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WIEN/ Staatsoper: DORNRÖSCHEN – ein Zaubermärchen ganz ohne Märchenzauber. Premiere

Wiener Staatsoper:“DORNRÖSCHEN“ –(Premiere am 24.10.2022)

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Der blaue Vogel getanzt von Davide Dato und Prinzessin Florine von Kiyoka Hashimoto. – © Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

Dieses mit der traumhaften Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski beglückende Märchenballett hat es in Wien nie so leicht gehabt. Wohl auszugsweise als Divertissement gezeigt, doch als abendfüllender Ballettabend ist „Dornröschen“ erst sehr spät, 1963 in der Inszenierung von Wazlaw Orlikowsky, in das Repertoire der Wiener Staatsoper aufgenommen worden. Rudolf Nurejew hatte dann 1980 mit seiner die Phantasie voll bereichernden choreographischen Fassung so richtige Freude bereiten vermocht. Die Kurzzeit-Ballettchefin Elena Tschernischowa ersetzte unglücksseligerweise diesen genialen Wurf durch eine Einstudierung des Briten Peter Wright. Bombastisch, tänzerisch durchaus sehr fein geformt, doch ohne Nurejews Beseelung. Immerhin, die immens pompöse Ausstattung ist noch gelagert, sollte auch wieder hervor geholt und aufpoliert werden.

In unserer heutigen Kultursituation (deutsches Theater: unromantisches ‚Entstauben‘ und Stückezertrümmerung) ist auch die Zeit für Choreographen eine nicht so richtig glückliche. Feine Könner finden wir unter den Jüngeren …. doch große Würfe zuletzt, wo? Der Schweizer Martin Schläpfer, von Staatsopern-Chef Roscic von der Düsseldorfer Oper als Verantwortlicher für das Wiener Staatsballett an die Donau transferiert, ein durchaus ernst denkender und bereits sehr gereifter Ballettmann, möchte sich in Wien mit einem Überangebot an eigenen choreographischen Arbeiten (sein eigener Zyklus ‚Ballett ohne Ballettmusik‘) gern als kreativer Ballettschöpfer einen Namen machen. Für den nicht übermäßig großen Kreis der Wiener Ballettfans scheint er jedoch bei seinen Programmierungen nicht gut beraten zu sein. Auch diese seine eigenwillige „Dornröschen“-Interpretation, welche teils überlieferter Tradition (Marius Petipa) folgt, aber auch mit einem Einsprengsel mit früherer Avantgardemusik von Giacinto Scelsi (1905 bis 1988) überrascht, wendet sich von romantisierendem Märchenzauber ab, spielt mit intellektueller Überlegung etwa auf den Generationenwechsel wie andere Zeitgeist-Thematik an. Nicht immer verständlich, mit einigen Leerläufen. Und so endet Tschaikowskis sprühende Tanzapotheose mit einem tristen Finale: Auroras königliche Eltern versinken auf ihrem Sterbebett – hier in Dunkelheit auf dem grabeskalten Bühnenboden.

Choreographie: Martin Schläpfer & Marius Petipa‘ ist auf dem Programmzettel zu lesen. Die beiden passen jedoch wenig zusammen. Nicht verzaubernde Poesie wird hier eingefangen, sondern Schläpfers Fassung wirkt wie das Bemühen, diesem Idealbeispiel des großen klassischen Balletts einen neumodischen Anstrich zu geben. Mit einem nicht allzu überzeugend ansprechenden oder zur Musik sensibel überlegten Psycho-Touch. Dabei wird Schläpfers Manipulieren mit der Petipa-Grandezza von den Tänzern sehr nobel umgesetzt. Zu spüren ist aber, dass Tschaikowskis pures Glücksbringer-„Dornröschen“ dem  Zuseher ausschließlich intensiv zu erlebende gefühlserfüllte Momente schenken möchte. Vom Orchester an diesem Abend jedenfalls gemeistert: Exzellent werden das Rosenadagio & Aurora´s Variation & Walzer & Polacca & die Pas de caractère unter Patrick Lange aufgespielt.

Das Einheitsbühnenbild von Florian Etti spricht die Märchenfantasie so gut wie nicht an, zeigt ein stets in fahles Licht getauchtes Shopping-Atrium mit wechselnden großformatigen Rosen- oder Naturornamenten. Und die nicht gerade klar charakterisierende Kostümierung (Catherine Voeffrey), bunt und sehr feminin, die Männer eher weibisch gekleidet, scheint in ein Zirkuszelt zu führen. Statt mit Tschaikowski das Schloss mit der in Schlaf versunkenen Aurora zu inspizieren, führt hier eine ältliche Waldfrau ätherische Bodengymnastik vor – Scelsis feinnervig schwirrende Viertelton-Musik dient dazu als überlange CD-Einspielung.

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Hyo-Jung Kang als „Aurora“. Foto: Ashley Taylor

Die stimmungsvollsten Momente sind durch die Aufführungstradition seit Petipa gegeben. Als Hauptpaar präsentierten sich Hyo-Jung Kang als wohlerzogene wie sanfte, einnehmende Prinzessin Aurora und Brendan Saye (Neuzugang aus Kanada) als stattlicher, eher sportlicher Prinz Désiré. So gar nicht dankbar angelegt sind die Partien für das schließlich überraschend zum Sterben beordnete Königspaar (Olga Esina und Masayu Kimoto). Fliederfee (Ioanna Avraam) und Carabosse (Claudine Schoch) und der Blauen Vogel mit seiner Prinzessin Florine ( Davide Dato, Kiyoka Hashimoto) haben die Klassequalität der Kompanie bestätigt. Stärkeren Szenenbeifall hat es jedoch nur wenig gegeben. Im Schlussakt stehen die Tänzer im Carré, leger wie bei einer Stehparty, mäßig gelaunt, verfolgen das Divertissement oder fügen sich in dieses ein. Bis … ja, bis zur Sterbeszene des königlichen Paares. Eltern sollten sich überlegen, ihre Kinder mitzunehmen. Für kindliche Fantasie bleibt dieser Abend wohl nur ein unverständliches Zaubermärchen ohne Märchenzauber.

  Meinhard Rüdenauer

 

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