WIEN / Staatsoper
DON GIOVANNI von Wolfgang Amadeus Mozart
52.Aufführung in dieser Inszenierung
Freitag, 16. November 2018
Von Manfred A.Schmid
Eine todmüde Inszenierung – von der Musik beatmet und belebt
Der Beginn der Ouvertüre, die Paukenschläge, das schneidende Blech und das erregte Tremolo der Streicher lassen keinen Zweifel daran, wohin der nur noch kurz bemessene Lebensweg den skrupellosen Frauenverführer und Serienvergewaltiger führen wird: Geradewegs in die Hölle. Heute, in Zeiten von #MeToo, wohl zuerst in einen Shitstorm, der sich gewaschen hat, und dann in eine Reihe hochnotpeinlicher Gerichtsverfahren.
Und doch gibt es eine Frauengestalt in der Oper, die – aller erlittener Enttäuschung und seelischer Verwundung zum Trotz – bis zum bitteren Ende Don Giovanni ein starkes positives Gefühl entgegenbringt: Nicht mehr Liebe, aber auch nicht Hass, sondern Mitleid, wie sie selbst sagt. Mitleid mit einem Getriebenen, einem von seinen unersättlichen Trieben getriebenen Mann, der von sich selbst behauptet, dass er gefühlvoll sei, aber dass ihn die Frauen einfach nicht verstünden. Donna Elvira will ihn verstehen, bis zum bitteren Ende. Vermutlich also doch aus Liebe. Olga Beszmertna zeichnet diese widersprüchliche, in sich zerrissene Frau mit starkem Einfühlungsvermögen und prächtiger Stimme, und macht so ihre ebenso edle wie weltfremde Gesinnung glaubhaft und nachvollziehbar.
Vor einem ähnlichen Schicksal soll Donna Anna von ihrem verlässlichen und wie ein Ruhepol wirkenden Bräutigam bewahrt werden. Benjamin Bruns ist ein vorzüglicher Don Ottavio, wie man ihn hier in Wien seit den besten Zeiten Michael Schades kaum mehr erlebt hat: Ein lyrischer Tenor, der es auch an dramatischen Zügen nicht mangeln lässt. Ungemein zart und behutsam in seiner Haltung gegenüber seiner Geliebten, gibt er sich auch energisch und entschlossen, wenn er verspricht, sie zu schützen und zu rächen. Freilich bleibt bei der bloßen Ankündigung: Zum Degen will er nicht greifen, sondern vertraut letztlich auf die (Höhere) Gerichtsbarkeit.
Myrtò Papatanasiu schlägt sich wacker als Donna Anna. Sie verleiht ihrer Figur den Lebenshunger einer jungen, verunsicherten Frau. Die großen, mit Koloraturen angereicherten Bögen des „Crudele! … Non mi dir“ gelingen aber mehr als zufriedenstellend und offenbaren ein durchaus eigenständiges Potenzial. Das Terzett der drei Frauenpartien wird komplettiert durch Virginie Verrez, die sowohl stimmlich als auch darstellerisch eine tadellose Leistung als Zerlina abliefert. Von der am ersten Abend von der Kritik konstatierten Nervosität war bei diesem Neuling im Ensemble jedenfalls – erfreulicherweise – nichts mehr zu merken.
Unbestrittener Mittelpunkt des Geschehens aber bleibt selbstverständlich die Titelpartie. Markus Werbas Don Giovanni ist ein Mann, der mit den Gefühlen der Frauen spielt, dem es vor allem ums Erobern geht. Nichts nimmt er ernst, weder das Leben noch den Tod. Jugendlicher Leichtsinn zeichnet ihn aus und Unbekümmertheit. Bei der überschäumend vorgetragenen Champagner-Arie ertönt aus der Galerie sogar eine kecke „encore“-Aufforderung. Viel fehlt diesmal dafür tatsächlich nicht. Der Kärntner Bariton erweist sich als ein würdiger Basso cantante, wie er im Büchel Mozarts für diese Figur auch vermerkt ist. Gefährlich charmant.
Ihm zur Seiter steht der Diener Leporello, der seinen Herrn teils bewundert und teils verachtetet. Er würde gerne auch einmal, wie er sagt, ein Herr sein, und meint damit wohl eher den Umstand, dass er dann auch einmal kommandieren könnte und nicht nur als Dienstbote schikaniert und misshandelt wird. Dass man ihn in dieser Inszenierung gleich am Anfang dabei ertappt, wie er ein junges Mädchen physisch bedrängt, ist daher nicht ganz nachvollziehbar, aber immerhin eine mögliche Lesart. Mit Anatoli Sivko ist diese anspruchsvolle Partie mehr als rollendeckend besetzt. Und man fragt sich, wie es sein kann, dass er bei seinem jüngsten Auftritt als Don Basilio im Barbiere von einem Teil der Kritik so schlechte Noten bekommen hat. Wer den Leporello so gut bewältigt, der soll ausgerechnet schon bei Rossinis Basilio an seine Grenzen gestoßen sein?
Zwei Männerstimmen sind noch zu ergänzen: Der junge Bariton Peter Kellner ist ein Neuzugang im Ensemble, der sich in kürzester Zeit schon als überaus vielseitig einsetzbar erwiesen hat und demnächst auch in der Uraufführung der Auftragsoper Weiden dabei sein wird. Sein Masetto ist fein gestaltet und auch darstellerisch eine Freude. Da hat man es wohl mit einem künftigen Leporello bzw. Don Giovanni zu tun. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein, was freilich auch für seine bereits erwähnte Kollegin Virginie Verrez gilt. Den markerschütternden Ruf des Commendatore, der zum Gastmahl kommt und den uneinsichtigen Wüstling vergeblich zur Reue auffordert, hat man wohl schon schauriger erlebt als diesmal von Dan Paul Dumitrescu. Immerhin ist er verlässlich wie immer, aber richtig furchterregend erlebt man da nur das rote Feuer, das den Missetäter verschlingt und dem ewigen Spötter am Schluss doch noch einen qualvollen Angstschrei abverlangt.
Als die Hinterbliebenen noch die gerechte Bestrafung des Unholds besingen, ragt im Hintergrund schon die elegante Silhouette eines Don Giovanni-Denkmals mit dem charakteristischen Federbusch in die Höhe: Don Giovanni wird als Don Juan ebenso zum Mythos werden wie etwa der Doktor Faust, von dem im Übrigen Goethe gemeint hat, dass die Musik dazu „im Charakter des Don Juan sein“ sollte, denn „das Abstoßende, Widerwärtige, Furchtbare, was sie enthalten müsste“, könne nur Mozart komponieren.
Dieses Schlusstableau ist aber auch schon der fast einzige Pluspunkt in dieser behäbigen, langweiligen Inszenierung Jean-Louis Martinotys. Das befremdliche Bühnenbild von Hans Schavernoch erzwingt mehrere Zwischenvorhänge wegen lästiger Umbauten. Dass die Aufführung dennoch bis zum Schluss den Spannungsbogen aufrechterhält und musikalisch zündend und zügig vorangeht, liegt am gediegenen Handwerk des musikalischen Leiters Adam Fischer. Der Beifall war entsprechend groß.
Manfred A. Schmid
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