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WIEN / Staatsoper: EUGEN ONEGIN


Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper:
EUGEN ONEGIN von Piotr I. Tschaikowski
Premiere: 25. Oktober 2020  

Vorausgeschickt: Die meisten Wiener Opernfreunde werden heilfroh sein, dass sie die unsägliche Falk-Richter-Inszenierung des „Eugen Onegin“ los sind. Das war affektiertes Regie-Getue, das dem Werk keine Möglichkeit gab, sich zu entfalten. Die Art von Ideen, auf die man leicht verzichten kann.

Die frohe Botschaft: Die Inszenierung von Dmitri Tcherniakov ist zwar (wieder einmal an der Staatsoper) eine „alte“ von 2006, als „Premiere“ nach Wien eingekauft, nachdem dieser „Onegin“ schon von Moskau nach Paris und London gereist ist. Aber der Regisseur zeigt zumindest Beziehungen: von Onegin und Tatjana, von Onegin und Lenski, von Lenski und Olga, und auch die Nebenfiguren – Tatjanas Gatte im dritten Akt, Fürst Gremin, sowie ihre Mutter und ihre Kinderfrau – gewinnen Profil. Das ist schon etwas, das ist viel, und man hat gelernt, dankbar zu sein.

Nun ist Tcherniakov ein Regisseur von teils rabiatem Ruf. Unvergesslich sein Berliner „Parsifal“ von 2015 (auf DVD zu überprüfen), wo Andreas Schager als Parsifal mit kurzen Hosen, Dschugel T-Shirt und Rucksack zu den Gralsrittern stolperte, die man als eine Art Sandler in einer Art Gruft antraf. Solche Gewalt hat der Regisseur Tschaikowskis Werk nicht angetan, wenn er auch eine Basis-Idee hatte, mit der er kämpfen musste: Er hat, als sein eigener Bühnenbildner, das Geschehen quasi in nur zwei Räume gesteckt, Akt 1 und 2 in das Speisezimmer bei Larina und Akt 3 in einen Speisesaal bei Gremin, der dasselbe Motiv, eine lange Tafel, zeigt. Zweifellos befindet man sich auch nicht mehr in der Welt des Zarenreichs, dazu sind die Kostüme (Maria Danilova) – wenngleich ziemlich diffus in dem, was sie aussagen sollen – eindeutig später angelegt, ohne sich zeitlich wirklich zu deklarieren.


Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

In den Räumen, in denen Tcherniakov seine Menschen und das Geschehen „einschließt“, wird vieles gegen den Strich gebürstet und stimmt auch vieles von vorn und hinten nicht. Da wird im 1. Bild expressis verbis gesungen, man befände sich im Garten, aber man ist im Zimmer – und die Leibeigenen der Larina, die im Original eigentlich nur vorbeiziehen, sitzen hier bei ihr am Tisch… Tatjana sinniert nicht in ihrem Schlafzimmer vor sich hin und schreibt den Liebesbrief an Onegin, sie bleibt im Esszimmer, und ihr Monolog ist eine Art Auseinandersetzung mit dem live nicht vorhandenen Mann… das ist stellenweise intensiv, und mit Lichteffekten und plötzlich wehenden Vorhängen scheut Dmitri Tcherniakov auch keinesfalls das Pathos…

Freilich, der nun folgende „Ball“ zu Tatjanas Namenstag ist keinesfalls ein solcher, bestenfalls ein Gschnasfest im Esszimmer, wo dann Monsieur Triquet zur stummen Figur wird, weil man sein berühmtes Couplet (oder wie immer man es nennen mag) Lenski in den Mund legt, was in Ordnung ist. Hier gelingt dann auch die Konfiguration der Beteiligten sehr gut, die zum Duell führt…

Dass dieses dann gleichfalls „im Saale“ stattfindet, statt wie üblich im Freien, ist eigentlich nicht zu argumentieren, und dass man je bei solchen Gelegenheiten mit Gewehren geschossen hat, ist auch nicht bekannt. Immerhin fiel dem Regisseur zum Schusswechsel (der ja wirklich nicht möglich gewesen wäre, weil er jede Menge Leute und Personal als Zuschauer herumstehen lässt) eine Alternative ein – Onegin wirft das Gewehr weg, der wütende Lenski drängt es ihm auf, sie rangeln, Schuß, Lenski ist per Sprung auf dem Tisch, tot. Dass das ohne Lacher gelingt, ist schon ein Kunststück. Solcherart darf auch Olga dabei sein, deren Benehmen dieses Duell eigentlich angezündet hat, und sich mit einem stummen Schrei der Leiche nähern…


Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Bei Fürst Gremin (war das Riesenzimmer bei der Larina weitgehend beige, ist es nun – wir sind in St. Petersburg, reicher und ranghöher – in Purpurrot getäfelt) wird das Menuett nicht getanzt, sondern als musikalischer Hintergrund dafür benützt, dass Onegin, der uneingeladen zu dem Fest des alten Bekannten kommt, von allen abgewiesen und geschnitten wird. Seinen Verzweiflungsmonolog erzählt er nicht sich selbst, sondern der ganzen peinlich berührten Gesellschaft. Hier und im nächsten Bild (muss man erwähnen, dass man sich im selben Zimmer befindet?) singen sich Tatjana und Onegin im schmerzlichen Wiedersehen die Seelen aus dem Leib, was für den Schlussapplaus sorgt.

Es ist also eine Inszenierung, die in vielen Details von dem Werk abweicht, aber die „Linie“ bewahrt, die Geschichte erzählt. Es ist keine besonders aufregende Arbeit keine, die überrascht, aber da Regiescherze meist schlecht ausfallen (man kaut noch an der „Entführung“), ist man mit einem „so la la“-Abend ja schon zufrieden. Zumal er im Repertoire keine Schwierigkeiten bereiten wird.

Vielleicht gibt es dann auch Besetzungen, die ein wenig mehr überzeugen als jene, die bei der Premiere auf der Bühne stand. Zumal der Titelheld war entschieden eine Nummer zu klein – Andrè Schuen mag ein Marcello sein, ein seelenkalter russischer Fürst ist er keineswegs. Er schlendert mit langen schwarzen Locken herein, ein romantischer Teenager-Schwarm und als solcher vielleicht begreiflich als Tatjanas Objekt der Begierde. Aber die Szene, in der er sie zurückweist, die so schrecklich demütigend und schmerzlich ausfallen müsste, bekommt von ihm rein gar nichts, und auch sonst merkt man einfach nur das Herumschwimmen im Handwerk, ohne dass irgendeine Art von Intensität und Überzeugungskraft von der Bühne käme. Zudem ist auch sein metallig timbrierter Bariton nicht so schön, dass man aufhorchen würde.


Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn 

Auch Nicole Car war als Tatjana nicht unbedingt eine Traumbesetzung, wenn man hier auch konzedieren möchte, dass der Regisseur sie wohl als dermaßen langweilige, steife Trauerweide gesehen hat, die nur in ihrer Briefszene (die keine war, sondern die Auseinandersetzung mit dem abwesenden Onegin) und am Ende, in ihrer Abrechnung, ein wenig Leben gewann. In ihrer Stimme zeigt sich der interessante Fall, dass sich Schärfe mit Strahlkraft verbindet, das Positive also das Negative aufhebt.

Interessant war die Führung der Figur der Olga, die ja in der Gefühlsskala jede Interpretation offen lässt. So negativ gezeichnet wie hier hat man sie noch nie gesehen, verächtlich Lenski gegenüber, sofort ihrerseits auf Onegin fixiert, hartherzig und seelenlos, was der schönen Blondheit und dem angenehmen Mezzo von Anna Goryachova geradezu zu widersprechen schien. Man kann die Figur durchaus unschuldsvoller interpretieren, dann würde Lenskis Eifersuchtstod noch tragischer, weil unbegründet, was er hier nicht ist.

Dieser Lenski war bei Bogdan Volkov in besten Händen. Er ist zwar alles andere als ein Belcantist (da hat man seine Arie schon weit schmelzender gehört), aber so richtig in der Figur des unschuldsvollen, verletzten Liebenden und so intensiv im Ausdruck, dass er zu den Höhepunkten des Abends zählte.

Man hätte auch, am Anfang seiner berühmten Arie, gehofft, in dem Gremin von Dimitry Ivashchenko einer besonderen Stimme zu begegnen, aber am Ende war die Arie dann doch zu ungleich, der stellenweise schöne Baß nicht „schwarz“ und tief genug. Madame Larina (Helene Schneiderman) wieselte ohne besondere Kennzeichen herum, während man der Filipjewna selten so intensiv zugehört hat wie in der Interpretation von Larissa Diadkova.

Tomáš Hanus bemühte sich um die Lyrik, war aber vor allem in den dramatischen Steigerungen zuhause und gestaltete eine musikalisch durchaus packende Aufführung, die aber letztendlich doch nicht „das“ Ereignis war. An diesem Abend war allerdings nur eine verschwindende Anzahl von Leuten im Publikum entschlossen, den Regisseur auszubuhen, und sie gingen hilflos im Applaus unter. Als Repertoireabend schlägt der neue „Eugen Onegin“ den alten bei weitem. Eine Produktion, die man „gesehen haben muss“, ist es allerdings nicht.

Renate Wagner

 

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