Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn
WIEN / Staatsoper:
LA TRAVIATA von Giuseppe Verdi
57. Aufführung in dieser Inszenierung
16. September 2018
Diesen Sommer hatte Albina Shagimuratova Pech – gelobt als Königin der Nacht bei den Salzburger Festspielen, erkrankte sie ausgerechnet bei der Fernsehübertragung. So kamen ihre Koloraturen nicht in die Wohnzimmer. An der Wiener Staatsoper hat sie die Rolle (allerdings vor längerer Zeit) schon gesungen, auch die Musetta und die Donna Anna. Aber die Traviata ist – wie viele “Titelheldinnen”, Tosca oder Aida – etwas Besonderes. Und ihr Wiener Rollendebut fiel auch besonders aus.
Interpretinnen der Violetta, die auch das Äußere der Rolle mitbringen, haben es leichter. Damit kann Albina Shagimuratova nicht dienen. Aber sie ersetzt es durch ihren Gesang. Hundertprozentig. Man erinnert sich nicht, seit langem eine so schöne, überzeugende Traviata-Stimme gehört zu haben. Volle Mittellage, schlanke, strahlende Höhe, mühelose Koloraturen, kein Spitzenton eine Qual (und auch keiner ausgelassen), herrliche Piano-Kultur und raffinierte Technik prächtiger Schwelltöne. Und die Rolle aus der Musik gestaltet, so sauber, richtig und ausdrucksstark, wie man es sich nur wünschen kann. (Und die Sängerin zeigt auch, dass man nicht jeden verordneten Unsinn mitmachen muss. Sie lässt sich im letzten Akt das Gesicht nicht mit weißer Schminke verkleben, dass sie aussieht wie ein Clown – was der Würde des Sterbens sehr abträglich ist -, und sie weigert sich auch, am Ende stehen zu bleiben, als siegreiche Ikone. Sie fällt – natürlich, Violetta stirbt, das erzählen die Geschichte und die Musik. Was soll der Inszenierungs-Schwachsinn?)
Ihr zur Seite der Slowake Pavol Breslik, der kann, was nicht jedem slawischen Tenor gelingt – nämlich “italienisch” singen, die Führung der Kantilene, der Schmelz, wo er sich entfalten soll, die starken, aber nie steifen Spitzentöne. Als Darsteller wirft er sich ins Geschehen, wie man es von einem ambitionierten Interpreten erwarten kann.
Den römischen Einser für Rollengestaltung wird er allerdings nicht gewinnen, der ging an diesem Abend – natürlich wieder – an Simon Keenlyside. Man kennt seinen Germont von einer Serie vor fünf Jahren, inzwischen hat er sein Rollenbild in Details, allerdings nicht grundsätzlich gemildert. Das ist nach wie vor alles andere als ein Père noble, das ist wieder der ärgerliche Bürger, der sich von dieser edlen Kurtisane, der sein Sohn (aus seiner Sicht) auf den Leim gegangen ist, so gar nicht einfangen lässt. Er hält Distanz, wirkt belästigt und ungeduldig, wenn Violetta das Gespräch nicht und nicht beenden will. Mit seinem Sohn ist er auch wütend, aber da spürt man sofort den Stimmungsumschwung, hier geht es auch um väterliche Liebe. Immerhin ändert er sich im letzten Akt – ja, angesichts der Sterbenden geniert er sich für sein Verhalten. Aber trotzdem gilt seine Sorge nur dem Sohn…
Eine bemerkenswerte Studie, wobei sich der harsche Umriß der Rolle auch in Keenlysides Stimme spiegelt. Gewiß, er hat sie nach seiner Krankheit wieder, aber sie fließt nicht leicht, sondern spröde und wird auch immer wieder forciert. Zu diesem Germont passt das, und das Publikum spürte im 2. Akt fraglos, dass seine solche Künstlerleistung nicht alltäglich ist.
Bongiwe Nakani (als getreue Annina) besticht immer wieder durch die echte Herzlichkeit, die sie ausstrahlt. Die neue Flora, Szilvia Vörös, wurde wohl ihrer Stimme wegen engagiert und ließ aufhorchen. Dazu die obligate Herrenbesetzung.
Um den Erfolg des Abends voll zu machen, stand Evelino Pidò erstmals in Wien für “La traviata” am Pult, und siehe da, höre da, da atmet einer mit, da hat jemand Gefühl für Emotionen und musikalische Nuancen und klopft nicht nur italienisches Repertoire herunter. Das Publikum war hörbar schwer beeindruckt von dem Abend, und das zu Recht.
Ceterum censeo, dass diese Traviata-Inszenierung in hohem Bogen weggeschmissen gehört (delendam esse!), sie ist eine Beleidigung für Verdi und die Wiener Staatsoper. Bitte an die nächste Direktion: eine neue “Traviata”. Das ist fast noch wichtiger als ein neuer “Ring”, denn den sieht (und erleidet derzeit) man nicht so oft wie Violettas Schicksal…
Renate Wagner