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WIEN / Staatsoper: FALSTAFF

04.12.2016 | KRITIKEN, Oper

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Uneingeschränkter Premierenjubel (Foto: Wagner)

WIEN / Staatsoper:
FALSTAFF von Giuseppe Verdi
Premiere: 4. Dezember 2016

Noch bevor das Spiel beginnt – sprich: die Staatsopern-Neuinszenierung von Verdis „Falstaff“ -, sehen wir auf dem Zwischenvorhang den Stammbaum von „Sir John Falstaff“, er selbst in Ritterrüstung im Zentrum. Ein echter Adeliger mit einer Ahnenschar. Wirkt ganz Elizabethanisch echt. Und wenn dann gar der Vorhang aufgeht, mag die erste Reaktion sein: Zeffirelli!?! Tatsächlich ist die Bühne – vollgemüllt? Voll von herrlichen Dingen? Elizabethanisch…

Jedenfalls befindet man sich unzweifelhaft im „Gasthaus zum Hosenbande“, wie es zu Shakespeares Zeiten ausgesehen haben mag. Aber nicht der Schankraum, sondern eindeutig das Privatgemach des Sir John ist zu sehen, mit Riesenbett, Riesentisch voll Bechern und Gläsern, Krügen und Flaschen. Getrunken wird da fest. Es liegen und stehen auch noch Gemälde herum, der Mann war vermutlich einmal reich – und vor einem Bildnis seiner Königin Elizabeth I. verbeugt er sich auch einmal. Das hat Stil. Und er hat auch nicht nur seine beiden bekannten Schurken zur Bedienung, sondern dazu noch einen entzückenden frechen kleinen Pagen, der da herumwieselt und auch Falstaffs Standarte trägt, wenn dieser ausgeht (man ist schließlich ein Edelmann), und ein Kebsweib nicht sehr edlen Zuschnitts, das halb bekleidet in seinen Gemächern immer dabei ist. Und Sir John wirkt, wenngleich im Schlafrock, durchaus nicht abgerissen – ja, er scheint mit Bart und Perücke mehr ältlich als unternehmungslustig. Vor allem aber würdig. Kurz, das alles ist etwas anders, als man es gewohnt ist.

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Dieses „Andere“ dieser Inszenierung von David McVicar entwickelt sich im Lauf des Geschehens weiter. Die Ausstattung bleibt großzügig (Bühnenbild: Charles Edwards, Kostüme: Gabrielle Dalton ), wenn es auch bei Fords nicht übertrieben üppig ist – ein Hinterhof mit der aufgehängten Wäsche (warum sich Nanetta und Fenton hier immer am Boden wälzen, ist nicht ganz logisch), dann ein zentraler Raum, der zeigt, dass man bei einem Kaufmann ist, der viele Utensilien für seinen Handel besitzt. Dabei bedient sich die Szenerie eines uralten, immer nützlichen Theatertricks: Über dem Geschehen, das sehr viel Holz verbaut, läuft eine Art von Brücke. Dorthin kann man Zweithandlungen auslagern, da kann man – was oft nötig ist – Damen und Herren, die dann jeweils im Rudel auftreten, sinnvoll trennen. Keine Frage, das Theaterhandwerk ist bei McVicar, dem viel beschäftigten 50jährigen Schotten, der uns bisher „Adriana Lecouvreur“ und „Tristan und Isolde“ beschert hat, in den besten Händen.

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Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

Offen bleibt nur, um noch einmal auf die Ausstattung zurück zu kommen, warum bei den Verwandlungen vor der Pause der Zwischenvorhang fällt, nach der Pause aber dann der Park von Windsor plötzlich in Gestalt eines Riesenbaumes vor den Augen der Zuschauer aus dem Boden wächst, während sich der Mond von oben herabsenkt: Das ist nicht gut für die Illusion, die man bis dahin so streng bewahren wollte. Und auch noch die Erwähnung zum Bühnenbild: Dass der Regisseur die Darsteller zur finalen Fuge einmal nicht frontal in den Zuschauerraum aufstellt, sondern Sir John in einen Waschkorb steigen lässt, der herabgeschwebt ist, von dem aus er den Schlussgesang zentriert, bevor er in den (Shakespeare-) Himmel auffährt, das ist eine schöne Idee… man kann den Realismus auch am Boden zurück lassen und in Operngefilde aufsteigen.

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Der „Falstaff“ des David McVicar, der optisch die Shakespeare-Zeit hegt und pflegt und keine weiteren Probleme der Realisierung hat (wenn man die Handlung nicht durch gewaltsame Veränderung auf den Kopf stellt, erzählt sie sich ja gewissermaßen mühelos), ist in vieler Hinsicht anders, als man ihn kennt. Ehrlicherweise muss man sagen, dass man selten dabei – so wenig gelacht hat. Der Regisseur treibt dem Stück mit einem ältlichen, immer würdevollen, sich selbst durch und durch ernst nehmenden Falstaff, der nicht als fröhlicher Schurke in den Zuschauerraum kokettieren darf, weitgehend die Heiterkeit aus. Es gibt keine Pointenjagd, es gibt kein lächelndes Einverständnis zwischen Bühne und Publikum, dass ja alles nur Spaß sei… Im Gegenteil: alles ist ernst bis tragisch.

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Ambrogio Maestri, der – wie man weiß – durchaus hinreißend tänzeln kann, realisiert dieses Konzept mit einer fast schwerfälligen Würde. Möglicherweise ist es ihm nicht ganz leicht gefallen, seine natürliche Komödiantik auszublenden. Stimmlich ist er prächtig, ein echter Bassbariton mit allen Tiefen und auch Höhen der Rolle (außer bei jenen Stellen, wo ihm die Tessitura gleich taktelang zu hoch liegt), mit der Schwere des Ausbruchs und der nötigen Leichtigkeit („Quand’ero paggio del Duca di Norfolk“)… Es ist und bleibt seine Rolle, auch wenn er am Ende, mit Hirschgeweih und Zottelpelz, mehr wie ein Warlaam als wie ein Falstaff aussieht… Wenn man sich auf DVD (mit Frittoli, Frontali und Florez als Partnern) die unglaubliche Leichtigkeit (auch in der Stimmführung) seines Debuts unter Muti in Erinnerung gerufen hat, dann sieht man, welch weiten Weg er in eineinhalb Jahrzehnten Rolleninterpretation zurückgelegt hat.

Wenn man also einen anderen, gewissermaßen vertieften Falstaff erhält, dann leiden die anderen unter dieser Veränderung, vor allem die Damen. Nun sind sie ja in dieser Oper weit schlechter bedacht als üblicherweise bei Verdi: Die „lustigen Weiber“ Alice Ford, die Nachbarin Meg Page, Alices Tochter Nanetta und die „Kupplerin“ Mrs. Quickly bekommen nicht übertrieben viel solistisch zu tun – Alice einmal mit Falstaff, Nanetta immer wieder in winzigen Passagen mit ihrem Liebhaber Fenton (und ihre halbe Arie am Ende), Meg Page gar nicht. Mrs. Quickly hat „ihre“ Szene mit Falstaff („Reverenza!“), wenn man sie denn lässt, aber sonst sind die Damen meist als Quartett unterwegs.

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Carmen Giannattasio, Hila Fahima , Marie-Nicole Lemieux, Lilly Jørstad

In dieser Inszenierung erscheinen die Ladies eher leichtgewichtig, und leider fügen sich auch ihre Stimmen nicht wirklich harmonisch zusammen. So kommt es, dass drei der vier Damen zwar ausgesucht hübsch sind, aber doch nur peripher zur Geltung kommen – Carmen Giannattasio als Alice Ford (der man eine leichtere Stimme für diese Rolle wünschen würde), Hila Fahima (die sich auf ihren oft so hübschen Sopran nicht recht verlassen kann – ob Töne getroffen werden oder nicht) als Nannetta und die darstellerisch spritzige, für einen Mezzo vielleicht zu hellstimmige Lilly Jørstad als Meg Page. Marie-Nicole Lemieux als Quickly darf mit wabernder Stimmtiefe als einzige unverschämt nach Pointen schnappen, aber so richtig überzeugend gelingt das auch nicht.

Dazu kommt, dass Verdi diesem „Quartett“ vor allem in den im Piano „schwebenden“ Höhen unvergleichliche Momente als Ensemble schenkt (am hinreißendsten nachzuhören auf der „Falstaff“-Schallplatte Karajans mit der Schwarzkopf, aber auch Muti gelingt es prachtvoll), was hier die Damen, möglicherweise auch des Dirigenten wegen, so gar nicht schaffen.

Im Gegensatz zu ihnen hat Mr. Ford nicht nur eine große, komische Szene mit Falstaff, in der er dauernd seine Wut beherrschen muss, dazu noch eine große Arie danach (damit der dicke Ritter sich währenddessen umziehen kann), aber es reicht natürlich nicht, dies nur ordentlich zu singen, wie Ludovic Tézier es tut, der eher zu den temperamentlosen Interpreten dieser Rolle zählt.

Irgendwie schafft es auch der jugendliche Liebhaber (Paolo Fanale hat mit einiger Schärfe in der Stimme gar keine lyrischen Fenton-Qualitäten) nicht ins allgemeine Bewusstsein. Die „Komiker“ sind drollig, aber ungewöhnlich diskret – Herwig Pecoraro und Riccardo Fassi als Bardolfo und Pistola sowie Thomas Ebenstein als Dr. Cajus (der immerhin zu Beginn und zum Ende mit schneidendem Tenor unüberhörbar auf sich aufmerksam macht). So hat, nehmt alles nur in allem, David McVicar für sein „seriöses“ Falstaff-Bild große Opfer gebracht, und Verdis Oper als solche bezahlt dafür.

Denkt man, was Zubin Mehta sich vom Orchesterpult auf der Bühne schon ansehen musste (einen auf sein Schwert pissenden Siegfried zum Beispiel), versteht man, dass ein Konzept dieser Art einem Mann seiner Generation gewissermaßen ein zu erfüllender Wunsch war. Er trägt ihm auch mit einer musikalischen Realisierung Rechnung, die mehr auf dramatische als auf die leichten, heiteren Töne setzt. Tatsächlich ist von der berühmten Transparenz der Partitur, vom zarten Umgang mit den filigranen Stellen kaum etwas zu hören. Das ist gewissermaßen „normaler“ Verdi – und solcherart verliert „Falstaff“ Wesentliches. Aber natürlich ist Mehta eine Qualität für sich, und der Jubel für ihn persönlich war besonders stürmisch.

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Zubin Mehta dankt für den Applaus (Foto Wagner)

Am Ende gab es dennoch langen, gänzlich unwidersprochenen Beifall, ja Jubel für alle Beteiligten. Volkes Stimme, Gottes Stimme? „Wenn alle Inszenierungen so wären!“ hörte man. Nein, das sollen sie durchaus nicht. Aber auch eine historisierende Produktion wie diese muss möglich sein, ohne dass über den Regisseur, den Direktor und ein Publikum, das dergleichen mag, die Hölle der Gehässigkeit und Verachtung losbricht.

Renate Wagner

 

 

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