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WIEN / Staatsoper LA CENERENTOLA von Gioachino Rossini

Bella Italia verströmt menschliche Wärme und musikalischen Wohlklang

29.01.2019 | KRITIKEN, Oper

Adam PLACHETKA als Alidoro und sein Schützling Elena MAXIMOVA   Foto:Wr.Staatsoper/M.Pöhn


WIEN / Staatsoper

LA CENERENTOLA   von Gioachino Rossini 
38.Aufführung in dieser Inszenierung

28.Jänner 2019       Von Manfred A.Schmid


Bella Italia verströmt menschliche Wärme und musikalischen Wohlklang

Was kann man sich Schöneres wünschen, als an einem Wintertag, der mit Neuschnee begonnen hat und ziemlich bald in gatschiges Grau übergegangen ist, für ein paar Stunden in das Land der Träume und Sehnsüchte entfliehen zu können? Die 38. Aufführung von Rossinis La Cenerentola kommt da gerade recht. San Sogno heißt das südliche Städtchen, in das der Regisseur Sven-Eric Bechtolf und sein Bühnenbildner Rolf Glittenberg die Handlung der auf dem Aschenbrödel-Stoff basierenden Oper verlegt haben. Das damit gebotene frech-fröhliche Ambiente führt geradewegs in das sonnendurchflutete Italien der 50er Jahre. Und wenn dann bald die halbe Bevölkerung als lustvoll musizierende Stadtkapelle aufmarschiert und schließlich auch ein fahrradbetriebenes Gelati-Wägelchen um die Ecke biegt, fühlt sich der Rezensent an erste Urlaube in Bella Italia erinnert. Das war dann zwar ein gutes Jahrzehnt später, aber vom Flair her durchaus vergleichbar. Und schon die ersten Klänge der Ouvertüre tun ihr Übriges: Sie versetzen einen – Rossini sei Dank – in eine frohgemute, erwartungsvolle Urlaubsstimmung und in eine hochgestimmte Feierlaune.

Und zu feiern gibt es viel an diesem Opernabend. Da ist zunächst einmal das mit hohen Erwartungen befrachtete Staatsoperndebüt des amerikanischen Tenors Michael Spyres. Gleich vorweg: Er hat nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil. Seine Stimme ist klar, klingt warm und einschmeichelnd. Strahlende Höhen, aber auch beachtliche Durchschlagskraft in der tiefen Stimmlage zeichnen ihn aus, die Registerübergänge gelingen mühelos Dieses breite stimmliche Spektrum kann er in der Partie des Don Ramiro – etwa beim „lo juro“ – eindrucksvoll unter Beweis stellen. Spyres hat tatsächlich als Bariton begonnen, ist aber inzwischen längst zu einem Belcanto- und Rossini-Tenor erster Güte herangereift. Im Grunde aber ist er wohl beides – ein sattelfester Tenor und ein versierter Lyrischer Bariton – kurz und knapp: ein Baritenor, wie er besser kaum sein kann.

Anders als in der literarischen Vorlage kommt das Libretto Jacopo Ferrettis ganz ohne übernatürliche Kräfte aus. Statt einer Fee gibt es mit dem Philosophen Alidoro einen weisen Berater des Prinzen, der die Fäden der Handlung in der Hand hat und für das Happyend sorgt. Mit seinem profunden Bariton ist Adam Plachetka in der Partie des Alidoro auch stimmlich das allmächtige und stimmgewaltige Zentrum des Geschehens. Ziel seiner geschickten Unternehmungen ist die Vermählung seines Schützlings Don Ramiro mit der passenden Frau. Diese – Angelina – wird von Elena Maximova mit viel Spielfreude dargestellt. Stimmlich beginnt sie an diesem Abend nicht besonders überzeugend, von Szene zu Szene aber findet ihr dunkler Mezzo mehr zu jenem Niveau, das sie darstellerisch von Anfang an zur Schau stellt. Das Schluss-Rondo „Nacqui all’affanno“ – „Non più mesta“ gerät schließlich zum Höhepunkt sowohl für die Titelfigur als auch für das gesamte Ensemble inklusive des Männerchores, in den sich in dieser Inszenierung ein paar als Frauen verkleidete Sänger, eine sogar mit Schnurbart – Conchita lässt grüßen – eingeschlichen haben.

SPYRES, PLACHETKA und ARDUINI Foto M.Pöhn

Überhaupt sind die Aktschlüsse mit ihren großen Ensembleszenen musikalisch perfekt gestaltet. Speranza Scapucci am Pult lässt den Farbenreichtum der Partitur, geprägt von gefühlvollem Belcanto und virtuosen Koloraturläufen, prächtig erblühen und kostet auch die komischen Momente der Rossinischen Musik gut aus. Das Sextett „Questo è un nodo avviluppato“ ist ein herrliches Spiel mit dem gerollten italienischen „R“ und landet einen vergnüglichen Volltreffer. Manche zungenbrecherische Passagen in bester Rossini-Manier werden in einem geradezu unglaublichen Tempo präsentiert, ohne aber die Ausführenden je zu überfordern. Dabei bewährt sich insbesondere der komödiantisch hinreißend auftretende Pietro Spagnoli. Einerseits ist sein Don Magnifico ein verabscheuungswürdiger, heruntergekommener Adeliger und fieser Vater, der seine Stieftochter schlecht behandelt und auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt, andererseits aber wird er – in seiner selbstverliebten Eitelkeit sowie in seinem Streben nach gesellschaftlicher Rehabilitierung – zu einem nie versiegenden Quell der Heiterkeit. Ein Vollblutkomödiant eben. Dandini, der Chauffeur und Diener des Prinzen, der mit diesem – auf Geheiß Alindoros – vorübergehend die Kleidung und die Identität tauscht, ist eine ebenfalls sehr auf Komik hin angelegte Figur. Alessio Arduini geht darstellerisch ungemein wendig und einnehmend ans Werk, stimmlich bleibt er jedoch etwas konturlos und wirkt manchmal schlampig in Phrasierung und Artikulation.

Ileana Tonca als Clorinda und Svetlina Stoyanova bei ihrem Rollendebüt als Tisbe sind die beiden verwöhnten Stiefschwestern Angelinas. Blasierte, eingebildete Ganserln, aber gut bei Stimme, und so ist es eine Freude, ihnen beim Spielen zuzuschauen – und beim Singen zuzuhören.

Je öfter man diese Inszenierung zu sehen bekommt – nicht zu vergessen auch die einfallsreichen Kostüme von Marianne Glittenberg – umso mehr beginnt man sie zu schätzen. Was einem zunächst als schrill vorgekommen sein mag, würdigt man nun als bunt und stimmig. Die Personenführung Bechtolfs ist genau und liebevoll, so auch die eingestreuten Gags. Sie stören den Ablauf des Geschehens nicht, setzen aber treffliche Akzente. Wenn Angelina am Ende, bevor sie in das bereitstehende Auto steigt und die Hochzeitsreise antritt, im Brautkleid nochmals den Eimer mit dem Putzfetzen ergreift und sich hinhockt, um den Boden zu schrubben, rundet sie damit das Porträt dieses liebenswerten Geschöpfs ab, das das Herz am rechten Fleck trägt und seinen geliebten Prinzen auch geheiratet hätte, wenn er nur ein Diener wäre. Als sich Elena Maximova dann beim begeisterten, mit vielen Bravorufen durchsetzten – mit kaum fünf Minuten aber doch recht kurzen – Schlussapplaus dem Publikum präsentiert, bückt sie sich nochmals kurz und deutet eine Wischbewegung an: Der gelungene Schlusspunkt zu einem insgesamt recht gelungenen, keineswegs perfekten, aber doch sehr vergnüglichen Opernabend.

Manfred A. Schmid

 

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