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WIEN/Staatsoper: I VESPRI SICILIANI

WIEN / Staatsoper: „I VESPRI SICILIANI“ –  19.01.2024

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Igor Golovatenko. Foto: Wiener Staatsoper/ Stephan Brueckler

Nach einer langen Pause von fast zwölf Jahren hat die Wiener Staatsoper die Inszenierung von Verdis „I Vespri Siciliani“ wieder ins Repertoire zurückgeholt – wobei das Wort „Inszenierung“ hier leicht übertrieben ist. Man sollte eher sagen, das Bühnenbild von Herbert Wernicke wurde aus dem Fundus geholt, denn eine Inszenierung hat es ja nie gegeben. (Das Wort „Inszenierung“ ist hier wohl im wahrsten Sinne des Wortes ein Treppenwitz. In Wirklichkeit handelt es sich um eine semi-konzertante Aufführung in Kostümen auf einer Treppe.) Das Bühnenbild besteht nämlich nur aus einer endlosen, bühnenbreiten Treppe. (Marcel Prawy hat nach der Premiere geätzt, dass es in ganz Sizilien keine solche Treppe gibt.) Eigentlich könnte die Staatsoper dieses Bühnenbild vom 1. September bis zum 30. Juni auf der Bühne aufgebaut stehen lassen, denn in diesem Bühnenbild kann man so ziemlich jede Oper spielen lassen. Allerdings ist die Treppe akustisch nicht unproblematisch, und auch sonst hat es von Anfang an mit dieser Produktion Probleme gegeben. Wer erinnert sich noch daran, dass ursprünglich die Ouvertüre von Wernicke „inszeniert“ war? Ein Trauerzug schritt über die Bühne und stellte dann einen Sarg im Bühnenvordergrund ab. Aber bereits bei einer der ersten Vorstellungen fiel dieser Sarg fast in den Orchestergraben; danach wurde das inszenierte Vorspiel gestrichen, der Sarg von Beginn an über dem Souffleurkasten aufgestellt und die Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang gespielt. Ich kann mich auch an eine spätere Aufführung erinnern, bei der Damen des Staatsopernchors die Sängerin der Elena vor einem Absturz auf der Treppe bewahren mussten. Es ist überhaupt ein Wunder, dass bisher noch niemand diese Treppe hinuntergefallen ist.

Für diese Oper benötigt man eigentlich vier erstklassige Sänger, was auch die Wiener Staatsoper vor große Besetzungsprobleme stellt. An den Stimmenglanz früherer Zeiten darf man dabei nicht denken. Bester Sänger des Abends war Igor Golovatenko als Guido di Monforte. Der russische Bariton besitzt eine in allen Lagen gut ausgebildete, schön timbrierte Stimme mit einer guten Technik und er phrasiert außerordentlich schön. Dass er nicht über eine Autorität ausstrahlende Persönlichkeit verfügt, wie sie ein Renato Bruson oder ein Leo Nucci besaß, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

John Osborn gerät mit dem Arrigo schon sehr an die Grenzen seiner stimmlichen Möglichkeiten. Durch das ständige Forcieren gelingen auch die Höhen bei ihm nicht mehr so sicher und strahlend, wie man das von ihm aus dem Rossini-, Bellini-, Donizetti-Fach gewohnt ist. Durch die Überanstrengungen dürfte sich die Höhe einengen und so mancher Spitzenton klang dann gepresst und unschön (ganz besonders im Finale des dritten Aktes). Im vierten Akt entschädigte er aber dafür mit einer ganz ausgezeichnet gelungenen Arie („È di Monforte il cenno“) und dem nicht weniger gelungenen anschließenden Duett mit Elena. (Allerdings muss man feststellen, dass er diese Szene ganz vorne an der Rampe gesungen hat, was natürlich akustisch ein Vorteil ist.) Aber insgesamt muss man festhalten, dass dieses Rollendebüt für ihn wohl zu früh gekommen ist.

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Rachel Willis Sørensen , Erwin Schrott- Foto: Wiener Staatsoper/Stefan Brueckler

Erwin Schrott brauchte eine gewisse Anlaufzeit, bis seine Stimme warmgesungen klang, die berühmte Auftrittsarie („O patria … O tu, Palermo“) klang noch sehr grob. Aber auch er litt unter dieser Nichtinszenierung, er wirkte beim Auftritt nicht wie ein heimkehrender Revolutionär, sondern viel eher wie der Stierkämpfer Escamillo, der sich in das falsche Stück verirrt hatte.

Rachel Willis-Sørensen gab mir einige Rätsel auf. Vor einigen Wochen sang sie hier eine ausgezeichnete Desdemona,  nun aber klang ihre Stimme – vor allem in den ersten drei Akten – viel zu klein, in einigen Ensembles war sie kaum zu hören. Sie bringt für diese Partie lyrische Empfindsamkeit und sichere Koloraturen mit, aber in der Mittellage und in der Tiefe könnte die Stimme noch voluminöser sein. Hat sie sich anfangs vielleicht bewusst geschont, damit sie am Ende genügend Kraft hat, um die letzten beiden Akte, die für die Partie der Elena sehr fordernd sind (Duett mit Arrigo und der berühmte Bolero), bravourös bewältigen zu können? (Es ist aber auch wirklich eine Zumutung, dass die Sopranistin den schweren Bolero singen muss, während sie die ganze Treppe herabsteigen muss.)

In den kleineren Partien ergänzten die Ensemblemitglieder Stephanie Maitland als Ninetta, Michael Arivony als Roberto, Norbert Ernst als Danieli und Hans Peter Kammerer als Conte Vaudemont sowie zwei Mitglieder des Opernstudios (Simonas Strazdas als Sire di Béthune und Ted Black als Tebaldo). Stimmgewaltig: der Chor und der Extrachor der Wiener Staatsoper.

Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper stand Carlo Rizzi, ein – im positiven Sinne – Kapellmeister der alten Schule, der das Stück im kleinen Finger hat und Rücksicht auf die Sänger nimmt, vor allem was die Lautstärke betrifft. Feurige Leidenschaften zu entfesseln – wie es z.B. Riccardo Muti bei der Eröffnung der Saison der Mailänder Scala im Jahr 1989 gelang – das ist seine Sache nicht. Daher machte sich auch zwischendurch, vor allem in den ersten drei Akten, Langeweile breit. Die vielen Zuschauer, die in den beiden Pausen die Vorstellung vorzeitig verlassen haben, haben jedoch etwas versäumt. Das Beste kam zum Schluss: die beiden letzten Akte waren wirklich ausgezeichnet. Leider kann man das nicht von der ganzen Aufführung behaupten.

Walter Nowotny

 

 

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