WIEN/ Staatsoper: LA BOHÈME am 10.11.2012 – ein Komödiantenfest!
So unterhaltsam kann Oper auch in einer Repertoirevorstellung sein, wenn eine gute Geschichte mit aufwühlender Musik in einer legendären Inszenierung von außergewöhnlichen Singschauspielern gesungen und gespielt wird.
Das Künstlerquartett stellt eine gelungene Mischung der unterschiedlichen Charaktere dar – man hat den Eindruck, dass diese vier Männer durchaus in einer WG zusammenleben könnten – das gemeinsame Bewältigen des Alltags, das Blödeln, die Betroffenheit und die Trauer wirken authentisch: hohe Schauspielkunst ohne einen Funken von Peinlichkeit. Die Damen agieren auf gleich hohem Niveau. Anita Hartig ist eine zarte, gefühlvolle Mimi, die voll in der Rolle aufgeht und Ildiko Raimondi ist einerseits noch jung genug, um die extrovertierte „Kokotte“ glaubhaft darzustellen, andererseits aber erfahren genug, um nicht zu überziehen und mit dem komödiantischen Urgestein Alfred Sramek Schmankerl und köstliche Situationen zu liefern, dass man sich auch noch bei der 20. (persönliche Statistik) Boheme in dieser Inszenierung von Franco Zeffirelli herrlich unterhalten kann.
Ungeachtet aller Diskussionen über „modernes“ oder „konservatives“ Theater sind wir der Meinung, dass ein Repertoire – Opernhaus das klassische Programm in unverfälschter Form haben muss. Inszenierungen wie diese, oder auch Carmen, Cav/Pag, Tosca, Rosenkavalier und (zum Glück) einige mehr haben wir ja noch; bei Wagner, Da Ponte, La traviata, Macbeth und (leider) einigen mehr sieht es da schon trauriger aus – man kann einem Opernneuling nur mehr schwer vermitteln, worum es geht und was daran so schön ist, dass man „Verrückt auf Oper“ werden soll!
Ach ja – musiziert wurde gestern natürlich auch: Franz Welser-Möst gelang mit dem bestens disponierten Staatsopernorchester eine wunderbare Kombination aus instrumentalem Ausdruck, feinen kammermusikhaften Details (nicht zuletzt dank einem fulminanten Rainer Küchl als Konzertmeister) und rücksichtsvoller Sängerbegleitung, was bei diesen Stimmen durchaus nicht immer im Piano stattfinden musste. Der sehr gute Chor sorgte mit einer temperamentvollen Personenführung perfekt für den Fortgang der Handlung und lieferte amüsante Geschichterln und Miniaturen. Auch der Esel war wieder „urcool“ – er wird aber auch liebevoll betreut – keine Chance für etwaige Tierschützer-Proteste!
Piotr Beczala ist in der gegenwärtigen Verfassung ein Traum-Rodolfo. Mit geradliniger, ausdrucksvoller Stimme und auch etwas „Italianita“ stellt er das gesamte Gefühlsspektrum dieser vielschichtigen Persönlichkeit dar. Besonders berührend gelangen „Che gelida manina“, „O soave fanciulla“ und das Abschiedsduett mit
Mimi im dritten Akt.
Anita Hartig passt mit ihrem unmaniriertem Gesangsstil gut in die Rolle und hat keinerlei Probleme – eine sehr gute Mimi. Bei Adrian Eröd ist man aufgrund seiner dominanten schauspielerischen Leistung als Marcello versucht, seine gesanglichen Vorzüge zu vergessen. Der einzige Wermutstropfen war das Duett Rodolfo/Marcello – leider ist es nicht gelungen, die beiden wunderschönen Einzelstimmen verschmelzen zu lassen.
Wir führen das auf die große räumliche Entfernung der Sänger in dieser Inszenierung zurück. Bei manchen Duetten (wie auch bei Don Carlo/Posa) ist die körperliche Nähe für ein perfektes Ergebnis einfach nötig.
Dan Paul Dumitrescu (Colline) berührte uns mit einer gewohnt gefühlvollen Interpretation der Mantelarie, Alessio Arduini (Schaunard) ergänzte mit sicher und gut geführtem Bariton das auch gesanglich hochwertige Quartett.
Ildikó Raimondi bescherte uns – als Einspringerin für die erkrankte Valentina Nafornita – die eleganteste Musetta seit langem. Ihre Lied-erprobte Gesangskultur ohne scharfe Höhen und mit schönem, aber nie störendem Vibrato machte Freude.
Sollte jetzt noch die neue „Ariadne auf Naxos“ der erhoffte Erfolg werden – was man nach der Papierform durchaus erwarten darf – können wir uns heuer über einen künstlerisch höchstwertigen Advent freuen.
Maria und Johann Jahnas