WIENER STAATSOPER: „FIDELIO“ – ein musikalischer Leckerbissen und ein zu realistischer Gefangener.- 3.4.2013
Bei dieser Witterung – dichter Schneefall auf dem Weg zur Oper – empfiehlt sich ein Ausflug ins sonnige Spanien. Das von Adam Fischer bestens geführte Staatsopernorchester kann beim Fidelio seine hervorragenden philharmonischen Qualitäten ausleben und tut es auch mit großer Leidenschaft. Bei diesem Tempo und bei dieser Dynamik hat man das Gefühl: Genau so soll es klingen! Die paar Horn – Gickser stören kaum, gehören sie doch bei den Wiener Hörnern zum guten Ton – damit erkaufen wir uns den unvergleichlich samtenen Klang. Einer der Höhepunkte war auch diesmal die Leonoren-Ouvertüre beim Umbau zum Schlussbild. Der Brauch, diese 3. Fidelio-Ouvertüre einzufügen hat sich als dramaturgische und musikalische Königsidee etabliert – Originalklang-Puristen tun dem Werk und dem Publikum sicher keinen Gefallen, wenn sie mit dieser Gewohnheit brechen. Nicht minder erfreulich agierte der Staatsopernchor mit den Solo-Gefangenen Gerhard Reiterer und Hiro Ijichi.
Dass man so leicht – nicht nur beim Gefangenenchor – in genießerisches Schwelgen kommen kann, ist auch der unverändert schönen, passenden Inszenierung und dem funktionalen Bühnenbild des Traumpaares des realistischen Musiktheaters – Otto Schenk und Günther Schneider Siemssen – zu danken.
Wenn dann noch Walter Fink als Rocco seinen unverwechselbaren hallenden Bass erklingen lässt und routiniert und wortdeutlich die Zwischentexte präsentiert, wünscht man sich, dass die Zeit stehen bleibt. Dieser Rocco hat nur den Makel, dass man aufgrund der freundlichen, sympathischen Ausstrahlung von Walter Fink leicht vergisst, dass wir es hier mit einem durchaus fragwürdigen Charakter zu tun haben (Beihilfe zum Mordversuch aus niederen Beweggründen).
Diesen Makel kann man Falk Struckmann als Don Pizarro wahrlich nicht nachsagen – sein Auftreten und sein dominanter Bassbariton in Hochform verbreiten Angst und Schrecken – ein eindrucksvoller Bösewicht.
Das hörenswerte Trio der tiefen Stimmen wurde ergänzt durch Clemens Unterreiner – ein sehr eleganter, schönstimmiger Don Fernando, bei dem man auch hört was er singt und versteht was er meint. Ein kompletter Darsteller – zum Glück ist man offensichtlich von dem unseligen Brauch abgegangen, verdiente Sänger am (oder schon nach) Ende ihrer Karriere mit dem Auftritt als Minister zu ehren.
Anja Kampe haben wir als Senta im „Holländer“ kennen gelernt und in Grafenegg schon als Leonore gehört; die ausgezeichnete Leistung war deshalb nicht überraschend. Ihre dramatische Stimme klingt in dieser gefürchteten Partie nie überfordert, ist in der Mezzo-Lage warm und in der Höhe klar und niemals schneidend – eine Traumbesetzung!
Valentina Nafornita hat sich als gute Marzelline etabliert, singt unverkrampft, deutlich und ohne Probleme das zuerst kokette, dann verliebte Mädchen und ist an der eindrucksvollen Interpretation des Quartetts im 1.Akt maßgeblich beteiligt. Das gilt auch für den Jaquino von Norbert Ernst, der mit seinem aufblühenden, schönen Tenor alle Vorstellungen dieser Serie singen wird.
Spaniens Kerker sind offensichtlich für die Stimmen der Delinquenten ruinös. Die Darstellung des Florestan durch Lance Ryan war eindeutig zu realistisch. Optisch erfüllte er dank seiner hageren Gestalt die Vorstellung, die man von einem Gefangenen nach über zweijähriger Festungshaft hat – gesanglich leider auch. Wie schon bei seinen Auftritten als Bacchus („Ariadne“) konnte er auch diesmal die Mindestanforderung für die Wiener Staatsoper nicht erfüllen. Seine an sich schöne Naturstimme klang angestrengt, oft neben der Linie, instabil – einfach nicht schön. Eine kleine Hoffnung ist, dass er vielleicht auch ein Opfer dieser unsäglicher Witterung geworden ist – nach den nächsten Vorstellungen wissen wir mehr.
Rückblickend bleibt von diesem ersten Fidelio der Serie ein überwiegend guter Eindruck: Großteils sehr gute Sängerleistungen, Chor und Orchester exzellent und ein routinierter Dirigent, mit dem man sich schon auf den dritten „Parsifal“ freuen darf. Wenn jetzt Jonas Kaufmann doch noch kommt, steht einer denkwürdigen Aufführung nichts mehr im Wege.
Maria und Johann Jahnas