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WIEN / Staatsoper: LES TROYENS

15.10.2018 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper:
LES TROYENS von Hector Berlioz
Premiere:14. Oktober 2018

Wenn schon, denn schon „Les Troyens“, scheint als Motto über der Inszenierung von David McVicar zu stehen, die die Staatsoper nun – als vierte Station der Produktion – „eingekauft“ hat (Die Transportkosten – von London nach Mailand nach San Francisco und von dort nach Wien – sind wesentlich billiger, als wenn man die Dekoration selbst herstellen würde) . Auf dieses „Grand Opéra“-Riesenwerk von Hector Berlioz lässt man sich ganz und gar und ohne Mätzchen ein. Es wird keine „Interpretationsebene“ eingezogen – man zeigt einfach das Werk. Es findet keine skeptische In-Frage-Stellung durch die Nachwelt statt – man zeigt einfach das Werk. Das ist ein Konzept, das man akzeptieren muss – es gibt nicht nur eine Wahrheit auf dem Theater.

Dabei ist man gar nicht so total „gestrig“, dass es eine wirklich historisierende Geschichte zu sehen gäbe. Dann müssten die Bühne von Es Devlin, die Kostüme von Moritz Junge das klassische Griechenland und Nordafrika vermitteln, die Welt des Trojanischen Krieges, wie Homer sie erzählt. Aber hier ist man in den Kostümen ins 19. Jahrhundert geschlüpft, und die Dekorationen haben durchaus symbolischen Charakter (wenn auch auf die Sache selbst bezogen und nicht im luftleeren Raum). Die Mauern von Troja sind eine Art käfigartiger, nach außen gewölbter Rundbau, der sich öffnet, wenn das Pferd (ein Metallgerippe) hereingebracht wird. In Karthago ist die Atmosphäre freundlicher, man fühlt sich wie in einer der Wüstenstädte, die in den Sandstein hineingehauen werden. Das Modell der Stadt liegt entweder am Boden oder hängt in der Luft oder liegt auf der Seite, für die Schiffe der Trojaner braucht es nur Seile, die Vision von Rom erscheint am Ende als Popanz: Also ganz so „gestrig“, wie man es der Inszenierung nachsagt, ist zumindest die durchdachte Bühnenkonstruktion nicht. Und McVicar hat sich vielleicht nicht allzu sehr um die Nebenfiguren gekümmert, aber seine neue Didon zu einer atemberaubenden Leistung geführt…

Wer sich zur Vorbereitung (das darf ja sein) die DVD der Londoner Inszenierung angesehen hat, wo Anna Caterina Antonacci die Cassandre schlechtweg anbetungswürdig verkörpert hat, musste bei der Wiener Premiere mit ihrer Absage leben. Jedes Opernhaus, das etwas von sich hält, hat gute Cover bereit (wie man sieht, kann alles passieren), und so trat Monika Bohinec in dieser Rolle an und rettet den Abend. Der erste Teil, eineinhalb Stunden, die vor allem auf Cassandre ruhen, war dann nicht ganz so spannend. Aber anschließend ging’s los.

Joyce DiDonato sang mit schlanker, eher zur Helligkeit als zu Mezzotimbre neigender Stimme, die ungeheure Kraft und Reserven mobilisieren kann, ihre erste Didon auf der Bühne – und das muss man gesehen haben. Allein die Wandlung, die sie durchmacht: Zuerst die liebenswerte und geliebte Königin ihres Volks. McVicar fragt da nicht nach, ob die Karthager das vielleicht nicht ernst meinen, nein, er setzt um, was die Musik sagt, und die spricht von Glück – wenn auch ein bisschen viel gehüpft und geturnt wird dabei. Die Herren, die sich am Ende als Gruppe verbeugten, mögen Akrobaten gewesen sein…

Ja, und im Rahmen dieses Harmoniestrebens, das lange durchhält, sind auch die Balletteinlagen (Choreographie: Lynne Page, Einstudierung: Gemma Payne) zu erwähnen. Pittoresk, spektakulär, Unterhaltung im Stil der Großen Oper, aber doch auch immer der Versuch, sie irgendwie in die Handlung einzubetten. Wenn man nicht darauf verzichten will (für die Musiker sind es Orchesterpassagen, in denen man schwelgen kann), muss man sich etwas einfallen lassen, und das ist hier geschehen.

Dann wird Didon mit Aeneas konfrontiert, der mit Sohn und Gefährten aus Troja geflüchtet ist (im Pferd waren bekanntlich die Griechen und haben niedergemetzelt, was ihnen in den Weg kam). Da entspinnt sich eine Liebesgeschichte, die schön und zärtlich ausgeführt wird, nachdem Didons Schwanken, ob sie, die Witwe, sich einem anderen hingeben darf, nach vielen Zweifeln (die die DiDonato brillant spielt) besänftigt ist. Wenn die beiden endlich glücklich in ihrer Höhle verschwinden, kommen allerdings die bedrohlichen „Italien“-Rufe. Ja, es ist ein Jammer, dass Aeneas ausersehen ist, nach Italien zu gehen, damit seine Nachkommen Rom gründen können… (Sonst hätte es ja auch keinen Julius Caesar gegeben, der sich allerdings bei seinen Vorfahren weniger auf Aeneas, als auf dessen Mutter Venus berief. Eine Göttin im Stammbaum, das war schon etwas…)

Jene Zuschauer, denen der Abend (am Ende waren es ein paar Minuten über fünf Stunden) lang wurde und die in der zweiten Pause gegangen sind, in der Meinung, nach dem herrlichen Liebesduett könne nicht mehr viel kommen, haben geirrt. Da ist nicht nur der tragische Abschied von Aeneas, da hat dann die verlassene Didon ihre große Szene zwischen Liebe und Haß, Verzweiflung und Fassungslosigkeit, Aufbegehren und Raserei. Einzige Frage: Warum sie diese Monsterszene vor geschlossenem schwarzem Vorhang am Bühnenrand spielen und singen muss (auch wenn es ihr akustisch zweifellos entgegen kommt) – einleuchtend ist es nicht. Am Ende geht sie auf den Scheiterhaufen: Und wenn Joyce DiDonato im Gespräch erklärt hat, diese Rolle verursache ihr Gänsehaut, dann überträgt sie das vollinhaltlich auf die Zuschauer. Ihre Leistung als Darstellerin und Sängerin lässt den Atem stocken (dem Publikum, nicht ihr): Man weiß, wer sie ist und was sie kann, aber hier hat sie zweifellos einen neuen Höhepunkt ihrer Meisterschaft erreicht.

Brandon Jovanovich ist ein sehr ansprechender Enée, und mag auch sein Timbre nicht das schönste sein, was Technik, Einsatz und Überzeugungskraft als Figur betrifft (einfach ein klarer, sauberer Held), so ist er voll da.

Neben Aeneas und den Damen gibt es nur Nebenfiguren, da muss das Ensemble her. Dass ein so „junges“ Mitglied (gerade seit Saisonbeginn am Haus) wie Szilvia Vörös gleich eine Premiere bekommt und in der Rolle als Didons Schwester Anna mit schönem, klingendem Mezzo so reüssiert, dass sie neben der großen DiDonato nicht zurückfällt – das ist ein Glücksfall. Für sie und die Staatsoper.

Adam Plachetka als Chorèbe umwirbt im ersten Teil Cassandre mit rauer Stimme (im zweiten Teil ist er, wie sie und einige andere, nur noch kurz als Geist vertreten). Jongmin Park äußert die Zweifel eines Politikers an der Anwesenheit der Trojaner in Karthago (es geht ja auch schief, er hat schon recht), Paolo Fanale als Iopas darf eine tenorale Arie auf Ceres singen, Benjamin Bruns als Hylas kurz aus dem Schiffsausguck tenorale Heimatsehnsucht verkünden. Rachel Frenkel ist der Sohn von Aeneas, die anderen mögen sich mit einem Pauschallob begnügen.

Weit mehr verdient der Chor der Wiener Staatsoper: Wie in jeder „Grand Opéra“ (und das ist wahrlich eine) ist er einer der Hauptträger des Geschehens (in verschiedenen Gestalten), und die Damen und Herren des Hauses sind nicht nur prachtvoll, fast raumsprengend laut, wenn Berlioz das so will, sondern auch ungemein ausdrucksstark. Die Regie hat sich nicht mehr für sie ausgedacht, als sie einigermaßen sinnvoll zu verteilen – was ein Glück ist. Im Grunde hat David McVicar alles getan, um den Ablauf der Geschichte nichts zu stören. Solch selbstlose Regisseure gibt es ja kaum mehr.

Der wahre Held des Abends war Dirigent Alain Altinoglu, dem jeder Ton von Berlioz so wichtig war, dass er wirklich so gut wie nichts gestrichen hat. Nun, fünf Stunden sind nicht kurz, aber die Wiener Philharmoniker spielten in ihrer Eigenschaft als Staatsopernorchester unter Altinoglu auf, als ob sie unter Strom stünden. Das führte an den Aktschlüssen zu Begeisterungsausbrüchen des Publikums. Und am Ende war der Beifall schlechtweg frenetisch. Für Königin Joyce und alle anderen auch.

Renate Wagner

 

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