Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/Staatsoper : Giacomo Puccini TOSCA

Es lebe der König der polnischen Tenöre

16.06.2019 | Allgemein, Oper

Piotr BECZALA Foto M.Pöhn

Es lebe der neue König der polnischen Tenöre
Gestern Abend in der WienerStaatsoper: TOSCA von Giacomo Puccini
Die 610. Vorstellung in der Inszenierung von Margarethe Wallmann
Samstag, 15.Juni 2019          Von P.SKOREPA – OnlineMERKER

 

Rund neun Jahrzehnte nach Jan Kiepura krönt sich Piotr Beczala mit seiner Leistung selbst zum neuen König der polnischen Tenöre. Denn damals, 1924, war es der Pole Kiepura, dem diese Ehre nach einem gewonnenen Gesangswettbewerb zugesprochen wurde. Und gestern Abend stand der neue König Piotr seinem Vorgänger nur wenig nach, was den stimmlichen Glanz einer typischen polnischen Tenorstimme anlangt und auch die technische Beherrschung der Partie fordert.
Ähnlich muss auch Jan Kiepura am 21. September 1926 gewirkt haben, als er in der selben Rolle neben der Jeritza in Wien debütierte und diese Stadt eroberte. Mit dieser Sicherheit und dem Selbstverständnis, wie Piotr Beczala gestern die Sternenarie wiederholte, wie er alle Acuti dieser Rolle schaffte, wie er mit glühender Intensität seine Liebesschwüre ablieferte und wie ihm sichtlich und vor allem hörbar die Sympathie der „billigen Plätze“ und des Stehplatzes zuflogen, das war schon was: Zumindest darüber nachzudenken, wo der Atomkern des „Reaktors Oper“ immer noch sitzt, nämlich zuförderst in der menschlichen Stimme und nicht nur in noch so raffiniert ausgestatteten Ideen zur Selbstverwirklichung zügelloser Dramaturgen oder in wortschöpferischen Beiträgen wie der einer Oper 4,0.

Nun, mit raffinierten Regieideen hat uns die Wallmann immer verschont, standen ihr doch anstatt dessen meist die erste Garnitur an internationalen Sängern an diesem Haus zur Verfügung. Ob sie allerdings Nina Stemme mehr Ruhe und Glaubwürdigkeit eingeflößt hätte, sei dahingestellt. Die Darstellung der Tosca litt unter der zu sehr sichtbaren Zerfahrenheit der in die Enge Getriebenen Liebenden, zu sehr an deren unentschlossener Gestik oder besser Gestikulation, die bis zur Mordszene und Scarpias „Aufbahrung“ anhielt, aber auch ihrem Gesang Hektik und Unruhe verlieh. Nach 150 abgefeierten Jahren kehrt die Staatsoper auf das regieliche Niveau der Ära vor Gustav Mahler zurück: Aufführungen von beachtlicher Ungeprobtheit, sowohl was das Szenische als auch das Musikalische betrifft. Den Beweis dafür lieferten der unaufmerksam wirkende Chor sowie die Unausgewogenheit in der orchestralen dynamischen Abstufung – denn da wurde im ersten Akt nur so drauf „gedroschen“. Marco Armiliato ist ein Könner – ohne Zweifel – der gerne das Orchester in die Zügel schießen lässt, aber bitte: Ein wenig Weniger wäre viel mehr gewesen.

Zurück zu Frau Stemme: Einer Kritik aus dem Jahre 2012)* entnehme ich das Fazit der Beurteilung über diese Sängerin in einer damaligen Tosca-Vorstellung der Wiener Staatsoper: „So blieb es bei einem respektablen Versuch, nicht nur als Wagnersängerin wahrgenommen zu werden.“ Nun hat sich in den Jahren daran nichts geändert, auch am fehlenden „erotischen Raffinement“ nicht und am „normannischen Einschlag ihres Italienisch“ nicht.

Nein, sie konnte nicht viel tiefer hineinwachsen in die Partie, wie es der damalige Kritiker vorschlug – wie sollte sie auch, hat sich doch ihre Karriere seit damals höchst erfolgreich weiterentwickelt, allerdings in die andere Richtung bis in die größten zentralen Partien ihres Faches bei Wagner und Strauss. Natürlich hörte man aus ihrem Gesang heraus, wie sie ihn gemeint und angelegt hätte, aber mehr als Achtungsapplaus für die große Arie und ein letztlich arg verpatztes „Messer-C“ im letzten Bild war an diesem Abend nicht zu holen.

Carlos Álvarez, Nina Stemme und Piotr Beczala (nach der Folterung)              Foto: M.Pöhn

Carlos Álvarez gab am Haus sein Rollendebüt mit der ihm eigenen soliden Art sich mit seinen sonoren und gepflegten Stimmmitteln auszudrücken, ist er doch immerhin kleinen Adels als Baron. Das ergab jene makaber schönen Momente voller Gemeinheiten und Ironie, die sich da Scarpia mit Tosca im zweiten Akt leistet, das Te Deum überstand aber auch er nur mit einiger Mühe wie viele vor ihm. Auch für ihn gilt, dass eine regieliche Überarbeitung und Neueinstudierung für mehr Spannung gesorgt hätte.

Und das gilt auch für die „Rahmenhandlung“ um die drei Protagonisten herum: Einem Mesner von Alexandru Moisiuc, einem Cesare Angelotti von Sorin Coliban oder einem Spoletta von Wolfram Igor Derntl müsste schon mehr an Spiel zugetraut werden können, als die gebotenen Beamtennummern. Man hat nicht den Eindruck, einem Spiel auf Leben und Tod zuzuschauen. Und was offenbart da erst ein Stream? Da ist die vorsichtige Frage nach einer längst fälligen Neuinszenierung wahrlich nicht fehl am Platz. Aber wie das in Wien so ist: Auch die 2000. Aufführung in dieser Inszenierung werden unsere Enkel noch erleben.

)* Kritik „Oper in Wien“ vom 22.3.2012

P.SKOREPA – OnlineMERKER

 

 

Diese Seite drucken