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WIEN/Staatsoper Giacomo Puccini LA BOHÈME

Paris mit einem echten Pariser

24.11.2018 | KRITIKEN, Oper

Benjamin BERNHEIM, Rodolfo und Marina REBEKA, Mimi. 4.Akt (C) Wiener Staatsoper/M.Pöhn

WIEN/Staatsoper
Giacomo Puccini   LA BOHÈME
Freitag  23. November 2018
431. Aufführung in der Inszenierung von Franco Zeffirelli


Paris mit einem echten Pariser

Das Repertoiresystem der Wiener Staatsoper macht es möglich und damit den Alltagsbetrieb des Hauses außerhalb der Premierenzyklen erst so richtig interessant: Mit sechs Rollendedüts ist fast das gesamte Ensemble dieses Frühwerks von Puccini mit neuen Kräften ausgestattet worden, nur der farbige Student der Philosophie aus Virginia durfte nachsitzen und der alte Esel vor dem Wagen Parpignols ist erhalten geblieben, wohl um der Attraktivität des bevorstehenden Streams willen, dem ja wohl auch die Begegnung mit neuen Sängernamen im alten Dachboden und im Quartier Latin Franco Zeffirellis zu verdanken ist. Und auf alle Fälle hätte sich jener kleine Bub mit seinem Soloauftritt für seine beherzt vorgetragene Bitte nach einer Trommel und einem Pferdchen eine Namensnennung im Programm verdient: Er sei halt stattdessen vor dem Vorhang mit Extraapplaus und Lob bedacht, auch gleich stellvertretend für alle Nebenrollendarsteller.

Speranza Scappucci, junge Senkrechtstarterin der neuen Dirigentenszene hat sich der Debütanten angenommen, sie beherrscht ihr Handwerk augenscheinlich, ist sehr präzise mit ihren klaren, schnörkellosen Anweisungen, hört den Sängern in vielen der markanten Solo- oder Duettszenen zu und nimmt Begleitphrasen des Orchesters hinsichtlich Lautstärke und vor allem Tempo zurück, um dann aber umso mehr einen Parforceritt hinsichtlich Tempo und Dynamik hinzulegen. Da bleibt dann kein Raum mehr für musikalische Gestaltung: Puccini im etwas leblosem Marschtempo.

Das Hauptpaar, Rodolfo und Mimi wurden von dem in Paris geborenen Tenor Benjamin Bernheim und der Lettin Marina Rebeka liebevoll dargestellt. Der neue Senkrechtstarter – äußerlich ganz Typ Wunschschwiegersohn aus den Fünfzigern – mit einem in den unteren Lagen gut klingenden Mezzavoce und in der Höhe mit einem durchschlagskräftigen lyrischen Tenor versehen, weiß auch stimmlich mit angenehmen Timbre zu gefallen. Dass sein Aufstieg zum berühmten C seiner Arie sich als nicht so ganz mühelos erwies, sei nicht unerwähnt, immerhin, er war „oben“. Und seine Partnerin ersang sich im Stiegenhaus der Mansarde dafür ihren Hochton mühelos und bekam alles Mitgefühl des Publikums für die mitreissende Emphase ihres Vortrags im dritten Akt und vor allem in ihrer Todesszene.

Mariam Battistelli und Clemens Unterreiner (C)M.Pöhn

Das Nebenpaar des Abends hatte in Clemens Unterreiner den schier die ganze Bühne schauspielerisch beherrschenden Maler Marcello aufzubieten, während man sich in seiner Angebeteten, der ungemein hübsch und zart wirkenden Äthiopierin Mariam Battistelli alles, nur keine männermordende Mätresse vorstellen konnte, auch wenn sie ihr Chanson so wunderbar sang. Und der Maler hatte mit dem nächsten Schritt in seiner Karriere stimmlich alles aufgeboten und konnte überzeugen, wenn auch ein etwas weicherer Stimmklang zu der Rolle besser gepasst hätte.

Ryan Speedo Green, der Amerikaner in Paris, seines Studiums nach Philosoph, als Colline sympathisch und wie immer rauhstimmig und der in Göttingen geborene Bariton Samuel Hasselhorn als der Mansardenmusikus eher der Unauffälligste, ergänzten das Quartett der Bohemiens. In der Doppelrolle Benoit/Alcindor wusste sich Hans Peter Kammerer mit sympathischem Humor gut in Wirkung zu setzen.

Der Chor und der Extrachor der Wiener Staatsoper unter Martin Schebesta waren immer bemüht, dem enormen Tempo der Dirigentin zu folgen – was auch fast immer gelang, aber eben nur fast.

Das „Ausverkauft“-Schild prangte, der Stehplatz und die Seitengalerie waren voll – bis zur Pause! Man darf allerdings den Touristen nicht alleine die Schuld für eine präfinale Abwanderung geben, die Besucher auf den obersten Seitenplätzen kapitulieren ganz einfach vor den miserablen Sichtverhältnissen. Warum dann die Abendregie noch ein Schäuferl nachlegt und Collin dessen Mantelarie ganz seitlich singen lässt, wird sich nur damit erklären lassen, dass die Herrschaften keine Ahnung haben, was es „da oben“ alles NICHT zu sehen gibt!

Ein nicht allzu großer Schlussapplaus in der Länge von nur fünf Minuten beendete den Abend.

Peter Skorepa – OnlineMERKER

 

 

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