunst und ihre unbeirrte Suche nach Vergeltung und Rehabilitierung werden von der Mezzosopranistin, die auch schon bei den Salzburger Festspielen gefeiert worden ist, so überzeugend vorgeführt, dass man unwillkürlich an eine Lady Macbeth denken muss. Johan Reuter ist ein tadelloser Telramund, ein charakterlich eher schwacher und wankelmütiger Mann, der seiner Frau Ortrud hörig ist und von ihr erbarmungslos gegängelt wird.

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Adrian Eröd, Kwangchul Youn. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Als König Heinrich ist – wie schon so oft – wieder einmal Kwangchul Youn im Einsatz.  Eine an und für sich sichere Bank, wenn auch nicht mehr ganz so stimmkräftig wie gewohnt. Adrian Eröd verleiht dem Heerrufer seinen eleganten Bariton. Ganz wohl scheint er sich, in Lederhose und mit Hut, aber nicht zu fühlen. Stimmlich ist er nicht der übliche markige Einpeitscher, sondern eher ein intellektueller, etwas distanzierter Beamter in höherem Dienst.

Herzlicher Applaus, der nicht allzu lange anhält. Offenbar ist man einigermaßen erschöpft von den intensiven regielichen Herausforderungen der vergangenen knapp eineinhalb Monate und reif für die Insel.

 

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