Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Staatsoper Giuseppe Verdi FALSTAFF

Eine musikalische Komödie mit Tiefgang

26.01.2019 | KRITIKEN, Oper

Die baritonalen Glanzlichter dieser Serie von Verdis gelungener commedia lirica: CARLOS ALVAREZ als gelassener Falstaff (rechts) und SIMON KEELYSIDE als wuttobender Ford, am Boden Falstaffs Page Robin  (Foto M.PÖHN-Wr.Staatsoper)


WIEN / Staatsoper

FALSTAFF von Giuseppe Verdi
25. Jänner 2019
11. Aufführung in dieser Inszenierung


Eine musikalische Komödie mit Tiefgang

200.000 Lire Vorschuss – heute umgerechnet rund 900.000 Euro: Diese enorme Summe bekam Giuseppe Verdi als Vorschuss für sein Alterswerk. Die Falstaff-Inszenierung von David McVicar aus dem Jahr 2016, die eben ihre 11. Aufführung im Haus am Ring feiert, zeigt im Schlussbild des 3. Aktes warum: Sir John Falstaff wird in einem großen Korb hochgezogen. Wohin? – In den Himmel der unsterblichen Opernfiguren natürlich. Wohl kein Zufall, dass dem bodenständigen Papageno in der Wiener Zauberflöte-Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier eine ähnliche Himmelfahrt beschert wird. Gerade diese schrägen, ver-rückten Figuren, denen man mit dem Anlegen üblicher Wertmaßstäbe nicht gerecht werden kann, treffen – allen moralischen Vorbehalten zum Trotz – auf breite Sympathien. Allesamt Personen, die am Ende über sich selbst lachen können und zu ihrer Lächerlichkeit stehen. Dazu gehört nicht zuletzt wohl auch der Ochs von Lerchenau.

Man kann diesen Herren nicht wirklich böse sein. Dieses Kunststück gelingt auch Carlos Alvarez in der Titelpartie. Man hat natürlich schon komischere Protagonisten in der Rolle des Sir John Falstaff erlebt, Bryn Terfel etwa. Aber der Funken der Komödiantik zündet auch hier, ohne dass dabei die tragische Dimension, die dieser Figur innewohnt, unterschlagen wird. Denn letztlich geht es auch um das Älterwerden, um die Angst vor einem Leben in Einsamkeit und vor dem Verlust des gesellschaftlichen Ansehens und der Potenz. Und wenn dann der „Held“, nachdem ihm übel mitgespielt worden ist und er jede Menge Schmach erlitten hat, sich selbst in seiner lachhaften Jämmerlichkeit wahrnimmt, dann hat er sich letztendlich doch noch zu einer menschlichen Größe aufgerafft, die man ihm nicht zugetraut hätte, die er aber immer – versteckt wohl – in sich getragen hat. Und das ist es auch, was McVicar in seiner Inszenierung ausdrücken wollte: Dass auch lachhafte Figuren ein Recht auf ein Mindestmaß an Würde und Respekt haben.

Simon Keenliyside zeichnet seinen Ford als eine verkniffene, stets in innerer Spannung befindliche Person. Wenn er, von Eifersucht geplagt, nach dem vermuteten Geliebten seiner Ehefrau sucht, nicht ohne dabei eine Menge Zeugen einzuladen, die dann sein Scheitern miterleben, wirkt er um nichts weniger lächerlich als Mozarts Almaviva, und kann – wie jener – mit keinerlei Sympathiebonus rechnen. Freilich gibt es Grund zur Annahme, dass er am Schluss der Komödie „geläutert“ aus diesem Prozess hervorgehen und sich in Zukunft entspannter und lockerer geben könnte, was beim Figaro-Grafen eher aussichtslos erscheint.

Das Terzett der lustigen Weiber von Windsor, im Übrigen – mit Ausnahme von Alvarez und Keenlyside – wie die übrigen Beteiligten alles Hausbesetzungen, vollführt in bewährter Manier die geschickt inszenierte Rache der Frauen an der eifersüchtigen bzw. eingebildeten Männerwelt. Monika Bohinec (Mrs. Quckly) agiert dabei als Mastermind und – bei ihrem Besuch in Fallstaffs Absteige – auch als ein mit tiefen Alttönen auftretender, gefakter Postillon d´Amour. Olga Beszmertna als Alice Ford und Margaret Plummer als Meg Page sind ihre mehr als eilfertigen und tüchtigen Helferinnen.

Das junge Liebespaar sorgt als erfrischender Gegenentwurf zu den eher müden ehelichen Verhältnissen für einen charmanten Lichtblick. Jinxu Xiahou als Fenton ist ein glühender jugendlicher Liebhaber, seine Arie im letzten Akt erklingt schwungvoll und mitreißend, Hila Fahimas Nannetta überzeugt diesmal mehr durch ihr Spiel als durch ihren Vortrag. Letzteres gilt auch für den Erzkomödianten Herwig Pecoraro, dem von Ryan Speedo Green als Pistola assistiert wird. Stimmlich ist da bei Pecoraros Bardolfo nicht mehr viel zu holen, darstellerisch ist er top.

Besondere Erwähnung verdient Michael Laurenz, der einen stimmstarken und pointiert ausgearbeiteten Dr. Cajus bietet. Der Neuzugang zum Ensemble der Wiener Staatsoper ließ im Sommer und im Herbst bereits als Herr K. in der konzertanten Aufführung von Gottfried von Einems Der Prozess beim den Salzburger Festspielen und dann im Wiener Konzerthaus aufhorchen. Nun konnte der kraftvolle, angenehm timbrierten Tenor auch seine beachtlichen darstellerischen Fähigkeiten einbringen.

James Conlon wirkt als souveräner Leiter des musikalischen Geschehens, was bei Verdis komplex strukturierter Partitur schon eine Leistung ist. Da gibt es nämlich Parallelaktionen zuhauf, wenn z. B. bei der Razzia im Hause Ford der aufgeregt lärmende Suchtrupp, das vergnügte und schadenfrohe Frauenterzett und nicht zuletzt auch noch das jugendliche Liebespaar sich gleichzeitig lautstark zu Wort melden. Conlon versteht hier gut zu akzentuieren, so dass am Ende nicht alles in einem diffusen Klangteppich verschwimmt, sondern dramaturgisch klar wahrnehmbare Abläufe entstehen. Auch am Lautstärkenregler ist er hellhörig am Werk und sorgt – bis zum glänzenden Finale mit überwältigenden Schlussfuge – stets für die angemessene musikalische Unterfütterung.

Der Applaus war herzlich, fiel aber mit kaum fünf Minuten überraschend kurz aus. Mag sein, dass sich das Publikum um einen unbehelligten Nachhauseweg – angesichts der tatsächlich herrschenden Verhältnisse rund um den notorischen Ball – unnötige Sorgen gemacht hatte.

Manfred A. Schmid

 

Diese Seite drucken