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WIEN/ Staatsoper: LA BOHÈME

WIEN / Staatsoper: „LA BOHÈME“ – 19.01.2023

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Benjamin Bernheim, Rachel Willis Sørensen. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 Vor fast genau einem Jahr hat Benjamin Bernheim einen geradezu sensationellen Rodolfo in Puccinis „La Bohème“ an der Wiener Staatsoper gesungen (siehe mein Bericht im Online Merker: https://onlinemerker.com/wien-staatsoper-la-boheme-12/ ). Und auch nun in der 452. Aufführung der unvergleichlichen Inszenierung von Franco Zeffirelli, dessen 100. Geburtstag sich übrigens in wenigen Tagen jährt, bestätigte Bernheim, dass er bereits zur Weltspitze im Tenorfach zählt. Seine schöne, lyrische, schmelzreiche Stimme mit leicht metallischem Klang eignet sich ideal für den jungen Poeten, den er auch überzeugend darstellt. Wenn auch das hohe C in seiner Arie diesmal nicht ganz so strahlend gelang wie vor einem Jahr, so bot er doch insgesamt eine ganz ausgezeichnete Leistung.

Als Mimì klopfte erstmals in Wien Rachel Willis-Sørensen an die Tür der Pariser Dachkammer. Obwohl ihre strahlende Stimme schon hörbar in ein dramatischeres Fach tendiert, war sie eine überzeugende und berührende Mimì. Bereits in ihrer Auftrittsarie „Mi chiamano Mimì“ bezauberte sie mit runder Tongebung, zartem Legato und schön anschwellenden Tönen. Mit Glanz und Kraft übersingt sie mühelos das laute Orchester, andererseits wartet sie dann in ihrer Sterbeszene wieder mit zarten Lyrismen auf. Aber was vor allem positiv auffiel: sie passte vom Stimmtimbre ganz ausgezeichnet zu der metallischen Stimme von Bernheim. Auch sonst dürfte die Chemie zwischen den beiden gestimmt haben, denn sie gaben ein wirklich glaubhaftes Liebespaar ab.  

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Boris Pinkhasovich. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Boris Pinkhasovich beeindruckte vor allem mit seinem kräftigen, wohlklingen Bariton und schönem Legato. Darstellerisch war er nicht nur in den Eifersuchtsszenen ein Hitzkopf.

Mit Abstand der Jüngste in dieser Männer-WG ist der erst 25jährige Stefan Astakhov, der den Sprung aus dem Opernstudio ins Ensemble der Wiener Staatsoper geschafft hat. Mit seinem hellen Bariton und viel Spielfreude warf er sich als Schaunard ins Bühnengeschehen.

Peter Kellner habe ich erstmals vor sechs Jahren an der Oper Graz als Colline gesehen. In der Zwischenzeit hat er diese Partie auch schon an der Metropolitan Opera in New York und am Royal Opera House Covent Garden in London gesungen. Mit seinem warm timbrierten Bass beeindruckte er vor allem in der sehr gefühlvoll vorgetragenen Mantel-Arie.

Sehr erfreulich ist die Tatsache, dass man die Partie der Musetta nicht mehr mit dünnstimmigen Soubretten besetzt, was in der Direktion von Dominique Meyer leider sehr oft der Fall war. Anna Bondarenko ist da ein ganz anderer Fall mit ihrem dunkel timbrierten Sopran. Immerhin hat die ukrainische Sopranistin ja schon so dramatische Partien wie die Lisa in „Pique Dame“ oder die Leonore im „Troubadour“ gesungen.

Einen besseren Eindruck als noch vor einem Jahr bei ihrem Debüt hinterließ Eun Sun Kim am Pult, obwohl sie noch immer durch die Partitur hetzt. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass sie diesmal das Orchester der Wiener Staatsoper nicht mehr ganz so laut aufspielen ließ wie im Vorjahr. Oder fiel mir das nur nicht so auf, weil an diesem Abend vor allem großstimmige Sänger auf der Bühne standen?

Insgesamt war es eine gute Repertoirevorstellung. Kleinere Unebenheiten zwischen Bühne und Orchester werden sich wohl im Laufe der Aufführungsserie noch ausgleichen lassen.

Walter Nowotny

 

P.S.: Für die Reprisen am 22., 25., 28. und 31. Jänner gibt es noch Karten!

 

 

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WIEN / Staatsoper: LA BOHEME

08.12.2013 | Oper

WIEN / Staatsoper:
LA BOHEME von Giacomo Puccini
7. Dezember 2013
404. Aufführung in dieser Inszenierung

Es gibt natürlich auch das Einspringer-Glück. Anfangs ist es auf jeden Fall unangenehm: Man ersetzt einen Sänger, um dessenwillen vermutlich viele Zuschauer in die Aufführung gekommen sind – und sicher hat nicht nur Superstar Angela Gheorghiu, sondern auch Vittorio Grigolo – umstritten, wie er ist und doch – viele Leute angelockt. Denn er ist ein gut aussehender Tenorstar von heute und gar nicht so oft in Wien zu hören. Und dann gab es auch noch von der ersten Vorstellung der Serie so widersprüchliche Berichte, dass man sich gerne selbst ein Bild (ein Ohr) machen wollte. Und prompt: der rosa Zettel, der verkündete, der Tenor sei plötzlich erkrankt.

Vor dem Vorhang wurde das Einspringen präzisiert: Yosep Kang sei überhaupt erst vor einer Stunde aus dem Flugzeug gestiegen, weshalb die Vorstellung eine Viertelstunde später beginnen würde. Unvorstellbar – wie viel Zeit hatte dieser junge Koreaner, sich in die Inszenierung einführen zu lassen? (Selbst wenn er sie einmal auf DVD gesehen hat, populär genug, ist die Zeffirelli-Inszenierung dank Karajan und Freni ja, kann man sich doch keinerlei Details merken!) Einfach auf die Bühne gehen und singen – tollkühn, eine unglaubliche Leistung schon das. Und dann geht der Kopfsprung ins kalte Wasser noch so über die Maßen überzeugend aus. Wer nicht wagt, gewinnt nicht. Und dieser Sieg war verdient.

Die Wiener kennen Yosep Kang nicht einmal beim Namen, wenn sie nicht nach Klagenfurt oder nach Berlin fahren und in die Deutsche Oper gehen, wo dieser junge Tenor vordringlich zuhause sein dürfte. Man lernte einen sympathischen Darsteller kennen, der sich die Rolle des Rodolfo so exakt, mit jeder Detailkenntnis erarbeitet hat (und sehr gutem Italienisch ebenso), dass er sie auch auf fremdem Boden vollgültig abrufen konnte. (Man soll ja keine „rassistischen“ Vorurteile hegen, aber dass die Asiaten besonders gewissenhaft und fleißig sind, beweisen viele von ihnen auch auf der Bühne immer wieder.) Aber vor allem die Stimme ist bemerkenswert – sehr hell, aber nicht bubenhaft, mit einem spürbaren Stahlkern, aber weder hart noch schwer, technisch auffallend gut trainiert und für die Staatsoper ohne weiteres groß genug…

Nun hatte der Vorgänger ja Schwierigkeiten, weil er angesichts einer konsequent subtilen Partnerin „zu laut“ war. Und vermutlich hat man Herrn Kang auch beiseite genommen und ihm zugeflüstert, es wäre nett, wenn er Frau Gheorghiu nicht zubrüllen würde. Nun, er hat es nicht nur nicht getan – er lieferte an diesem Abend die Hohe Schule der Einfühlungsgabe in eine Partnerin. Ganz selten – und dann nur, wenn sie nicht auch sang – ließ er sich dazu verführen, mit seinem Material auch im Fortissimo zu prunken. Sonst passte er sich dem Mezzavoce seiner Mimi an und schaffte sogar das Unglaubliche, mit den raffinierten Pianissimi der Gheorghiu mitzuhalten (am Ende des 3. Aktes etwa). Wenn sie gemeinsame Spitzentöne hatten, hielt er sich so zurück, dass seine Stimme die ihre nie übertönte (was er mühelos gekonnt hätte). Und dennoch hatte man nie das Gefühl, dass er sich Gewalt antat, alles wirkte gänzlich selbstverständlich – abgesehen davon, dass ihm all das mit seiner Technik spürbar leicht fiel.

Nur eines konnte er nicht verhindern: Dass er für Rudolfs Arie stärkeren Beifall erhielt als die Partnerin danach. Sie wird es ihm verziehen haben, denn sie fand sich mit ihm zu wirklich schönem, innigem Zusammenspiel. Kurz, wenn dieser Yosep Kang älter wird und seiner bemerkenswerten Stimme, deren Technik ihm viel erlauben wird, noch ein paar Quentchen Sinnlichkeit hinzufügt – der Mann wird unwiderstehlich sein. Wie heißt es doch so schön: Den Namen Yosep Kang wird man sich merken müssen…

Den Namen Angela Gheorghiu kennt die Welt, und das zurecht, wenn man auch gleich bemerken darf, dass ihr heute die Divenpartie der Tosca weit besser liegt als die arme Näherin Mimi. Sie spielt sie vielleicht ein bisschen kokett, aber durchaus liebenswert, sie leidet und stirbt ergreifend schön – und sie singt wie die Gheorghiu, das heißt, sie denkt gar nicht daran, ihre Stimme auch nur eine Sekunde zu forcieren. Da mag sie über weite Strecken, wenn sie im Mezzavoce bleibt, „klein“ wirken – aber der Sopran ist wunderschön und ebenso geführt und sie ist eine der wenigen Sängerinnen, bei der Spitzentöne immer klingen und (fast) nie klirren… Interessant war nur eines an diesem Abend: Nicht etwa der einspringende Tenor hatte wiederholt Kommunikationsschwierigkeiten mit dem Dirigenten, das war schon die Gheorghiu, die immer wieder andere (und nicht immer richtige!) Vorstellungen von Tempo und Einsätzen hatte. Macht nichts, in einer gewissen Größenordnung darf man auch mehr.

Erfreulich überraschend war an diesem Abend, wie fabelhaft sich Valentina Nafornita seit ihrer ersten Wiener Musetta vor einem Jahr entwickelt hat. Damals noch wenig überzeugend, steht sie heute mit klarer, kräftiger Stimme, schönen Spitzentönen, einer geradezu berstenden Bühnenenergie und aller darstellerischen Überzeugungskraft in den Schuhen der Dame, wobei ihre blendende Erscheinung auch nichts schadet. Den zweiten Akt kassiert sie, im vierten ist traurig, gewandelt und ergreifend. Super.

Leider hatte sie in Gabriel Bermudez gar keinen Marcello – dieser Bariton steht noch sehr steif auf der Bühne und singt so mühevoll bemüht, dass es kein Vergnügen ist, ihm zuzuhören und zuzusehen. Zumal bei einer Rolle, die so viel Beweglichkeit verlangt (der Sharpless lag ihm besser), wie sie dann Tae-Joong Yang als Schaunard mühelos brachte: ein Temperamentsbündel. (Die koreanische Botschaft könnte heute die Flagge hissen, da zwei ihrer Sänger dermaßen überzeugten.) Schön, dass Dan Paul Dumitrescu als Colline für seine wie immer ergreifend gesungene Mantel-Arie diesmal verdienten Applaus erhielt. Wolfgang Bankl übernahm Benoit und Alcindoro und gab dem Alten nicht nur alles an Saft und Kraft (mehr als der gute Mann braucht), sondern setzte zum Finale des 2. Aktes noch ein kleines Kunststück drauf, indem er angesichts der Rechnung mit seinem Stuhl kunstvoll nach hinten umkippte… das muss man sich erst einmal trauen.

Philippe Auguin dirigierte einen sehr temperamentvollen, aber auch gefühlvollen Abend, wobei er sich mit der Diva weniger verstand als mit dem Tenor, dem er bei seinem Ritt über den Bodensee so behilflich war, dass dieser nicht einbrach, sondern voll triumphierte.

Renate Wagner

 

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