
Dmitry Korchak (Don Ramiro) und Vasilisa Berzhanskaya (Angelina). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper: LA CENERENTOLA
51. Aufführung in dieser Inszenierung
5. März 2023
Von Manfred A. Schmid
Sven-Eric Bechtolfs schrille, bunte, überdrehte La Cenerentola-Inszenierung aus dem Jahr 2013, in der die Handlung in ein merkwürdiges Mini-Königreich mit italienischem Ambiente versetzt ist, hat es seit vergangenem September noch schwerer: Die Wiederaufnahme von Achim Freyers fantasievoll ausgestatteter, humor- und liebevoll, mit Anleihen bei der commedia dell’arte inszenierter Volksopern-Produktion lädt zu einem Vergleich ein und kann dabei einen klaren Punktesieg gegenüber dem etwas zu modernistisch unterkühltem Angebot im Haus am Ring einheimsen. Freyers La Cenerentola wurde erst am vergangenen Samstag wieder auf 3sat ausgestrahlt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht.
Bechtolfs Regie fehlt es nicht an gelungenen Gags, wie etwa die tanzende und rotierende Landkarte, um nur ein Beispiel anzuführen, aber die Sinnhaftigkeit der Übertragung des Märchens in die Gegenwart will sich nicht so recht erschließen. Da hätte Bechtolf mehr daraus machen müssen. Etwa dadurch, dass er der Traumhaftigkeit der Handlung, die nur angedeutet bleibt, in seinem Konzept mehr Raum zugemessen hätte. Traum statt Märchen: Das hätte Chancen gehabt und Möglichkeiten eröffnet. So aber reicht es gerade noch für einen radelnden Eiscremeverkäufer, schicke Autos und eine Agip-Tankstelle in der Garage des Lustschlosses von Don Ramiro, bei der man sich fragt, ob für dieses ostentative Product-Placement wohl die fälligen Gebühren einkassiert werden.
Mit spielfreudigen, komödiantisch und stimmlich den rossinischen Anforderungen gewachsenen Sängerinnen und Sängern lässt sich aber, allen Einwänden zum Trotz, auch in Bechtolfs Inszenierung viel erreichen. Und das ist auch an diesem Abend (besucht wurde die zweite Vorstellung der derzeit laufenden Aufführungsserie) erfreulicherweise wieder der Fall. Dass Pietro Spagnoli eine Idealbesetzung für den fiesen, seine Stieftochter Angelina übel behandelnden Don Magnifico ist, hat der fabelhafte, mit einem Gespür für Komik ausgestattete italienische Bariton an der Wiener Staatsoper zuletzt im Juni 2022 zum Ausklang der Saison und an der Seite von Cecilia Bartoli eindrucksvoll vorgeführt. Allerdings nicht in der hauseigenen Inszenierung, sondern in einer semiszenischen Gastspiel-Aufführung der Opéra de Monte Carlo im Rahmen der „Rossini Mania“. Doch auch mit Bechtolfs Inszenierung ist Spagnoli bestens vertraut und hat in dieser den Don Magnifico 2019 bereits gesungen. Wie es ihm gelingt, trotz der charakterlichen Abscheulichkeiten eine Figur zu verkörpern, der man mit Vergnügen zusehen und zuhören kann, ist einfach hinreißend.

Maria Nazarova (Clorinda), Pietro Spagnoli (Don Magnifico) und Alma Neuhaus (Tisbe),
Eine Wucht ist Roberto Tagliavini als Alidoro. Sein profunder Bass strahlt Autorität und Weisheit aus. Er ist es, der im Hintergrund die Fäden zieht. Die große Überraschung des Abends ist aber Ensemblemitglied Michael Arivony, der schon als Mitglied des Opernstudios mit seinem vielseitigen Talent und den daraus resultierenden mannigfachenEinsatzmöglichkeiten auf sich aufmerksam gemacht hat und nun als kecker, munterer Dandini die Gunst der Stunde genüsslich auskostet und die ihm vorgeführten Damen, die als Bräute seines Herrn vorstellig werden, eifrig umwirbt.
Dmitry Korchack stand bei der Premiere als damals noch sehr jugendlicher Don Ramiro auf der Bühne. In den vergangenen zehn Jahren hat sein heller, höhensicherer Tenor an Substanz zugelegt, den stimmlichen Herausforderungen der mit hohen Tönen gespickten Arie „Sì, ritrovarla io giuro“ ist er gut gewachsen. Darstellerisch bleibt er etwas distanziert, weshalb die große Liebe zwischen ihm und Angelina – beide Brillenträger – nicht ganz so überzeugend wirkt.
Die noch junge russische Mezzosopranistin Vasilisa Berzhanskaya, die heuer im Sommer in der Arena von Verona die Rosina im Barbiere singen wird, hat in dieser Rolle in der Wiener Premierenbesetzung in der Inszenierung von Herbert Fritsch 2021 bei der Kritik ein zwiespältiges Echo ausgelöst. Ihr „abgedunkelter“ Mezzo wurde teils gelobt, teils aber auch abgelehnt. Ihre Durchsetzungskraft, das beweist sie nun als Angelina, ist inzwischen untadelig, die Koloraturenläufe, etwa in der Arie „Si ritrovarla“, gelingen exzellent. Auch die darstellerische Leistung ist zufriedenstellend. Auf die weitere Entwicklung dieser Sängerin darf man weiterhin gespannt sein.
Sehr erfreulich, darstellerisch wie auch gesanglich, sind die beiden hausinternen Besetzungen mit dem Ensemblemitglied Maria Nazarova als Clorinda und Alma Neuhaus, Mitglied des Opernstudios, als Tisbe. Ihre Spielfreude ist unüberseh- und unüberhörbar.
Stefano Montanari als verlässlicher musikalischer Leiter sorgt für Italianita und hat ein besonderes Augenmerk auf die großen Gesangsensembles. Das Quintett „Signore, una parola“ – „Nel volto estatico“ im ersten Akt und das Sextett „Siete voi? / Voi prence siete?“ – „Questo è un nodo avviluppato“ im zweiten Akt sind fein gestaltet, was auch für das aberwitzige Duett „Zitto, zitto, piano, piano“ im Finale des ersten Akts gilt. Der Männerchor, der mit als Frauen verkleideten Mitgliedern aufwarten kann, die auf Stöckelschuhen recht geschickt zu trippeln verstehen, trägt viel zu den komischen Momenten bei. Die am Hammerklavier tätige Cécile Restier verdient es, eigens erwähnt zu werden, auch wenn sie unter der Leitung von Montanari nicht so viel Freiraum bekommt wie ihr Kollege in der Aufführung beim Gastspiel der Opéra de Monte Carlo am 28. Juni 2022.
Viel und herzlicher Applaus. Kurz und prägnant, wie inzwischen üblich geworden.