Cécile Restier, Juan Diego Florez. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper:
20.6.2020 : Liederabend mit Juan Diego Flórez
Wenn der derzeit weltbeste „tenore di grazia“ zu einem Solo-Abend im Rahmen der spontanen Wieder-Eröffnung an der Wiener Staatsoper im Juni einlädt, sitzen im Parkett so viele Prominente, dass nun verständlich wird, warum dieses Konzert für 100 Gäste nach 3 Minuten ab Verkaufs-Start schon wieder ausverkauft war. Die glücklichen Besucher erleben die unvergessliche Gesangskunst des Peruaners, der mit einem reichhaltigen Repertoire reüssiert: Von Belcanto pur über Stücke der französischen Hochromantik, von Verdi zur Latino-Folklore, von Lehár zum Verismo.
Am Beginn steht die beinahe unbekannte Rossini-Oper „La pietra del paragone“. In dieser humorvollen Komposition um eine Liebesprobe der wahren Freundschaft und der ehrlichen Liebe geht es nicht um einen Tenor, der Sopran umschwärmt und Bariton oder Mezzo sind die Rivalen, sondern die Hauptperson – der Bass – Conte Asdrubale prüft die geistreiche Witwe Clarice (Alt-Stimmlage), wird von dieser ebenfalls getestet und zuletzt erkennen die beiden, dass sie zusammen gehören. Der Tenor dieser tragedia lirica verkommt zur Nebenrolle. Trotzdem zeigt Juan Diego Flórez als Dichter Giocondo gleich nach den ersten Takten des „Bolero“ seine glänzende Höhe und die – von perfekter Technik getragene – allerhöchste Phrasierungskunst. Danach erklingen sanfte Klänge am Klavier, „Giocondo“ seufzt und mit tenoralem Schmelz und beweglicher Stimme klagt er über die Schönheit der verehrten Clarice in „Quell´alme pupille“. Der Schluss-Ton nach einem souveränen „per me“ wird besonders lange gehalten und scheint kaum mehr zu enden, sodass man sich fragt, ob der Sänger nicht auch einmal atmen müsse.
Cécile Restier begleitet am Bösendorfer Flügel nicht nur kongenial und mit flinken Händen, sondern bringt zwischen den Gesangsstücken einfühlsame Klavier-Soli. So erfährt das Publikum, dass Donizetti einen fröhlichen Walzer (in A-Dur) komponiert hat, und das gelingt so leichtfüßig, dass man am liebsten mittanzen würde – leider in Corona-Zeiten, mit dem fremden Herrn einige Sitze weiter, strengstens verboten.
„I Capuleti e i Montecchi“ von Vincenzo Bellini steht auch selten auf dem Spielplan. Umso schöner, wie der Wahlwiener „Ma rendi pur contento“ zart und behutsam anstimmt. Es folgen schnelle Klänge am Klavier, die vokale Stimmfarbe ändert sich und ein kämpferisches „È serbata“ bringt den blutigen Racheschwur durch Tebaldo und sein Schwert gegen den verhassten Romeo. Gleich darauf das sanfte Liebesgeständnis an Giulietta bei der zärtlich vorgetragenen Cavatine „L´amo tanto e m´è si cara“, wo sich zarteste piani mit höchsten Koloratur-Attacken und edel-leuchtender Mittellage abwechseln.
Nachdem wir Massenets gefühlvolle „Papillons blancs“ am Klavier hören, wechselt auch Flórez ins französische Fach und beglückt das begeisterte Publikum mit herrlichen Legato-Bögen als erfolgreicher Krieger Mylio bei „Vainement, ma bien-aimée“ aus Édouard Lalos „Le Roi d´Ys“.
Als berühmte Glanznummer für jeden lyrischen Tenor gilt „Pourquoi me réveiller“ aus „Werther“ – es ist das Massenet-Debüt des Peruaners an diesem Haus. Nach dem tief bewegenden Vortrag des schwermütigen Gedichts vom sagenumworbenen irischen Dichter Ossian über den Atem des Frühlings, der Zeit der Stürme und der nahenden Trauer, wünscht man sich ein baldiges Wiedersehen mit dem brillanten Tenor als jungen, unglücklichen Dichter.
Gounod komponierte mit „Faust“ ein schwelgerisch-elegantes Werk und mit „Salut, demeure chaste et pure“ eine anspruchsvolle romantische Cavatine, gefürchtet wegen ihrer Schwierigkeiten und dem hohen C – für den herausragenden Vokal-Solisten dieses Abends anscheinend keinerlei große Herausforderung, meistert er dies doch mit mühelos eingesetzter Stimmkraft und kostet die langangehaltenen höchsten Töne endlos aus. Man darf auf diese Opern in der Produktion von Frank Castorf im April 2021, mit dem Peruaner in der Titelrolle und unter dem Dirigat von Bertrand de Billy, schon gespannt sein.
Hingebungsvoll und ergreifend begeistert Cécile Restier erneut mit dem Klavier-Solo „Suicidio“ aus „La Gioconda“ von Amilcare Ponchielli.
Die Zeit vergeht viel zu schnell, als bereits das letzte Stück vom Programm-Zettel ertönt. Schon die ersten Takte machen klar, hier wird Verdi mit dem Frühwerk „I Lombardi“ auf die fast leere Bühne gebracht. Mit Klangschönheit vorgetragen, singt der Kammersänger Orontes Arie „La mia letizia infondere…Come poteva un angelo“ intensiv und eindringlich. Ganz leicht zeigen sich in seinem Gesicht erstmals kleine Spuren von Anstrengung, am Ende sehen wir wieder das strahlende Lächeln des attraktiven Südamerikaners.
Mit tadellosem Deutsch wird die erste Zugabe vorgetragen: „Freunde, das Leben ist lebenswert!“ aus Lehárs „Giuditta“. Wenn Flórez von heißen Augen singt, leuchten auch die seinen auf und als er während eines kurzen Klavier-Intermezzos einen weiblichen Gast gestisch zum Tanzen auffordert, zeigt er gleich daraufhin bedauernd ein zeitgemäßes Distanz-Zeichen. Der glasklar-gesungene Schluss-Teil „das Leben ist schön – so schön“ strahlt wie das Sonnenlicht und zeigt daher, wie recht er mit dieser Textzeile hat.
Nachdem ein Sessel hereingetragen wird, werden die Zuhörer zur musikalischen Reise ins ferne Süd-Amerika entführt. Nur mit einer Gitarre – sich selbst begleitend – folgt der emotionalste Teil des großartigen Abends. Ob „Cielito lindo“ von Quirino Fidelino Mendoza y Cortés, „Cucurrucuć paloma“ von Tomás Méndez oder ein peruanischer Gruß ans Heimatland: hier liegen Charme und Authentizität in der Luft, gepaart mit der einzigartigen Stimme, die einen eine so starke Gänsehaut fühlen lässt, dass man glaubt, man steigt direkt in den Himmel auf. Bei einer weiteren Zugabe – „Granada“ von Augustín Lara – besingt der Tenor auch die Blumen und zeigt beim spanischen „flores“ auf sich, was für Lacher sorgt. Zuletzt beweist Flórez Mut mit „Nessun dorma“ aus „Turandot“, was seit Pavarottis Zeiten oft den Schluss-Punkt bei Tenor-Konzerten bildet. Die Zuseher werden dirigierend eingeladen, statt des Chores mitzusummen und zuletzt heißt es für Juan Diego Flórez Sieg auf allen Ebenen – „VINCERÒ“.
Standing ovations und großer Jubel sind mehr als berechtigt – ein unvergleichlicher Höhepunkt der Konzertreihe, die Dominique Meyer am Ende seiner Amtszeit noch kurzfristig „aus dem Hut gezaubert hat“. Dafür und für die fantastischen Leistungen von Ensemblemitgliedern, das sich mit beliebten Solisten abwechselt, ist dem scheidenden Opern-Direktor herzlich zu danken.
Susanne Lukas