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WIEN/ Staatsoper: DON GIOVANNI. Was will uns Kosky in seinem „Don Giovanni“ zeigen? Versuch einer Inszenierungsanalyse.

Was will uns Kosky in seinem „Don Giovanni“ zeigen? Versuch einer Inszenierungsanalyse.

Die meisten Kritiken, die ich gelesen habe, bemängeln, dass Barrie Koskys „Don Giovanni“ unrealistisch, unlogisch oder unverständlich ist. Ich glaube, dass das ein Missverständnis ist: Koskys Inszenierungen sind nie realistisch, sondern immer symbolistisch. Ich mache hier den Versuch, seine Symbole zu entschlüsseln, und die vielen Interviews, die er vor der Premiere gegeben hat, sind mir dabei eine große Hilfe.

Das Bühnenbild zeigt eine dunkle, erkaltete Vulkanlandschaft, im ersten Akt wie erstarrte Lava, im zweiten Akt zunächst mit in die Höhe ragenden Basaltsäulen und zuletzt mit einer in der Tiefe liegenden wassergefüllten Höhle. Ich verstehe das Vulkanische in erster Linie als ein symbolhaftes Bild für die zerstörerische Kraft und Gewalt, die Don Giovanni auf alle seine Mitmenschen, Frauen wie Männer, ausübt. Ich sehe das Gestein aber auch als ein Symbol für den Charakter Don Giovannis. Ich beziehe mich dabei auf die Tondichtung von Richard Strauss, die auf dem Versdrama von Nikolaus Lenau aufbaut: Bei Strauss erscheint Don Juan am Ende seines Lebens ausgebrannt und erkaltet, heute würden wir das ein Burnout nennen. Man kann das Bühnenbild also auch so interpretieren, dass Don Giovanni auf die Frauen wie ein Vulkan wirkt, der feurig ejakuliert, dass aber seine Seele kalt ist und versteinert, ähnlich wie der Kaiser in der „Frau ohne Schatten“.

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Die in die Höhe stehenden Basaltsäulen sind ein Symbol für die Lebenskraft Giovannis und selbstverständlich auch ein Phallus-Symbol. Die mit Wasser gefüllte Höhle am unteren Bühnenrand sieht wie der Eingang zur Unterwelt aus, wie Styx und Hades.

Auf der Bühne liegen immer wieder größere und kleinere Steine. Teilweise spielen Giovanni und Leporello mit ihnen (am Friedhof auch als Parodie der Szene, in der Hamlet den Totenkopf in der Hand hält), die Steine werden aber auch als Waffen verwendet. Dass hier weder mit eleganten ritterlichen Degen noch mit modernen Pistolen getötet wird, sondern sehr brutal und blutrünstig mit steinzeitlichen Faustkeilen, ist wohl ein Hinweis auf den zeitlosen, archaischen Mythos. Auch dass der Komtur und Giovanni nach ihrem Tod jeweils wieder aufstehen und bedeutungsschwer über die Bühne schreiten, interpretiere ich als Hinweis, dass sie als ewiger Mythos von Don Juan und dem Steinernen Gast weiterleben.

In der Ballszene am Ende des ersten Aktes wird die Bühne durch Pflanzen belebt: einerseits durch Grünpflanzen, die ähnlich wie im Koskys Münchener „Rosenkavalier“ als Verstecke für Liebesspiele dienen, und andererseits durch Blüten und Blätter, die von den Sängern und Musikern als Kopfputz getragen werden. Das erinnert an die Efeukränze im Dionysos-Kult. Kosky sprach ja davon, dass Giovanni ein „Kind des Dionysos“ ist. Der Ball am Ende des ersten Aktes wird von Giovanni für seine Gäste also als ein dem Dionysos geweihtes Bacchanal inszeniert.

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Foto: Trailer/ Clipboard

Auch die Personenregie setzt meiner Meinung nach mehr auf wirkungsvolle Bilder als auf eine realistische Interaktion. Als Beispiel möchte ich das erste Wiedersehen von Giovanni und Elvira anführen: Sie, die sich nach Partnerschaft und Bindung sehnt und ihn immer noch liebt, schlingt ihre Schenkel erotisch um seinen Körper und ihre Augen leuchten voll Freude und Liebe. Sie hängt an ihm und sie umklammert ihn, wörtlich und bildlich. Er sieht missmutig zur Seite: Er hatte einst ihre Erotik genossen, aber ihre Anhänglichkeit und ihre Umklammerung sind ihm widerlich und er befreit sich von ihr in seinem Freiheitsdrang, seiner Bindungsangst und seiner rastlosen Unruhe von jeder Eroberung zur nächsten.

Hubert Partl

 

 

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