Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Staatsoper: LOHENGRIN

24.10.2018 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
LOHENGRIN von Richard Wagner
23.
Oktober 2018
18.Aufführung in dieser Inszenierung

Viele Wagnerianer haben an diesem Abend ausgelassen, Schande über sie: Leere Plätze im Haus, nicht einmal das Stehparterre ausverkauft, als Andreas Schager seinen allerersten Lohengrin sang, die letzte große Wagner-Rolle, die in seinem Repertoire noch fehlte. Und das in Wien, wo man ihn so spät „entdeckt“ hat. Opernfreunde, die auch anderswo hinschauen, wussten schon seit vielen Jahren, dass da – zuerst bei Barenboim in Berlin, dann europaweit – ein hochrangiger Wagner-Tenor zu entdecken war. Dass er unser Landsmann ist – na ja, der Prophet und so weiter. Dann kam er erst für „Daphne“, dann für den „Freischütz“, und nun sang er den Lohengrin in Wien. Bemerkenswert.

Man hat eigentlich nicht für möglich gehalten, dass man ein so unermüdliches Stimm-Kraft-Wunder je erleben könnte, dass es einen solchen Sänger gibt. Böse Zungen haben ihm prompt nachgesagt, seine Rollen einfach nur in höchster Lautstärke durchzusingen, aber das ist Unsinn: Schager setzt seinen für Wagner geborenen und auch schönen Tenor belcantesk ein, vermag alle Lautstärke-Schattierungen zu bedienen, ohne je technisch ins Schwitzen zu geraten, und seine Höhen sind phänomenal und misslingen nie (bisher zumindest, nach dem Live-Erfahrungen der Rezensentin, die sich auch noch auf die drei großen Tenorrollen im Wiesbadener „Ring“ beziehen). Dass er sich am wohlsten fühlt, wenn er dann tatsächlich mit Strahleglanz losschmettern und am besten Orchester und Chor gemeinsam übertönen kann – das muss man ihm und sich gönnen.

Sein erster Lohengrin, noch dazu in der unglückseligen Wiener Inszenierung, war sicher nicht einfach, er wird sich mit mehr Erfahrung einiges anders einteilen – selbst ein Schager kann (zumal nach seinem hemmungslosen Einsatz) gegen Ende dann schon eine Ahnung von Anstrengung vermitteln. Aber die Mezzavoce-Gralserzählung… das war von geballter Intensität. Dafür, dass er die Rolle erstmals sang, hat er – abgesehen von den Albernheiten, die die Regie ihm auferlegt – bereits vieles an der Rolle verinnerlicht. Besonders überzeugend im (hier bekanntlich nicht vorhandenen) Brautgemach seine Gefühlsschwankungen, wenn er nach und nach merkt, dass Elsa nicht nachgeben wird und diese Beziehung, die er sich offenbar so wünscht (denn er spielt große Verliebtheit), schief gehen wird. Da wallt wirklich Verzweiflung auf, und in der Gralserzählung schwebt große Traurigkeit in seiner Stimme mit. Bedenkt man, dass Schager mit dem Tannhäuser, Tristan, Parsifal und den Siegfrieden (nächstes Jahr auch für den „Ring“ an der Met) überall unterwegs ist, wird sich der Lohengrin vermutlich schnell dazu gesellen. Hoffentlich findet sich irgendwo auf der Welt auch eine vernünftige Inszenierung dazu…

Elza van den Heever, die wir nur einmal im „Peter Grimes“ gesehen haben (und die Ellen Orford ist zwar eine sympathische, aber nicht eben spektakuläre Rolle), debutierte jetzt „richtig“ an der Staatsoper. Sie hat eine echte Elsa-Stimme, rein, schlank und stark, nur selten flackernd, und sie geht die Rolle – im Dirndl resolut ausschreitend – nicht als die ätherische Schönheit, sondern als starke Frau an, womit sie in dieser Aufführung die Frauen-Power zu sich holt.

Was nur möglich ist, weil die Ortrud – eigentlich Wagners einzige wirkliche „Hexe“ – in unglücklicher Verfassung war. Zwar kann möglicherweise niemand von Anfang bis zum Ende so herrlich biestig dreinsehen wie Petra Lang, aber Tatsache ist auch, dass eine zwischen Kundry, Isolde und Brünnhilde zerschundene Stimme einfach nur noch zu ohrenquälendem Schreien imstande ist. Vielleicht soll die Ortrud, wie Lady Macbeth, gar nicht schön gesungen werden, aber doch wenigstens gesungen, statt nur mit blechener Reststimme heraus gestoßen?

Um es gleich zu erwähnen, gab es noch einen sängerischen Ausfall an diesem Abend: Dass, wie man aus eigener Erfahrung weiß (vor allem Gurnemanz, aber auch Marke und ebendieser König Heinrich), Kwangchul Youn ein erstklassiger Wagner-Sänger ist – darauf wäre man nach diesem Abend, wo er ganz schlecht disponiert war, nicht gekommen.

Dafür feuerte Evgeny Nikitin, auch ein Wiener Rollendebutant an diesem Abend, mit hellem, stählernem Bariton einen bitterbösen Telramund ins Geschehen, der (auch dank sehr guter Diktion) mehr Eindruck machte als mancher Kollege in dieser diffusen, leicht in den Hintergrund zu drängenden Rolle.

Clemens Unterreiner, mit Trachtenanzug und altmodischer Aktentasche geschlagen, sang seinen ersten Heerrufer an der Staatsoper, drückte zwar gewaltig auf die Stimme, überforderte sich aber nicht, klang immer überzeugend und war höchst präsent.

Simone Young hatte mit dem Vorspiel zum 1. Akt einen schlechten Einstieg, das geriet gänzlich schwammig, Lichtjahre entfernt von Wagners überirdischen Klängen. Aber sobald die Dramatik anzog, waren sie und die Philharmoniker (Kompliment den Bläsern, ganz, ganz große Klasse) voll da, da rauschte das Geschehen so packend durch, dass es beim Herrenchor etwas weniger Lautstärke auch getan hätte. Man war ohnedies immer wieder mitgerissen, nicht zuletzt beim Vorspiel zum dritten Akt… aber das sollte bei einem erstklassigen Orchester einfach nicht schiefgehen können.

Wir haben mit dem „Lohengrin“ schon manches mitgemacht – Ruth Berghaus ließ zum „Treulich geführt“ Pappkartons schleppen, Barrie Koskys Wiener Inszenierung mit blinder Elsa und idiotischen Phantasiekostümen war eine Zumutung, der Münchner „Häuselbauer-Lohengrin“ von Richard Jones auch keine Offenbarung – und die „Ratten“ des Herrn Neuenfels in Bayreuth evozieren in klar denkenden Menschen immer nur die Frage, ob es nicht doch eine Weltverschwörung der „Zerstörer“ gibt? Aber in dieser Unterliga spielt das, was Andreas Homoki sich 2014 für Wien ausgedacht hat, wacker mit – denn keine Sekunde lang geht sein bayerisches Wirtshaus mit der „Lohengrin“-Geschichte konform, das ist eine „Übersetzung“ im Milieu, die absolut nicht funktioniert. Krachlederne und Dirndl, König Heinrich mit dem Gamsbart und der Heerrufer mit der Aktentasche, der Gang zum Münster auf dem Wirtshaustisch, die von Lohengrin beschworenen „Düfte“ zweifellos Schweinsbraten und Sauerkraut assoziierend, Bierkrüge („Oans, zwoa, g’suffa“), eine Welt, die nur geschaffen wurde, um mit dem Original so zerstörerisch umzugehen wie möglich. Warum nur, warum?

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken