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WIEN / Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO

06.09.2017 | KRITIKEN, Oper

WIEN / Staatsoper:
LE NOZZE DI FIGARO von W. A. Mozart
40.
Aufführung in dieser Inszenierung
5.
September 2017

Früher waren die Verhältnisse klarer. Oder hätte ein Figaro-Graf / Don Giovanni- Eberhard Waechter je daran gedacht, auch seine eigenen Diener zu geben? Hätte ein Figaro / Leporello-Erich Kunz je die Augen in die Herrschaftsetage erhoben? Eben. Andererseits ist Mozart selbst schuld, wenn er die zentralen Rollen dieser beiden Opern Bassbaritonen in die Kehle legt – und wenn sie versatil genug sind, „können“ sie beide Rollen. Singen und spielen. So wie Erwin Schrott oder Bryn Terfel. So wie Carlos Alvarez oder Adam Plachetka, die einander Ende der vorigen Saison als Figaro und Graf gegenüber gestanden sind. Aber ehrlich – was soll das? Dass man eine Rolle singen kann, macht noch keinen Grafen daraus. Und ein geborener Graf als Diener? Man weiß doch, um Gottes Willen, wer man ist!
Nun, diesmal waren die Dinge zurechtgerückt bei Almavivas in Sevilla – Carlos Alvarez als Graf und Adam Plachetka als Figaro. Jeder an seinem Platz. Es konnte losgehen.

Anfangs mühte sich der „Figaro“ unter der Leitung von Adam Fischer noch ein bisschen, im ersten Akt auf Touren zu kommen (und die Herren im Orchester plauderten und erzählten einander Witze, wenn sie nichts zu tun hatten – von der Galerie Seite sieht man das sehr gut) – aber vom zweiten Akt an lief das Mozart-Werkl wie geschmiert, buffa-komisch, wenn auch eher von der derben Sorte, aber getragen von ein paar großen Persönlichkeiten, die bis zum Ende dafür sorgten, dass Laune und Stimmung nie abrissen.

Carlos Álvarez als Conte d’Almaviva ist ein Gransignore, was nicht heißt, dass er ein angenehmer Mensch ist. Im Gegenteil – dieser große Herr ist kein Schwächling, er fühlt sich von seiner Umwelt sehr belästigt, ein Mann, der sich auch von der Dienerschaft nichts bieten lassen will. (Keine Spur von dem von seiner Stellung überforderten Neurotiker, den etwa Keenlyside so hinreißend hinstellt.) Selbst als Frauenheld ist dieser Graf kein Charmeur, sondern ein Fordernder. Eine großartige Studie, die keine Angst davor hat, die Figur unsympathisch zu machen. Immerhin – er ist ein Herr, er weiß, dass man niederzuknien hat, wenn man seine Gattin (noch dazu zu solchen Klängen!) um Verzeihung bittet! (Das hat diese Inszenierung ja bewusst vorenthalten, aber ein großer Interpret kann schließlich machen, was er für richtig erachtet – und was richtig ist.) Dazu kommt, dass Carlos Álvarez wieder auf die volle Fülle seiner Stimme zurückgreifen kann – das und seine Präsenz, das gibt einen Almaviva, den man nicht vergisst.

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Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Adam Plachetka steckt in jeder Hinsicht richtig im Dienergewand, auch er keine angenehme Erscheinung, der im ersten Akt (richtig) viel Wut zeigt, später allerdings lockerer wird – dennoch hätte man vielleicht gern noch ein bisschen Humor und Charme als Draufgabe bekommen, schließlich soll der souverän-überlegene Diener der Sympathieträger der Oper sein. Stimmlich war sein Figaro irgendwo im Mittelfeld angesiedelt, aber man kann auch nicht immer in Hochform sein.

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Ein Genuß ist die Contessa der Dorothea Röschmann, einfach, weil sie so viel über die Rolle weiß. Ihr zuzusehen, ist ein Vergnügen, ob sie seufzend der Lust auf Cherubin fast nachgibt oder ob sie ihrem Gatten (wenn auch gelegentlich mit zitternden Knien) die Stirne bietet… da stimmt jedes Detail. Stimmlich bringt sie jenen (Strauss’schen) Silberklang mit, den alle großen Gräfinnen hatten, wenngleich man manchmal auch zu hören meinte, dass Stimmen nicht ewig halten…

Für die Amerikanerin Andrea Carroll, die an diesem Abend ihre erste Susanna an der Staatsoper sang, ist es (nach Zerlina und Norina) ihre bisher größte Rolle am Haus. Man hat in ihr eine hübsche, temperamentvolle Interpretin der Rolle, mit heller, klarer, allerdings zu harter Stimme – nur in der „Rosenarie“ gelang es, etwas von jener „Seele“ in den Gesang zu legen, der hier bei Mozart und gerade bei dieser Figur unabdingbar ist. Aber dergleichen entwickelt sich zwischen Sänger und Rolle erst in vielen, vielen Aufführungen…

Auch für Margarita Gritskova war der Cherubino an diesem Abend ihr Wiener Debut in dieser Rolle, die sie ja an anderen Häusern schon gesungen hat und für die sie eine wunderbar schlanke Knabenfigur mitbringt (eine Erholung nach so manch korpulenter Dame als „Bub“). Sie hat sich geradezu in die Rolle gestürzt und ist witzig präsent, klingt aber eindeutig zu „sopranig“: Hier sollte zu den beiden hellen Frauenstimmen ein echter Kontrast zu hören sein.

Von den Nebenrollen sei Maria Nazarova als Barbarina genannt, fast nicht zu erkennen, weil das sonstige Blondinchen hier dunkelhaarig erscheint – aber mit so viel Präsenz und ausgefeilter Detailarbeit an der Mini-Rolle, dass man sie stärker wahrnahm als viele Kolleginnen früher. Und dass der Schritt von einer gelungenen Barbarina zur Susanna nicht weit ist… das wird sich ja wohl an der Staatsoper erweisen, wo man dem Nachwuchs gegenüber so besetzungsfreudig ist.

Mit mehr als dreieinhalb Stunden ist der „Figaro“ bekannt lang, und tatsächlich verabschiedeten sich viele Besucher in der Pause (oben war danach unsere ganze Reihe leer): Aber wer den zweiten Teil versäumt hat – der hat etwas versäumt.

Renate Wagner

 

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