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WIEN / Staatsoper: LA TRAVIATA

Die Ursache der Tragödie bleibt in Simon Stones schicker Inszenierung unplausibel

 

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Kristina Mkhitaryan (Violetta Valéry) und Amartuvshin Enkhbat (Giorgio Germont): Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LA TRAVIATA

13. Vorstellung in dieser Inszenierung

7. Feber 2023

Von Manfred A. Schmid

Anpassung ist ein Überlebensinstinkt und zementiert den Status Quo. Anpassungsverweigerung aber ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Veränderung von als unzureichend empfundenen Zu- und Umständen. Als gelernter Wiener schlängelt man sich freilich in der Regel meist auf einem Mittelweg durchs Leben: Ein bisschen Sudern, um sich dann mit den Gegebenheiten doch noch abzufinden und sich – wie es heißt – „zu arrangieren“.

Die 13. Aufführung von Simon Stones Inszenierung von Verdis La Traviata und deren dritter Besuch gibt jedenfalls Anlass genug, das Gebotene erneut einem Augen- und Ohrenschein zu unterziehen, wenn auch anzumerken ist, dass die Besetzung in den wichtigsten Rollen gegenüber der achten Vorstellung vom 31. Oktober vergangenen Jahres identisch geblieben ist. Kristina Mkhitaryan als Violetta Valéry betört auch diesmal mit ihrem samtigen lyrischen Sopran und ihren darstellerischen Fähigkeiten. Ihre wehmütig dargebotene Romanze „Addio, del passato bei sogni ridenti“ am Beginn des 3. Akts berührt zutiefst. Ganz aber nimmt man Mkhitaryans Violetta die Influencerin und das It Girl, als die sie in dieser Inszenierung aufzutreten hat, aber nicht ab. Da war die Premierenbesetzung mit Pretty Yende wohl stimmiger.

Dmytro Popov, ein stimmstarker Alfredo ohne Höhenprobleme und Charme, liefert gesanglich eine rundum solide Leistung ab. Am überzeugendsten in muskalischer Hinsicht gerät der Auftritt von Amartuvshin Enkhbat als Vater Giorgio Germont, der um die Wiederherstellung der Familienehre kämpft und die menschlichen Qualtäten der Geliebten seines Sohnes dennoch zu würdigen weiß. Darstellerisch eine baritonale Ausgabe des unvergessenen Johann Botha, macht er – wie jener – mit seiner ausdrucksstarken, Wärme verstrahlenden Stimme vieles wett, was er im Spiel vermissen lässt. Die emotional bewegende Konfrontation mit Violetta, sein „Piangi, o misera, piangi“, gehört – wie schon im Vorjahr – zu den stärksten Szenen des Abends.

Neu ist Daria Sushkova als Flora Bervoix. Die blutjunge russische Mezzosopranistin, Mitglied des Opernstudios, hat schon als Prinz Orlofsky in der Silvestervorstellung der Fledermaus gezeigt, dass und warum sie, stimmlich wie auch darstellerisch, zu großen Hoffnungen Anlass gibt. Auch als Freundin von Violetta gelingt es ihr mühelos, sich in der It-Girl-Szene zu behaupten und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auf ihre nächsten Schritte auf der Karriereleiter darf man gespannt sein.

Die übrigen Rollen sind durchwegs mit guten, in der jeweiligen Rolle bereits bewährten Kräften aus dem Haus besetzt. Bis auf Urgestein Dan Paul Dumitrescu als Doktor Grenvil fast durchwegs junge Stimmen, die erst vor kurzem ihre Probezeit im Opernstudio erfolgreich beendet hatten und zu Ensemblemitgliedern ernannt worden sind. Zu erwähnen Noa Beínart als Annina, Robert Bartneck als Gaston, Michael Arivony als Baron Douphol sowie Stefan Astakhof als Marquis von Obigny, der von der Kostümbildnerin Alice Babidge beim lächerlichen Maskenball-Fest im 3. Akt dazu gezwungen wird, mit einen verkehrt umgeschnallten Plastik-Penis am Gesäss herumstolzieren zu müssen.

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Amatuvshin Enkhbat (Giorgio Germint) und Dmytro Popov (Alfredo Germont)

Damit ist auch schon die Inszenierung an der Reihe. Mondän und aalglatt, wie ein Werbespot für ein Luxusauto (dass es dann tatsächlich auf der Bühne gibt), hat Simon Stone den 1. Akt angelegt. Riesengroße Meldungen und Chats auf social-media-Kanälen dominieren die Bühne, die von Menschen bevölkert wird, die, auf ihr Handys stierend, immer wieder Nachrichten schreiben oder ablesen, wenn sie nicht gerade dabei sind, Selfies von sich und mit wichtigen Bekannten oder Promis zu machen. Endlich ist also erreicht, dass nicht nur auf den Rängen der Galerie Opernbesucher, auch während der Vorstellung, auf die hellleuchtenden Displays ihrer Handys starren, um offenbar ständig lebenswichtige Nachrichten abzufragen, sondern dass Selbiges auch auf der Bühne ausgiebig zu sehen ist. Dass damit die Aufmerksamkeit stark abgelenkt wird, scheint – was das Geschehen auf der Bühne betrifft – niemanden zu kümmern. Im Zuschauerraum ist immerhin zu verfolgen, wie direkt gegenüber, auf der rechten Galerieseite. eine Platzanweiserin einschreitet und einen Handybenutzer ermahnt, das besser zu unterlassen.

Der 2. Akt ist ebenfalls ein langer Werbespot. Diesmal, mit Traktor, Schubkarre und Weinbottich, Reklame für ein Lagerhaus im ländlichen Raum, möglicherweise Hollabrunn (?). Ein kleines Kircherl gibt es auch. Es fehlt nur noch das Ja-natürlich-Schweinderl des Biobauern Alfredo, der die Weintrauben mit nackten Füßen zerstampft. Dafür aber gibt es spärlich besetzte Heurigengarnituren. Dass der Boden steril weiß ist, mag zwar befremden, man ist aber dankbar, dass diesmal – anders als in der neuen Salome – kein Parfümeur zu passenden Dufterzeugung zum Einsatz kommt.

Der letzte Akt knüpft wieder – mit Ausnahme des Krankenzimmers – an den ersten an. Leider dreht sich die Bühne in einem fort, so dass die todkranke Violetta trotz ihres körperlichen Verfalls und bedrohlicher Atemnot noch rund zwei Kilometer zu Fuß hinlegen muss, bis sie endlich in einem neblig-hellen Spalt verschwinden und ihr Leben aushauchen darf.

Viel Aufwand also, um eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart zu versetzen. Ob sich das lohnt? Die Crux der Handlung, die Frage der Ehre, die zur Tragödie führt, ist in der hier dargestellten Welt der Schönen und Reichen längst keine Frage mehr. Dass ein saudischer Prinz Alfredos Schwester, wegen seiner Liaison mit einer Influencerin, verlassen hat, ist an Lächerlichkeit und Unglaubwürdigkeit kaum zu übertreffen. Simon Stone viel Kunstfertigkeit in seine Übertragung des historischen Stoffes in ein spezifisches Milieu der Gegenwart gesteckt und scheitert schon an der Grundkonstellation der Handlung, mit der er es zu tun hat. Verlorene Liebesmüh.

Musikalisch kommt das Dargebotene recht gut an, es gibt Arien- und Szenenapplaus während der Vorstellung, aber nicht in Übermaß.  Der Schlussapplaus fällt, trotz des gewohnt stimmigen Chors und der guten Leistung des Orchesters unter der Leitung von Nicola Luisott, kräftig, aber äußerst kurz aus. Ein echter Renner schaut anders aus und hört sich auch anders an.

 

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