Fotos (c) Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper:
IL BARBIERE DI SIVIGLIA von Gioachino Rossini
Premiere: 28. September 2021
Hat Rossinis „Barbier von Sevilla“ eigentlich eine Handlung? Wenn ja, dann zugegeben keine besonders komplizierte. Ein Graf umwirbt ein Mädchen und gibt sich als armer Kerl aus, das Mädchen wird auch von seinem Vormund begehrt, und ein Figaro intrigiert für die Liebenden. Nichts Besonderes, wie gesagt, aber wenn man die Geschichte mit echten Menschen erzählt, kann sie sehr hübsch sein. So wie einst bei Günther Rennert.
Bei Herbert Fritsch hat der „Barbier“, so wie er ihn nun auf die Bühne der Staatsoper stellt, keine Handlung. Er ist in drei Stunden theatralischen Formalismus eingegangen, optisch wie szenisch. Dass das Gebotene aussieht wie bei Herbert Fitsch immer, der stets auch seine eigene Bühne schafft, das ist eben so, darüber kann man nicht diskutieren. Marke? Markenzeichen? Masche?
Bei der Ouvertüre fühlt man sich (und später eigentlich auch) ein wenig an Malewitsch erinnert – farbige Rechtecke, die sich überlappen, und (digital geht ja alles) in dauernder Bewegung eine Farborgie erzeugen. Dabei bleibt es weitestgehend im Lauf des Abends, innerhalb dieses Rahmens spielt sich – ohne die geringste Kennzeichnung eines Ortes, ohne Requisite (nur einmal sieht man im Hintergrund eine Leiter, die allerdings nicht benützt wird) – die Geschichte ab. Oder auch nicht.
In Kostümen der Barock / Rokoko-Zeit (Victoria Behr), die die Figuren nicht im geringsten differenzieren, wird eine Art Commedia dell’arte geboten, Körpersprache mit Gesang. Sie trippeln und tänzeln und staksen und hüpfen, sie schlenkern ihre Glieder, sie grimassieren in aller Vordergründigkeit wie in der Pantomimen-Schule gelernt – das ist Theater, und das ist, keine Frage, sehr musikalisch, jede Bewegung scheint auf die Musik abgestimmt. Macht das jetzt schon eine Inszenierung? Denn über das Formale hinaus, sagt der Abend ja eigentlich nichts.
Das Ganze ist überlustig gemeint, und tatsächlich schien das Premierenpublikum gewillt, das Gebotene so aufzunehmen. Es gab schon während der Vorstellung immer wieder stürmischen Applaus mit Bravo-Rufen (sie kamen allerdings immer von denselben Stellen), und wenn ein Publikum angesichts einer Aufführung so gut gelaunt ist, muss man das akzeptieren. Der Einwand, dass die ewig gleichen Mitteln (ob wieder irgendeine schrille Farbenkombination vorbei zieht, ob sich wieder alle nach allen Regeln der Kunst verrenken) mit der Zeit einförmig wird, schien das Premierenpublikum nicht zu bedrücken.
Es bejubelte auch den Dirigenten Michele Mariotti, obwohl sich dieser jede Menge Willkürakte leistete, in den Tempi (der Anfang der ersten Almaviva-Arie war sagenhaft geschleppt), in Rubati und Ritardandi, und auch in Unsauberkeiten, obwohl die Sänger offenbar wussten, was sie jeweils sollten. Ob sie es immer konnten, sei dahin gestellt.
Juan Diego Flórez, der sich schon ein anderes Repertoire erarbeitet hat, ist zu Rossini zurückgekehrt, plötzlich klingt auch die Stimme wieder so „weiß“ wie in früheren Zeiten, aber er ist natürlich völlig auf der Höhe dieses spezifischen Stils. Die meist gestrichene Arie vor dem Finale durfte er singen, sie bringt nur eigentlich wenig, weil sie nicht überaus effektvoll ist und nur das (langsam herbei gesehnte) Ende verzögert. Florez etweckte den Eindruck, jeden Blödsinn, den man ihm abverlangte (und es waren viele) , mit Animo zu exekutieren. Vielleicht ist es für Sänger eine Abwechslung, einmal wie wild gewordene Affen über die Bühne zu hopsen?
Neben Florez ließ Ildar Abdrazakov als Don Basilio die einzige wirkliche Qualitätsstimme des Abends hören, im Umfang und in der Schönheit. Und er spielte so hingerissen (nicht hinreißend) mit dem langen weißen Zopf, den man ihm auf den Kopf gepickt hatte, dass hier „Laune“ nur so sprühte.
Ähnlich glücklich machten die anderen Sänger nicht, nicht der ausgelassene, aber (nicht nur in der Prestissimo-Phase seiner ersten Arie) technisch immer wieder überfordert klingende Étienne Dupuis als Figaro, schon gar nicht die Rosina von Vasilisa Berzhanskaya, eine kleine Stimme ohne weitere Resonanz, unausgeglichen in den Registern, kaum auch Paolo Bordogna als Schmalspur-Bartolo, wenn man denkt, wie man über diese Figur schon gelacht hat (als sie noch ein Mensch war und keine Marionette).
Unter den Nebenrollen fand sich, fast immer auf der Bühne, Ruth Brauer-Kvam. Nicht, dass man dieses überbegabte Persönchen nicht immer gerne sieht, sie ist noch beweglicher als die anderen, noch pantomimischer, wirkt tierisch wie ein Wiesel, der herumsaust – und ist völlig funktionslos. Es tun ohnedies alle, was sie können, um die Übertreibung weiter und weiter zu treiben, wozu also noch eine Über-Drüber-Figur?.
Es ist zwar in Wien nicht anzunehmen, aber es mag doch Menschen geben, die den „Barbier von Sevilla“ nicht kennen. Nach dieser Aufführung haben sie mit Sicherheit keine Ahnung, worum es geht und was sie eigentlich gesehen haben. Aber die Reizüberflutung war gewährleistet und wurde, wie erwähnt, stürmisch beklatscht. Dass es beim Erscheinen von Herbert Fritsch, stilecht hereingestragen (weil man ja weiter Theater machen muss), ein paar Buh-Rufe gab, änderte nichts an der schier begeisterten Zustimmung des Publikums.
Renate Wagner