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WIEN / Staatsoper: LA FILLE DU RÈGIMENT

Ein stimmiger, gut gelaunter und für gute Laune sorgender Opernabend

Pretty Yende (Marie) und Ensemble (Chor). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LA FILLE DU RÉGIMENT

33. Aufführung in dieser Inszenierung

28. Dezember 2022

Von Manfred A. Schmid

Das Aufeinandertreffen der französischen Besatzungsregimenter mit der Tiroler Bevölkerung, Anfang des 19. Jahrhunderts, war – Stichwort Andreas Hofer – eine todernste Sache. Kaum zwei Jahrzehnte später diente es aber schon als Ausgangspunkt einer Opéra Comique von Gaetano Donizetti, in der das Verhältnis zwischen der Tiroler Landbevölkerung und den Invasoren romantisch verklärt wird. Ihr Umgang mit- und untereinander wird als überaus rücksichts- und verständnisvoll dargestellt. Nur der dekadente, von Falschheit und Verlogenheit geprägte Adel wird hier – 50 Jahre nach der Französischen Revolution – dem beißenden Spott preisgegeben.

15 Jahre ist es her, dass diese Oper in einer Koproduktion mit der Royal Opera Covent Garden und der New Yorker MET, ihre Wiener Premiere feierte und zu einem der großen Erfolge der Ära Holender wurde. Die unterhaltsame, liebenswürdige Inszenierung von Laurent Pelly nimmt die Handlung nicht allzu ernst, sondern entzündet ein kabarettistisch angehauchtes Feuer, in dem es immer aber auch sehr „menschelt“. Sie hat an Charme nichts eingebüßt, kann noch immer perfekt unterhalten und das Publikum in Ihren Bann ziehen. So viel gelacht wurde im Haus am Ring schon lange nicht mehr. Dafür sorgt ein perfekt einstudiertes, hochrangig besetztes und gutgelauntes Ensemble sowie die packende Musik Donizettis, die die dramaturgische Vorlage perfekt umsetzt und Militärmärsche mit romantisch-lyrischen Episoden, possierlich-komischen, tänzerischen Einlagen und melancholisch gestimmten Reflexionen verknüpft. Michele Spotti am Pult des blendend aufspielenden Staatsopernorchesters serviert diese wundersam bekömmliche Melange mit Verve und wohltuender Lockerheit. Hervorzuheben die Hörner am Anfang und das elegische Solocello in den beiden Arien der Marie, in denen sie ihr Schicksal beklagt, der idyllischen Familienatmosphäre ihres Regiments entzogen und zur Adeligen wider Willen gemacht zu werden.

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Pretty Yende (Marie) Juan Diego Flórez (Tonio), Adrian Eröd (Sulpice)

Bei der Premiere 2007 schon dabei war Juan Diego Flórez. Der aus Peru stammende, in Wien schon längst Publikumsliebling gewordene Tenor ist als Tonio ein überaus sympathischer Tiroler Naturbursche, der aus Liebe zu Marie, der Marketenderin des Regiments, sogar dazu bereit ist, sich als Soldat bei den Franzosen einschreiben zu lassen. Am Schluss fährt er tatsächlich mit einem Panzer (den es damals natürlich noch gar nicht gab) vor, um Maries Verehelichung mit einem Grafen zu stoppen. Flórez wurde erneut als indisponiert, wenn auch nicht mehr so stark wie bei der ersten Vorstellung, angesagt. Vernommen hat man davon kaum etwas. Er glänzt in dieser Paraderolle wie eh und je und bewältigt die vielen hohen „Cs“ mühelos, weiß aber auch mit seiner innig vorgetragenen Arie im 2. Akt zu bezaubern. Im Belcanto ist er weiterhin ein strahlender Maßstab für alle Kollegen. Ausflüge in fremde Gesangsterritorien – wie etwa die Titelpartie in  Faust – könnte Flórez ruhig von seiner Liste streichen. Die liegen ihm (noch?) nicht so recht. Zudem wird er anderweitig dringend gebraucht. Auch seinen jüngsten Auftritt als Sänger im Rosenkavalier hätte er sich schenken können. Denn da wurde er nicht, wie im Zuge des derzeit angesagten Jordan Bashings behauptet, vom zu lauten Orchester zugedeckt, sondern das ist einfach nicht das richtige Material für seine Stimme.

Pretty Yende als Marie ist eine wunderbare Besetzung. Auch sie war in letzter Zeit schon in Rollen zu erleben, die sie sich besser noch nicht zugemutet hätte. Als Violetta in Verdis La Traviata konnte sie nicht überzeugen, als Adina schon. Gerade die Marie aber ist ihr wie auf den Leib geschneidert. Da begeistert sie mit ihrer etwas burschikosen Darstellung einer Frau, die ausschließlich unter Männern von Männern aufgezogen wurde und sich dennoch mit ihrer fröhlichen, handfest zupackenden Art behaupten kann und von allen geliebt und geschätzt wird. Auch gesanglich ist sie hervorragend und hat keine Scheu, in der „Gesangsstunde“ im 2. Akt zu singen, als wäre hier eine Florence Foster Jenkins in jungen Jahren am Werk. Komik liegt ihr im Blut. Und dann passt es auch, wenn einmal etwas „süper“ findet und sich mit einem „Tschüss“ von Sulpice verabschiedet.

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Stephanie Houtzeel (Marquise von Berkenfield) und Marcus Pelz (Hortensius)

Als umsichtiger Sulpice tritt Adrian Eröd in Erscheinung. Eigentlich eine Luxusbesetzung für den Sergeant, aber ein großer Gewinn, weil er dem „Spieß“ des Regiments ein sehr eigenes Profil verleiht: Ein in seiner Korrektheit und Anständigkeit etwas schrullig wirkender Unteroffizier, im Grunde aber ein Mann mit einem sehr großen Herz. Komisch und menschlich berührend zugleich.

Stephanie Houtzeel gehört in diesem Herbst zu den am meisten eingesetzten Sängerinnen in Aufführungen an der Wiener Staatsoper. Die Mezzosopranistin besticht mit ihrer Darstellung fein gestalteter, gerne etwas „schräg“ und „ver-rückt“ wirkender Charaktere und ist damit bestens geeignet für exaltierte, mit einer immensen Lebenslüge einherstolzierende Marquise von Berkenfield, die am Schluss ziemlich düpiert dasteht und sich der Wahrheit und den Tatsachen stellen muss. Die von ihr geleitete „Gesangsstunde“ mit Marie ist ein komödiantisches Kabinettstück. Mit ihrem ungemein komischen Haus- und Hofmeister Hortensius, köstlich dargestellt von Marcus Pelz, sind beide ein exzellentes Buffopaar.

Nicht sehr geglückt, weil zu wenig ausgestaltet, sind die Auftritte von Marianne Nentwich als skurrile Herzogin von Crakentorp. Es macht offenbar schon Sinn, wenn diese Rolle gerne mit erfahrenen Sängerinnen besetzt wird. Marjana Lipovsek etwa ist in bester Erinnerung, ganz zu schweigen von Montserrat Caballe in der legendären Premierenbesetzung.

Insgesamt ein stimmiger, gut gelaunter und für gute Laune sorgender Opernabend im ausverkauften Haus. Begeisterter, anhaltender Applaus. Die Latte liegt hoch für Die Fledermaus und einen damit erwarteten, fröhlichen Jahresausklang. Nicht ausgeschlossen, dass man ihn diesmal schon vier Tage davor erlebt haben könnte.

 

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