WIEN / Staatsoper: „LOHENGRIN“ – 23.4.2023 –
Letzte Vorstellung der Homoki-Inszenierung
Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
In Deutschland wird der 23. April jährlich von vielen Brauereien als Tag des deutschen Bieres begangen. Ob die Wiener Staatsoper deshalb oder nur durch puren Zufall an diesem Tag die letzte Aufführung der Homoki-Inszenierung von Wagners „Lohengrin“ angesetzt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber man kann Staatsoperndirektor Bogdan Roščić und seinem Team für eine derart geglückte Programmplanung nur gratulieren. Man kann bei der Planung nämlich auch ganz schön ins Fettnäppchen treten, wie jener Intendant eines deutschen Opernhauses, der erst vor wenigen Jahren just am 20. April Wagners „Rienzi“ angesetzt hat. Aber den Vogel abgeschossen hat jener Operndirektor, der einmal am Muttertag die „Elektra“ von Richard Strauss gespielt hat. Gerüchten zufolge sollen an diesem Abend besonders viele Schwiegersöhne ihre Schwiegermütter in die Oper eingeladen haben und beim Satz „Triff noch einmal!“ ein behagliches Kribbeln verspürt haben.
Jetzt werden sich viele Leser, die die Inszenierung von Andreas Homoki nicht kennen, fragen was Wagners „Lohengrin“ mit dem deutschen Bier zu tun hat? Nun, im April 2014 brachte die Wiener Staatsoper eine Neuinszenierung von Wagners wohl romantischster Oper heraus, die die erfolglose Vorgängerproduktion von Barrie Kosky ablösen sollte. Andreas Homoki hat diese Inszenierung in Koproduktion mit dem von ihm geleiteten Opernhaus Zürich erarbeitet und siedelte die Handlung in einer bayerischen Dorfgaststätte der Gegenwart an. Ich will versuchen kurz zu schildern, wie uns Homoki Wagners „Lohengrin“ als simple Bauernkomödie à la Löwinger-Bühne erzählt:
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer kommt in ein bayerisches Dorf, um das Oktoberfest zu eröffnen. Da offensichtlich schlechtes Wetter vorherrscht, wird anstatt auf der Wies’n im Wirtshaus gefeiert. Der Ministerpräsident liebt es sich von seinen bajuwarischen Untertanen als „König Heinrich“ ansprechen zu lassen. Der Parteisekretär der CSU, der ihm die Aktentasche hinterherträgt, bestärkt seinen Chef auch noch in seinem Größenwahn, und passt auf, dass das Volk sich daran hält und den Ministerpräsidenten tatsächlich mit „König Heinrich“ anspricht. Aus Solidarität zu seinem Boss hat auch er sich in ein schickes Jagdkostüm geworfen, das kommt bei der Landbevölkerung immer gut an (zumindest besser als der Nadelstreifanzug). Horst Seehofer hofft bei der männlichen Dorfjugend ein paar Soldaten anwerben zu können. Er plant nämlich gegen Viktor Orbán in den Krieg zu ziehen. Wahrscheinlich ist er angefressen, dass der ungarische Ministerpräsident so viele Flüchtlinge nach Österreich durchgewunken hat, die dann auf Einladung von Mutti Merkel gleich weiter nach Bayern gezogen sind. Ohne vorher Mutti Merkel zu fragen, mit der er ohnehin dauernd im Clinch liegt, plant er jetzt im Alleingang einen Feldzug gegen die Ungarn durchzuführen. (Wie er das praktisch durchführen will – über Österreich oder Tschechien – sagt er natürlich nicht, typisch Politiker.) Dann tritt der Fritzl auf, offensichtlich der örtliche Anführer der neu gegründeten AfD (leicht erkennbar daran, dass er als einziger ein braunes Trachtenjackerl trägt), und klagt eine gewisse Elsa an. Ursprünglich wollte er ja bei ihr landen, aber nachdem sie ihn abblitzen hat lassen, hat er aus Trotz die resche Trudl zur Frau genommen, ein recht intrigantes Frauenzimmer. Die husst ihren Mann auch auf, Elsa des Mordes an ihren Bruder anzuklagen. Der Seehofer versteht nur Bahnhof. Die Elsa verteidigt sich auch nicht richtig und faselt nur was von einem Fremden, den sie im Traum gesehen hat. Und plötzlich taucht in dem Tumult im Wirtshaus tatsächlich ein Fremder auf, nur im Unterhemd, vor Kälte zitternd, wahrscheinlich ein Asylant, der seinen Pass und seine Kleidung weggeworfen hat, damit man ihm nichts nachweisen kann, wenn er bei der Asylbehörde falsche Angaben macht. Der Elsa gefällt der Fremdling und der wittert seine Chance. Er ist bereit für sie gegen den Fritzl zu kämpfen, der durch zu viel Bier ohnehin nicht mehr wirklich kampffähig ist. Wie es sich für ein Bierfest gehört, kommt es dann zu einer richtigen Rauferei, bei der der Fremde mit Leichtigkeit siegt. Dadurch wird der Fremde in die Dorfgemeinschaft aufgenommen; als Willkommensgeschenk erhält auch er ein Trachtenjackerl und eine Lederhose. Hingegen muss der Verlierer Fritzl, der aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen wird, seine Lederhose ausziehen und darf nur noch in Unterwäsche herumlaufen. Die Trudl zieht aus Solidarität zu ihrem Mann dann auch ihr Dirndl aus, sie kann ja ihren Mann nicht allein in Unterhosen herumlaufen lassen, das gehört sich doch nicht. Diese Trudl ist überhaupt eine ganz Böse. Sie kann es nicht verstehen, dass alle Männer immer nur auf die blonde Elsa stehen, nun auch sogar dieser fesche Asylant. Den würde sie selber gerne vernaschen, aber der hat überhaupt kein Interesse an ihr. Daher beschließ sie, dass der Fremde weg muss. Sie stachelt wieder ihren Mann auf, während sie sich selbst bei Elsa einschmeichelt. Die blonde Elsa ist so dumm, dass sie die intrigante Trudl als Freundin bei sich aufnimmt. Die Hochzeit zwischen Elsa und dem Asylanten wird vorbereitet. Dieser freut sich, denn nur so kommt er schnellstens zu einem EU-Pass. Die Trudl und der Fritzl versuchen die Heirat zu verhindern, scheitern aber wieder mit ihrer Intrige. Nach der Heirat möchte der Fremde endlich die Ehe vollziehen, aber die Braut nervt ihren Mann nur mit vielen Fragen. Aber wer kann es ihr verübeln, denn keine Frau möchte ihre Hochzeitsnacht auf einem dreckigen Wirtshaustisch verbringen. Noch einmal versucht der in seiner Ehre beleidigte Fritzl den Fremden zu überfallen, aber diesmal hat er Pech, denn der Fremde sticht diesmal ordentlich zu. Tja, man sollte vielleicht doch nicht immer auf seine ehrgeizige Frau hören. Der Fremde weiß, dass es jetzt für ihn brenzlig wird. In der Zwischenzeit versucht der Seehofer noch einmal die jungen Männer für den Krieg gegen Ungarn zu begeistern, völlig erfolglos, im Gegenteil, die jungen Männer rebellieren und trommeln mit den leeren Bierkrügen auf die Wirtshaustische. Sie protestieren, weil in diesem Jahr beim Oktoberfest ein Maß Bier schon € 10,40 kostet! (Glücklicherweise wurde das lautstarke Trommeln mit den Gläsern aus akustischen Gründen bald nach der Premiere verboten.) Jetzt wird dem Seehofer Fritzls Leiche vorgelegt. Dem Seehofer bleibt aber auch gar nichts erspart. Der Fremde erklärt öffentlich, dass er vom Gral entsandt wurde und sein Vater Parsifal heißt; er selbst nennt sich Lohengrin. (Der Fremde hat schon mal davon gehört, dass die Bayern seit König Ludwigs Zeiten total auf Richard Wagner und seine Opernfiguren abfahren.) Die Bayern inklusive Seehofer sind total entzückt. Den allgemeinen Tumult benützt der Fremde um sich aus dem Staub zu machen. Vor dem Wirtshaus trifft er auf einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling und rät ihm ebenfalls Pass und Kleidung wegzuwerfen und sich in das Wirtshaus zu schleichen und sich als Elsas verschollener Bruder auszugeben. Gesagt, getan. Aber wird dieser mit dem Schwindel durchkommen?
„Es gibt ein Glück“ prangt auf dem Zwischenvorhang dieser Inszenierung. Ja, das Wiener Publikum hat das Glück, dass diese Inszenierung endlich abgesetzt wird, wahrscheinlich weil in der Zwischenzeit kaum noch jemand weiß, wer der Seehofer ist und somit die Inszenierung ihre Aktualität verloren hat. Jetzt ist Schluss mit lustig. Aber wenn ab dem nächsten Jahr Lohengrin aus dem Kanal kommt, dann werden sich vielleicht sogar einige Opernfreunde diese deftige Bauernkomödie zurückwünschen.
Man merkt, dass das Orchester der Wiener Staatsoper die beiden Richards liebt, den Strauss und den Wagner. Bei deren Werken spielen sie immer noch eine Spur schöner und besser, als bei den Werken anderer Komponisten. Allerdings wurde die Freude getrübt durch das Dirigat von Omer Meir Wellber, dessen Leistung man mit vier Worten beschreiben kann: schnell, derb und laut. Da ist vieles ungenau, vor allem im Zusammenspiel zwischen Orchester und den Solisten auf der Bühne sowie mit dem stimmstarken Chor der Wiener Staatsoper. Mit (viel zu) schnellen Tempi hetzt er das Orchester durch die Partitur. Er lässt der Musik kaum Zeit zu atmen und aufzublühen. Der romantische Zauber, der dieser Musik innewohnt, bleibt völlig auf der Strecke. Ich habe noch nie ein so grauenvoll verhetztes Vorspiel zum 3. Aufzug gehört. Es ist schon interessant, dass nur wenige Stunden nach der ersten Aufführung dieser Serie, bei der der Dirigent zu Recht lautstarke Buhs kassiert hat, Bertrand de Billy am Pult bewiesen hat, wie wundervoll diese Musik klingen kann. (Im Rahmen der Präsentation des Spielplans der nächsten Spielzeit dirigierte er zwei Ausschnitte aus „Lohengrin“, darunter das Vorspiel zum 3. Aufzug, um Klassen besser, als Omer Meir Wellber es am Vorabend getan hat.) Und da muss man sich schon zwei Fragen stellen: Warum dirigierte Bertrand de Billy nicht diese Aufführungsserie? Und wenn Wellber schon unbedingt Wagner dirigieren will, warum steht er dann nicht als Musikdirektor der Volksoper bei den Aufführungen des „Fliegenden Holländer“ in seinem Haus am Pult? Das Wiener Publikum wird sich jedenfalls noch ein Jahr gedulden müssen, bevor es wieder ein gutes „Lohengrin“-Dirigat erleben kann.
Tareq Nazmi, der in dieser Aufführungsserie als König Heinrich sein Debüt an der Wiener Staatsoper gab, litt von allen Sängern am meisten unter der Lautstärke des Dirigats. Er hat sich jedoch von der ersten bis zur letzten Aufführung enorm gesteigert, allerdings hat er – wie übrigens auch viele andere Bässe – mit den Höhen dieser Partie zu kämpfen.
Clemens Unterreiner war mit seinem durchschlagskräftigen Bariton und exzellenter Wortdeutlichkeit wie immer ein verlässlicher Heerrufer.
Star der Aufführung war Piotr Beczała in der Titelpartie. Ich kann mich noch erinnern, wie er 2016 seinen ersten Lohengrin in Dresden gesungen hat (mit Anna Netrebko als Elsa), quasi als Generalprobe für Bayreuth. Die Wiener Opernfans, vor allem die Wagnerianer, sind damals in Scharen nach Dresden gepilgert, und gut war es, denn Anna Netrebko hat die Elsa dann nicht wie geplant in Bayreuth gesungen. Damals hat Beczała angekündigt diese Partie außer in Dresden und Bayreuth nicht singen zu wollen. Glücklicherweise ist er wortbrüchig geworden. Bereits 2020 hat er den Lohengrin an der Wiener Staatsoper gesungen und zuletzt ist er sogar an der MET in New York als Schwanenritter aufgetreten. Ich kann mir im Moment keinen besseren Interpreten dieser Partie vorstellen, die ja schon in der Vergangenheit nicht nur von Heldentenören, sondern auch von lyrischen Tenören gesungen wurde. Beczała glänzt mit seinem schmelzreichen Belcanto-Tenor natürlich vor allem in den lyrischen Passagen mit wunderschönen Piani und Höhensicherheit, seine Stimme besitzt aber genügend Kraft um auch die dramatischeren Szenen mühelos zu bewältigen. Wann hat man zuletzt die Gralserzählung so schön gesungen gehört? Und während Beczała in der ersten Aufführung dieser Serie noch – wie von Wagner vorgeschrieben – „Zum Führer sei er euch ernannt!“ gesungen hat, sang er nun in der letzten Vorstellung gemäß den Regeln der „political correctness“ die geänderte Textvariante, die auch bereits in der Untertitelanlage mitzulesen ist: „Zum Schützer sei er euch ernannt!“
Obwohl sich Camilla Nylund langsam schon in das dramatischere Wagner-Repertoire (Isolde und Brünnhilde) vorwagt, ist sie nach wie vor eine ideale Elsa mit klarem und reinem Ton sowie mit innigem und bewegendem Ausdruck.
Tomasz Konieczny, der von der derzeitigen Staatsoperndirektion etwas stiefmütterlich behandelt und nur selten eingesetzt wird, war ein äußerst präsenter, kraftvoller und höhensicherer Telramund.Nina Stemme hat die Ortrud noch nie zuvor gesungen, ihr Rollendebüt in dieser Aufführungsserie geriet wirklich glanzvoll. Wie sie mit ihrem hochdramatischen Sopran ihren Gatten manipuliert und aufstachelt, wie sie mit gekünstelter Freundlichkeit Elsa umgarnt und dazwischen die entweihten Götter anruft, das bleibt dem Besucher wohl noch lange in Erinnerung. Was noch neben ihrer phänomenalen, aufwühlenden Gesangsleistung auffiel: sie war eine der ganz wenigen Sängerinnen, die in dieser Inszenierung darstellerisch nicht peinlich wirkte, was in dieser Bauernkomödie tatsächlich ein Kunststück ist. Da stand halt wirklich eine jener ganz großen Sängerpersönlichkeiten auf der Bühne, die sogar in diesem Umfeld eine überzeugende Figur formen konnte.
Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Nach der Vorstellung wurde Nina Stemme, die bereits 2012 zur Österreichischen Kammersängerin ernannt wurde, auf offener Bühne eine große – längst verdiente – Ehre zuteil: Sie wurde zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt. Staatsoperndirektor Bogdan Roščić hielt eine sehr schöne Laudatio. Seit ihrem Debüt als Senta im Jahr 2003 stand sie bisher in insgesamt 16 verschiedenen Partien in mehr als 140 Aufführungen auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Vom Staatsoperndirektor bekam sie das Plakat vom 5. Dezember 2003 (Premiere des „Fliegenden Holländer“ unter der musikalischen Leitung von Seiji Ozawa) als Geschenk überreicht. Die Ehrenurkunde wurde ihr von Kultur-Sektionschef Jürgen Meindl ausgehändigt und der mit der Ehrenmitgliedschaft verbundene Ehrenring wurde ihr vom Juwelier Wagner angesteckt. Nina Stemme war sichtlich bewegt, bezeichnete die Wiener Staatsoper als ihre künstlerische Heimat und bedankte sich bei allen Mitarbeitern auf, hinter und unter der Bühne, beim wundervollen Staatsopernorchester, aber vor allem beim Wiener Publikum. Bei ihrer im Publikum anwesenden Familie bedankte sie sich auf Schwedisch.
Leider ist in der nächsten Spielzeit keine einzige Vorstellung mit Nina Stemme geplant. Doch Staatsoperndirektor Bogdan Roščić hat in seiner Rede versichert: „Wir haben sehr schöne Pläne für die kommenden Jahre und ich freue mich auf alles, was da kommen wird – auf alle Rollen und auf alle Vorstellungen, die Du uns in Zukunft noch schenken wirst.“ Somit kann sich das Wiener Publikum doch noch auf weitere Aufführungen mit ihr freuen.
Walter Nowotny