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WIEN / Staatsoper: LA TRAVIATA

25.09.2017 | KRITIKEN, Oper

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Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper:
LA TRAVIATA von Giuseppe Verdi
50.
Aufführung in dieser Inszenierung
24.
September 2017

Drei Wiener Rollendebuts in den Hauptrollen von „La Traviata“, ein ziemlich volles Haus, viele Touristen auf den Sitzplätzen. Publikumsanteilnahme, ein herzlicher Erfolg am Ende – so kann Repertoire gut und gern sein.

Zumal mit einer Hauptdarstellerin, die mittlerweile Weltkarriere macht, aber in Wien selten zu sehen ist. Wir haben Olga Peretyatko, als sie noch nicht ihren Gatten zum Doppelnamen Olga Peretyatko-Mariotti hinzugefügt hat, als Elvira, Gilda und zuletzt als Adina gesehen. Nun also die Traviata, unter den Verdi-Starrollen eine der anspruchsvollsten, am schwersten zu singen und zu spielen.

Nun, Olga Peretyatko-Mariotti ist eine Schönheit, so schön war seit der jungen Netrebko niemand mehr, das Bild einer schlanken Schwarzhaarigen: eine solche Bühnenerscheinung ist schon die halbe Miete. Und sie hat spürbar ausführliche Erfahrung mit der Rolle, sie weiß sie bis ins Detail zu spielen, in Krankheit, Liebe und Leid – und sie hat das fugenlos in Wiens Unglücksinszenierung eingefügt. Dabei hat sie nicht jede Dummheit mitgemacht – dass Violetta in dieser Inszenierung stehend stirbt bzw. solcherart nicht stirbt, sondern ins Publikum starrt, hat sie zumindest damit unterwandert, dass sie sich fallen ließ, sobald das Licht ausging… Zumindest geahnt hat man es also doch. Sehr gescheit.

Nicht ganz perfekt war der stimmliche Umriß an diesem Abend, nicht nur, weil der finale Spitzenton bei „E strano“ einfach gekappt wurde, es gab immer wieder heisere, schärfere Passagen und Löcher in der Stimme, es klang nach nicht völlig souveräner Beherrschung, eigentlich nach leiser Indisposition. Und manchmal erschien die Stimme, wie auch bei ihrem Partner, zu klein.

Nun hat James Gaffigan zwar äußerst drängend, intensiv und meist „stark“ dirigiert, aber dass er grundsätzlich zu laut gewesen wäre, kann man nicht sagen.

Jean-François Borras ist kein Neuling an der Staatsoper, er hat sein französisches Repertoire hier gesungen (Werther, Des Grieux und Faust), auch einen Rudolf, er kennt das Haus, aber vielleicht muss er sich wieder an die Dimensionen gewöhnen. Piani müssen klingen, wenn sie zu leise sind, verhauchen bzw. verenden sie – und das passierte mehr als einmal (abgesehen davon, dass auch er sich den einen oder anderen hohen Ton schenkte). Immerhin hat der kraftvolle Herr ein sehr schönes Timbre, konnte allerdings nichts – was seiner Partnerin so souverän gelang – durch darstellende Künste retten oder aufputzen. Es war auch meist nicht nötig.

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Interessant war Ensemblemitglied Paolo Rumetz in der Rolle des Giorgio Germont. Den kann man bekanntlich auf jede beliebige Art interpretieren – Keenlysides belästigter Neurotiker etwa oder Domingos Frauenheld, der dieser Violetta keine fünf Minuten widersteht, und noch zahllose Möglichkeiten dazwischen. Rumetz spielt, in gespannter Körperhaltung und stimmlich hart akzentuierend, den strengen Vater schlechthin, er lässt sich weder von Violettas Schönheit noch Edelmut rühren, er will nur sein bürgerlich-starres Ziel erreichen. Auch beim Fest bei Flora erscheint er nicht, um für die gedemütigte Violetta einzutreten, sondern, um den Sohn wegzuholen – und im Sterbeakt desgleichen. Es ist in der Inszenierung so angelegt, wurde aber selten in einer so starken Studie realisiert.

In den Nebenrollen waren die Damen bemerkenswert, die scharf konturierte Flora der Ilseyar Kharyrullova und die ergreifend anteilnehmende Annina der Rollendebutantin Bongiwe Nakani. Erstmals hörte man Ayk Martirossian mit schöner Bassestiefe als Dr. Grenvil.

Es war kein Abend, den man sich ins Tagebuch der großen Aufführungen schreibt, aber wie sagte doch der große Piero Rismondo in seinem Kritik-Seminar in der Theaterwissenschaft anno dazumal? „Im Alltag zahlt man ja auch nicht mit Goldmünzen.“

Renate Wagner

 

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