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WIEN/ Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO

03.01.2012 | KRITIKEN, Oper

WIENER STAATSOPER: LE NOZZE DI FIGARO  am  2.1.2012

 Es war schlimm genug, dass die wunderbare Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle dieser überaus nicht gelungenen Neuproduktion von Jean-Louis Martinoty weichen musste, aber wirklich ärgerlich ist es, dass sich schon jetzt erste Auflösungserscheinungen im Regiekonzept zeigen. Noch dazu, wenn es sich um eine der wirklich gelungenen Szenen handelte – die Ballszene mit dem Verlieren der Nadel und der vergeblichen Suche der Barbarina. Ewig schade darum – und ich denke, dass es doch möglich sein sollte, die entsprechende Choreographie einer Sängerin, die nicht bei der Premierenserie dabei war, beizubringen. Allerdings schien es, dass dieses Mal weniger (unnötige) Statisten durch die Szenerie wuselten.

 Von der Premierenserie sind fünf Sänger übrig geblieben, die allesamt eine wirklich gute Leistung ablieferten. Benedikt Kobel als Don Curzio und Marcus Pelz als Antonio sind hervorragend besetzt und fühlen sich in diesen Rollen hörbar wohl. Benjamin Bruns gibt dem Basilio wirklich die Charakterzüge, die man sich von dem intrigierenden Gesangslehrer erwartet und Sorin Coliban wächst stimmlich immer besser in die Rolle des Bartolo rein. Ja, er wirkt noch ein bisschen zu jung, aber über das kann man hinwegsehen!

 Donna Ellen sprühte vor Spielwitz, die Marzellina ist sicherlich eine ihrer besten und auffälligsten Rollen am Haus. Schade, dass ihre Arie im 4.Akt gestrichen wurde (nun, das gleiche Schicksal erlitt auch Benjamin Bruns). Ellen ist ein mütterlicher Typ und somit bestens für diesen Part geeignet. In den letzten Jahren wurden sehr oft viel zu junge Sängerinnen besetzt. Dass der Figaro auch im wirklichen Leben ihr Sohn sein könnte trug auch zur szenisch glaubwürdigen Umsetzung bei der Wiederfindung des entführten Sohnes bei.

 Als Barbarina kann man wenig falsch machen – es ist eine ähnlich dankbare Rolle wie der Gremin in Eugen Onegin. Sie ist nicht sehr groß, aber Mozart hat mit der Cavatina „L`ho perduta“, mit der der 4.Akt beginnt, eine der schönsten Melodien von überhaupt geschrieben, in einer für Sängerinnen relativ einfachen Tessitura. Der jungen Sopranistin Jeanine De Bique, aus dem Karibikstaat Trinidad & Tobago stammend (wahrscheinlich in der Geschichte der Staatsoper die erste Künstlerin aus diesem Staat, die hier auftritt), fehlt noch ein bisschen das Gespür für diese Rolle. Sie wirkte „über“-eifrig, sogar ein wenig hektisch. Auf Neudeutsch könnte man das, was sie abgeliefert hat, als „Overacting“ nennen. Die Stimme wirkt manchmal ein wenig scharf – man wird sehen, wie sie sich weiterentwickelt.

 Die größte Enttäuschung bei der Premiere war sicherlich (neben der Inszenierung) die Leistung der Sängerin des Cherubino. Nachdem die dann schon bald das Handtuch geworfen hat wurde die Serie von Isabel Leonard erfolgreich zu Ende gesungen und man(n) hoffte, dass sie in zukünftigen Serien zur regulären Besetzung zählen würde. Nun, dem ward nicht so (allerdings gibt sie hier demnächst ihr Rollendebüt als Barbiere-Rosina). Ein Neuzugang im Ensemble, Rachel Frenkel, verkörperte den „Adoncino d’amor“ und war dabei recht erfolgreich. Ich persönlich hätte mir stimmlich etwas mehr Tiefe gewünscht (Elina Garanca lässt grüßen) und ihr Spiel war zwar überaus putzig, aber ein wenig zu fragil (was bei der zarten Figur der Sängerin allerdings auch verständlich ist).

 Neu an der Staatsoper ist auch Christina Carvin, die sich dem Publikum als Contessa vorstellt. In den beiden letzten Jahren hörte man, dass Neuzugänge oftmals Probleme mit der Größe des Hauses hatten – und dies war auch bei dieser Künstlerin unüberhörbar. Sie steigerte sich zwar nach der Pause und das „Dove Sono“ war in Ordnung, allerdings muss man sie als Schwachpunkt des Abends bezeichnen. Das ist auch der Zeitpunkt, um dem Dirigenten Adam Fischer großes Lob auszusprechen. Er trug Sängerinnen und Sänger durch den Abend, sang immer mit und coachte vom Dirigentenpult aus die Künstler. Seine Mozartinterpretation entspricht viel mehr dem, was man sich unter einem Mozartklang vorstellt als das, was der Dirigent der Premiere zum Klingen brachte. Wieder ein Beweis mehr, dass die Stärken des Generalmusikdirektors des Hauses sicherlich nicht bei Mozart liegen.

 Einen sehr noblen Conte stellte Adrian Eröd dar, der aber schauspielerisch etwas gehemmt wirkte. Aber das ist wohl eher der Personenregie und dem Bühnen… (bild?) zuzuschreiben. Es wurde schon anderenorts beschrieben, dass Mozart seiner Stimme gut tut – dies kann ich unterschreiben.

 Anita Hartig ist eine bezaubernde Susanna, der aber vielleicht ein wenig „Süße“ in der Stimme fehlt. Ihrer Arie im 4.Akt fehlte das letzte Quäntchen Schmelz – allerdings kann man das der Sängerin nicht ankreiden, sie hat einfach ein Timbre, das für eine Susanna nicht ganz ideal ist und eine Stimme, die sich schon ein wenig von Mozart entfernt. Nicht umsonst hatte sie so viel Erfolg als Mimi und Musetta. Allerdings gefiel sie viel besser als die Sängerin der Premiere und zählte zu den Pluspunkten des Abends.

 Durch einen Zufall kam es für Adam Plachetka zum Rollendebüt als Don Giovanni. Als Figaro und Gugliemo ist er regulär angesetzt und somit der erste Sänger seit 1945, der an der Staatsoper diese drei großen Mozartrollen innerhalb einer Saison singt. Plachetka begann relativ verhalten, bei „Se vuol ballara“ hätte ich mir mehr Emotionen und Zorn gewünscht, doch von Minute zu Minute steigerte er sich und wurde schlussendlich vom Publikum absolut zu Recht gefeiert. Für einen Revolutionär wirkt er vielleicht sogar zu sympathisch und er bringt wirkliche Noblesse in sein Spiel ein (allerdings ist ja der Figaro ein „gentiluomo“). Ist es vermessen, sich bei seinem ersten Figaro an der Staatsoper schon auf ein baldiges Debüt als Conte zu freuen? Auf jeden Fall hat der junge Mann eine unglaublich positive Ausstrahlung, die sich auch auf seine MitspielerInnen und das Publikum überträgt. Ein wirklicher Gewinn für das Haus – und es ist zu wünschen, dass man jetzt schon Wege findet, ihn nach der Beendigung seines regulären Vertrages ab 2014 in irgendeiner Weise langfristig an das Haus zu binden!

Zu einer kleineren Völkerwanderung kam es zwischen dem 1. und 2.Akt im Parkett, als einige Besucher dachten, es sei schon Pause und versuchten, sich an einem selig vor sich hinschlummernden japanischen Gast vorbeizudrängen. Adam Fischer wurde Zeuge dieser „Massenbewegung“, wunderte sich erstmal still vor sich hin, bevor er das Publikum aufforderte, endlich still zu sein, damit die Aufführung weitergehen kann.

 Unterm Strich war es eine nette Repertoirevorstellung, nicht mehr, allerdings auch nicht weniger.

 Kurt Vlach

 

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