WIEN/ Staatsoper: LA TRAVIATA am 16.5.2012
Die erste La traviata – Folgeserie der auf Natalie Dessay zugeschnittenen Inszenierung, die uns als Co-Produktion mit Aix-en-Provence im Herbst 2011 vorgestellt wurde sollte zeigen, ob diese schmuck- und ideenlose Interpretation von Jean-Francois Sivadier ohne die Dessay funktioniert und repertoiretauglich ist. Es ist keine große Überraschung, dass man beide Fragen mit einem klaren NEIN beantworten muss. Nach vorherrschender Meinung in den Premierenkritiken war die schauspielerische Darbietung der Dessay beeindruckend, die gesangliche Leistung höchstens mittelmäßig. Das hat sich insoferne geändert, dass jetzt auch die schauspielerische Darbietung mittelmäßig ist.
Man sollte bei dieser verunglückten Umdeutung der Geschichte der Kameliendame von Alexandre Dumas mit den Akteuren nicht zu streng ins Gericht gehen; in diesem Umfeld hätte auch Sarah Bernhardt nichts ausrichten können – weder Dumas noch Verdi hätten damit Erfolg gehabt. Das alles ist für das Festival in Aix nicht so schlimm – danebengelungen und vorbei. Die Leidtragenden der Misere sind wir, die regelmäßigen Opernbesucher, die im Repertoirebetrieb mit diesem „Meisterwerk“ leben müssen; oder müssten, weil es ja zum Glück noch die hervorragende Gratzer – Inszenierung in der Volksoper, oft wesentlich besser als am Ring gesungen – gibt. Es ist sehr traurig, dass ein Haus mit dem Bildungsauftrag und den touristischen Verpflichtungen wie die Wiener Staatsoper die Fixpunkte des Repertoirs wie Zauberflöte, Hochzeit des Figaro, Fidelio, La traviata und La Bohème immer weniger mit sehr guten, authentischen Interpretationen präsentieren kann. Als Einstiegsoper für Neulinge ist La traviata derzeit jedenfalls verloren.
Die musikalische Umsetzung erreichte keinesfalls das gewohnte Niveau in diesem Haus. Bertrand de Billy ließ mit dem Staatsopernorchester und dem Staatsopernchor eine gute aber nicht besonders beeindruckende Interpretation hören. Die verlässlichen Mitglieder des Sängerensemles – Juliette Mars (Flora), Donna Ellen (Annina), Carlos Osuna (Gaston), Clemens Unterreiner (Douphol), Il Hong (Marquis) und Dan Paul Dumitrescu (Grenvil) bemühten sich erfolgreich und lieferten die positiven Eindrücke des Abends.
Zeljko Lucic als Giorgio Germont sorgte mit seiner stimmlichen Gestaltungsfähigkeit für die wenigen Höhepunkte der Vorstellung. Der Bogen vom herrischen Landedelmann über den betroffenen,egoistischen Vater bis zum reuevollen aber wehleidigen, schlechten Gewissen wurde gesanglich eindrucksvoll dargestellt.
Ähnliches kann man von Ermonela Jaho (Violetta) und Francesco Demuro (Alfredo) leider nicht berichten – beide waren mit ihrer Rolle hoffnungslos überfordert und erreichten nicht annähernd Staatsopernniveau. Eine genauere Beschreibung verbietet die Höflichkeit.
Dieser Tiefpunkt der Besetzungspolitik schadet sowohl der Entwicklung der jungen Sänger als auch dem Image des Hauses. Viele solche Abende sollte sich die Wiener Staatsoper aus Rücksicht auf das eigene Ansehen nicht leisten.
Maria und Johann Jahnas