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WIEN/ Staatsoper: DON CARLO zum Saisonfinale

30.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Wiener Staatsoper: DON CARLO am 29.6.2012

Unser Saisonabschluss begann mit einer angenehmen Überraschung: Der wunderbare Eisenmenger – Vorhang erstrahlte wieder in unverhüllter Schönheit – ein gutes Omen für die folgende Aufführung.

In den Kritiken zur Premiere wurde die Inszenierung von Daniele Abbado bestenfalls neutral, überwiegend aber negativ bewertet. Ich – Johann Jahnas – möchte erzählen, warum mir diese Regiearbeit sehr gut gefällt und warum ich mich freue, dass wir in Zukunft zumindest eine repertoirtaugliche Don Carlo – Version zur Verfügung haben. Nicht verhehlen will ich, dass mein Alleingang deshalb erfolgt, weil ich in dieser Frage auch mit meiner Frau keinen vollen Konsens zustande brachte.

Daniele Abbado sagt im Standard – Interview: „Ich will die Zuseher nicht wie Idioten behandeln und ihnen vorschreiben, was sie denken sollen, sondern ihnen Möglichkeiten zur Interpretation geben.“

Wenn man auf die mehr oder weniger aufgesetzten Interpretationen – je nach persönlichem Psychogramm – von, zur Selbstverwirklichung neigenden Regisseuren verzichten möchte, bietet diese Inszenierung die Gelegenheit, der eigenen Phantasie ungestörte Möglichkeiten zu geben. Sie stört nicht, ist eine durchaus positiv gemeinte Aussage. Natürlich kann man sich eine etwas intensivere Personenführung wünschen und dass die Kostüme mit dem 16. Jahrhundert nichts zu tun haben ist richtig und stört eine modebewusste Frau sicher mehr als einen einfacher gestrickten Mann. Die Licht- und Schatteneffekte, die räumlichen Veränderungen an Wänden, Boden und Decke und die wenigen Accessoirs haben mich beeindruckt und in die richtige Stimmung für ein individuelles „Don Carlo – Erlebnis“ gebracht.

Die musikalische Ausführung hat sich seit der Premiere toll entwickelt. Nach einer etwas enttäuschenden, in den Premierenkritiken beschriebenen Spielweise – vielleicht durch die entfallene Generalprobe bedingt – war schon in der dritten und ganz besonders in der letzten Vorstellung von Franz Welser-Möst und den Wiener Philharmonikern eine wunderbar differenzierte, temperamentvolle aber niemals knallige Interpretation zu hören. Selten gehörte Details wurden in Überfluss liebevoll ausgearbeitet und traumhaft schön verwirklicht. Der Chor verströmte einen herrlichen Klang – die Synchronität liess manchmal etwas zu wünschen übrig.

Die aufgebotene Sängerriege kam sehr nahe an das Attribut perfekt heran und es sollen hier unwesentliche Ungenauigkeiten nicht beckmesserisch breitgetreten werden. Eine so hervorragende Zusammenstellung von Ausnahmekünstlern sucht ihresgleichen und wird dankbar genossen. Zum Beispiel die Besetzung von drei Bässen in hervorragender Qualität; jeder perfekt ins Rollenbild passend; das zeigt schon von kluger und einfühlsamer Besetzungspolitik.

Ramon Vargas in der Titelrolle überraschte durch eine gefühlvolle und auch in den Höhen locker präsentierte Gestaltung mit Schmelz und Italianita. Er ist derzeit stimmlich in Topform wie auch Simon Keenlyside als Posa. Die Verschmelzung der beiden Stimmen im Freundschaftsduett gelingt wunderschön; besonders eindrucksvoll gelang auch der Tod Posas in einer, durch die Bühnentechnik gut unterstützen Stimmung.

Krassimira Stoyanova als Elisabetta zeigte in der großen Arie im vierten Akt das gesamte, beeindruckende Potential ihrer Stimme – erst gestern haben wir wirklich verstanden, warum sie sich in der dritten Vorstellung ansagen liess – das war der Unterschied zwischen sehr gut und herausragend.

Nicht minder beeindruckend war die Interpretation der Eboli durch Luciana D’Intino, die allerdings in der dritten Vorstellung zur Höchstform auflief und die mörderischen Registerwechsel glatt und locker bewältigte.

René Pape ist derzeit sicher einer der führenden Interpreten des Filippo II mit mächtigem aber trotzdem gefühlvollem Klang. Es erstaunt deshalb, dass es dem Großinquisitor stimmlich gelingt, ihn in die Schranken zu weisen und zu zeigen, wie die wahren Machtverhältnisse im Reich liegen. Kompliment an Eric Halfvarson, der auch seit der Premiere stetig an Ausdruckskraft zugelegt hat und das Stimmduell mit René Pape zu einem der Höhepunkte des Abends gestaltet.

Der Dritte im Bunde der hervorragenden Bässe war wieder einmal Dan Paul Dumitrescu als Mönch bzw Kaiser Karl V. Sein samtig weicher, warmer Bass berührt immer wieder – von ihm möchte man seelsorgerisch betreut oder als Arzt behandelt werden – der Prototyp des lieben Onkels.

Ileana Tonca war neben den beschriebenen „Kalibern“ ein etwas unauffälliger Tebaldo, Carlos Osuna brachte verlässlich die Stichworte als Herold und Graf Lerma und Valentina Nafornita liess eine schöne, ausserirdisch anmutende Stimme von oben (aus dem Luster) hören.

Es war – trotz der drückenden Hitze – ein beeindruckendes Erlebnis – ein würdiger Saisonabschluss, der aber auch schon Lust auf die nächste „Don Carlo Serie“ macht. Und eine Bemerkung noch aus diesem Anlass: es gehört heutzutage fast zum guten Ton, selbst wider besseres Wissen zu behaupten, das Operpublikum stirbt langsam aus, es gäbe kein Nachwuchs, es kommen keine jungen Leute in die Oper. Dass das nicht stimmt, sieht jeder, der die Augen aufmacht. Ganz besonders erfreulich ist die große Zahl der wirklich jungen Besucher, Alter ca. 8 – 12 Jahre, die aber auch eifrig die Geschichte mitverfolgen und sogar mit den Begleitpersonen diskutieren. Bei unseren Besuchen am Mittwoch, 27.Juni und am Samstag, 29. Juni saßen direkt vor uns Kinder dieser Altersgruppe und es war eine Freude und Wohltat für uns, den Kindern und ihren Eltern zuzuhören und sie zu beobachten. Uns ist jedenfalls nicht bange um die Zukunft der Kunstform Oper.

Somit wünschen wir einen erholsamen Sommer.

Maria und Johann Jahnas

 

 

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