
Peter Mattei als Giovanni Foto: M.Pöhn
Porträts höchst widersprüchlicher Charaktere
In der Wiener Staatsoper ging eine Serie von Mozarts DON GIOVANNI mit der
56. Aufführung in der Inszenierung von Jean Louis Martinoty zu Ende
Sonntag, 17. März 2019 Von Manfred A. Schmid
Wer sich „an die Donna Anna wagt,“ dozierte der unerbittliche Eduard Hanslick im Jahre 1855, „muss der strengsten Anforderungen gewärtig sein. Wir verlangen überwältigende Leidenschaft und Größe, Genialität beinahe.“ Kein Wunder, dass die damit konfrontierte Adressatin – eine gewisse Frau Tietjens – diese Gaben nur zum Teil erfüllen konnte. Ausnahmesängerinnen dieses Kalibers gibt es eben nicht alle Tage. Das gilt auch für Olga Peretytko, die für die Gestaltung dieser Partie allerdings stimmlich und darstellerisch viel von dem mitbringt, was laut Hanslick Voraussetzung für eine gelungene Donna Anna darstellt: Stärke im Ausdruck und gesanglich große Bögen, die Koloraturen gelingen ihr mühelos, ihr Stimmumfang ist der Aufgabe angemessen und wird – anders als in der Lucia vor wenigen Wochen – nie bis zur Grenze ausgereizt. Die Ambiguität in ihren Beziehungen zum Verführer und mutmaßlichen Vergewaltiger Don Giovanni und zu ihrem Bräutigam Don Ottavio tritt klar zutage und bleibt bis zum Ende rätselhaft. Damit gelingt Peretyatko die Zeichnung einer komplexen, nie ganz durchschaubaren Figur. Und das macht den Reiz dieser von Da Ponte geschaffenen und von Mozart in ihrer seelischen Tiefe ausgeloteten Figur aus: Sie bleibt in ihrem Schmerz, in ihrer Leidenschaft und in ihrer Liebe bis zuletzt unfasslich.

Olga Peretyatko -Donna Anna im Zweifel ihrer Gefühle Foto M.Pöhn
Das gilt auch für ihre Leidensgenossin Donna Elvira, die von Don Giovanni schwer enttäuscht und zutiefst verletzt worden ist und dennoch weiter an ihm hängt und nicht von ihm lassen kann. Veronique Gens hat in dieser Partie bereits vor zwanzig Jahren unter Claudio Abbado auf sich als Mozart-Sängerin bei Festival von Aix-en-Provence aufmerksam gemacht. Ihrem Spiel merkt man die intensive Auseinandersetzung mit dieser Figur an, manche Spitzentöne verraten aber bereits einen scharfen Klang. Dennoch liefert sie insgesamt eine packende Donna Elivra, die unbeirrt und wider besseren Wissens einem mutwillig Treulosen bis zu dessen schauriger Höllenfahrt die Treue hält.
Der Mittelpunkt in diesem Wirrwar aus erotischen Abenteuern, mit Gewalt gespickten Verführungen und erträumten Dauer-Beziehungen ist natürlich Don Giovanni. Peter Mattei bewältigt die Titelpartie gesanglich gut, nur die Champagner-Arie klingt etwas zu salopp – um nicht zu sagen: schlampig – vorgetragen. Dafür gelingt sein von der Mandoline auf der Bühne begleitete Ständchen „Deh, vieni alla finestra“ zum Niederknien schön. Darstellerisch ist Mattei sehr präsent und weiß als kühner, verstörender wie faszinierender Freigeist die ihn über den Weg laufenden Frauen zu betören und das Publikum zu begeistern.

Adam Plachetka in der Dienerrolle Foto M.Pöhn
Die Rolle von Don Giovannis Diener Leporello, der seinen Herrn bewundert, davon träumt, auch einmal ein Herr zu sein, und der – in dieser vor allem ob des abscheulichen Bühnenbilds von Hans Schavernoch viel gescholtenen Inszenierung von Jean-Louis Martinoty – bereits viel von seinem Herrn abgeschaut hat (vor allem die schlechten Angewohnheiten im Umgang mit Frauen) bereitet Adam Plachetka offensichtlich viel Freude. Die Registerarie trägt er nicht ohne Bewunderung für seinen Herrn und auch mit einer Prise Neid vor, in den komischen Episoden kann er mit viel körperlichem Einsatz punkten.
Der Don Ottavio von Jinxu Xiahou liefert eine gediegene Leistung und weckt mit seiner hellen, gefühlvollen Tenorstimme Erinnerungen an Michael Schade. Don Ottavio ist hier kein Held. Er zückt zwar mehrmals das Schwert – oder vielmehr die Pistole, aber zur Aktion reicht es nie. Da ruft er doch lieber die Gerichte an. Darstellerisch hätte der ursprünglich in dieser Partie vorgesehene Rolando Villazon vermutlich für mehr Aufsehen gesorgt, aber gesanglich möchte man ihn sich lieber nicht mehr vorstellen. Da ist man mit dem bewährten Ensemblemitglied bestimmt besser bedient.
Daniela Fally ist eine entzückende Zerlina, die sich gesanglich – gemäß ihrer Rolle – stark zurücknimmt und ein naives Bauernmädchen spielt, das angesichts der eindeutigen Avancen ihres Herrn in zunehmende Verwirrung gerät. Ihr Bräutigam Masetto gibt dem vielseitigen Peter Kellner Gelegenheit, seine darstellerische Begabung und einen prächtigen Kavaliersbariton zur Schau zu stellen. Das noch junge Ensemblemitglied wächst mit jedem Einsatz. Man darf auf Kellners weitere Entwicklung gespannt sein.
Der Auftritt des Commendatore von Dan Paul Dumitrescu bei Don Giovannis Höllenfahrt fällt eher harmlos aus. Gar nicht harmlos, auch nicht routiniert, sondern höchst vital und zündend ist die musikalische Gestaltung des Abends durch Antonello Manacorda am Pult des Staatsopernorchesters. Namentliche Erwähnung verdient auch Stephen Hopkins am Hammerklavier für die animierte Begleitung der Rezitative. Insgesamt ein erfreulicher Opernabend, der aus dem Alltag der Repertoirevorstellungen hervorragt und zu Recht eifrig beklatscht wird.
Manfred A.Schmid
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