WIEN / Staatsoper: DIE ZAUBERFLÖTE
47. Aufführung in dieser Inszenierung
15. November 2023
Von Manfred A. Schmid
Selbstverständlich ist Mozart für Wien ebenso ein genius loci wie in seiner Geburtsstadt Salzburg. Die Pflege seines Opernschaffens hat an der Staatsoper aber noch immer einige Baustellen aufzuweisen. Neuinszenierungen sollten da Abhilfe schaffen. Bogdan Roscic hat zu Beginn seiner Direktion mit den drei Da-Ponte-Opern ein deutliches Signal gesetzt. Nach einem in der Personenführung durchaus herzeigbaren Don Giovanni, der allerdings durch ein grottenschlechtes Bühnenbild irritiert, und einem als gelungenen zu bezeichnenden Figaro, sollte Barrie Kosky seinen Zyklus demnächst mit Cosi fan tutte abschließen. Die Hoffnung, dass es da nicht, wie bei der Zauberflöte, zu einer Verschlechterung im Vergleich zu den Vorgänger-Inszenierungen von Jerome Savary und Achim Freyer kommen wird, wie das bei der Premiere 2013 der Fall war, ist groß. Allerdings beginnt man sich allmählich an die Zauberflöten-Inszenierung von Moshe Leiser& Patrick Caurier zu gewöhnen. Diese hat sich über die Jahre als durchaus repertoiretauglich erwiesen, wozu nicht nur die possierlichen Bären und die langbeinigen Emus sowie die ebenso possierlich in Ballettröckchen tanzende Polizistenschar beitragen, sondern auch die gelungene Umsetzung der von Tamino zu absolvierenden Feuer- und Wasser-Proben. Kleine Gags wie das plötzliche Verschwinden Papagenos und die Luftreisen der Drei Knaben und Paminas tragen zur zauberhaften Stimmung bei, auch für Humor ist vorgesorgt. Für Verwunderung ist weiterhin der erlegte Hirsch zuständig, den Sarastro bei seinem ersten Auftritt auf seinen Schultern trägt. Da wähnt man sich kurz in den Freischütz versetzt und erwartet vom Chor eine schallendes „Halali“ statt des salbungsvollen Gelaberes der Jünger des autoritären Meisters.
Was es für einen gute Repertoireabend braucht, ist aber vor allem eine adäquate Besetzung. Zwei mit Spannung erwartete Hausdebüts in den zentralen Frauenrollen erfüllen alle in sie gesetzten Erwartungen. Die spanische Sopranistin Sara Blanch, die 2021 bei den Salzburger Festspielen im Rameau-Konzert von Theodor Currentzis als Solistin wie auch an anderen großen Opernhäusern bereits zu bewundern war, íst eine flammende, intensiv gegen ihre Entmachtung auftretende Königin der Nacht. Kristallklar ihre Koloraturen auf der Grundlage einer perfekten Legato-Technik und mit einer enormen Ausdruckskraft und Spannweite. Hinreißend. Wie kaum eine Sängerin zuvor, spielt sie eine Frau, die ihre Zauberkraft zunehmend einzubüßen droht. Um das zu unterstreichen, kommt sie zunächst hinkend einher und nicht, wie in vielen Inszenierungen, als strahlende Herrscherin, die von oben in Tiefe herabsteigt. Sie ist bereits am Boden angelangt, will das aber noch nicht wahrhaben und kämpft dagegen an. Ihre Rachearie ist daher nicht so sehr eine angedrohte Vergeltung, sondern geschieht aus purer Verzweiflung.
Einen frischen Eindruck hinterlässt auch die junge armenische Sängerin Mané Galoyan als Pamina. Mit ihrem samtigen Sopran bezaubert sie nicht nur Tamino, sondern auch das Publikum. In ihrer von Angst und Verunsicherung geprägten Arie „Ach, ich fühl’s“ im 2. Akt gelingt es ihr wunderbar, zu zeigen, wie gebrochen sie ist, so dass ein Selbstmord durchaus als mögliche Konsequenz vorstellbar wird.
Die übrigen Rollen sind mit bewährten Kräften aus dem Haus besetzt. Eine Ausnahme ist der russische Tenor Dmitry Korchak, der sein Wiener Rollendebüt als Tamino absolviert, an diesem Haus aber schon in vielen Rollen als zuverlässiger und höhensicherer Tenor mit einem angenehmen Timbre begeistert hat und auch diesmal überzeugt. Wenn auch nicht ganz so strahlend wie gewohnt. Vor allem die einleitende „Bildnis“-Arie scheint ihm etwas Mühe zu bereiten, gelingt dann aber doch mehr als passabel.
Günther Groissböck, der im Sommer bereits als grandioser Philipp II. in Klosterneuburg gezeigt hat, dass seine engere Bindung an seine Heimat nichts mit einer vermuteten Stimmkrise zu tun, sondern persönliche Gründe hat, ist ein souveräner Sarastro. Sein prächtiger Bass lässt seine beiden großen Arien voll Kraft und Würde erklingen und ist bis in die tiefsten Töne klar und deutlich. Von Abnützungserscheinungen kaum eine Spur. Dieser Sarastro ist ein selbstbewusster Guru, der von seinen Anhängern Gehorsam fordert, wie eine Szene deutlich macht, als er bei einer Abstimmung von allen ein Ja erwartet und an jeden, der zögert, mit forderndem Blick herantritt. Etwaige faschistoide Zustände in seiner Gemeinschaft werden so in dieser Inszenierung ohne Trara, aber nicht ohne Witz, angedeutet. Und das ist gut so.
Peter Kellner als Papageno ist ein vitaler, sympathischer Naturbursch, der die Aufmerksamkeit mit seinen spaßigen Bemerkungen und Aktionen auf sich zieht. Er ist in der Inszenierung von Leiser & Caurier der komödiantische Mittelpunkt, der schon bei seinem Auftritt, wenn er sich durch die Publikumsreihen zur Bühne vorkämpft, zeigt, dass er im wahrsten Sinn des Wortes verhaltensauffällig ist und diese Auszeichnung auch genießerisch auskosten wird. Er ist auch der letzte, der beim Schlussapplaus auf der Bühne erscheint. Ein weiterer Hinweis auf seine Stellung in der Applaus-Rangordnung. Von ihm etwas mehr Zurückhaltung zu fordern, wäre absurd. Vor allem, weil er das, was er macht, glänzend und ungemein unterhaltsam angeht.
Ileana Tonca ist eine gewohnt komische alte und eine erfrischend junge Papagena. Clemens Unterreiner ein nobler Sprecher und als 2. Priester derjenige, der bei der oben erwähnten Abstimmung am längsten zögert und sich wohl bereits als etwas aufmüpfiger Nachfolger Sarastros in Stellung bringt.
Die drei Damen von Anna Bondarenko, Szilvia Vörös und Monika Bohinec sind diesmal etwas kecker und lustiger als üblich, die Drei Knaben von Johannes Pietsch Stephan Manhartseder und Badr Tahon aus der Opernschule zeigen sich ebenfalls sehr spiel- und singfreudig, während Carlos Osuna und Opernstudio-Mitglied Stephano Park, der jüngst den Operalia-Wettbewerb in Kapstadt gewonnen hat, das geheimnisvoll erregende Duett der zwei Geharnischten markant zum Besten geben.
Katleho Mokhoabane, ebenfalls aus dem Opernstudio, wirkt als 1. Priester mit wehendem Mantel und verbeultem Hut eher wie der Privatdetektiv in einem B-Movie, ist aber ein erstklassig singender 1. Priester.
Thomas Ebenstein ist ein zuverlässiger, etwas verhaltener Monostatos, der sein Gesicht weiß gefärbt hat und einmal eine schwarze Maske trägt. Das ist derzeitiger state of the art. Interessant wird es werden, sollte einmal ein schwarzer Sänger in der Rolle des Monostatos sein Gesicht weißfärben…
Cornelius Meister, langjähriger Chef des RSO Wien und seit 2018 Generalmusikdirektor der Oper und des Staatsorchesters Stuttgart, wird als musikalischer Leiter des Opernabends nach längerer Abwesenheit herzlich begrüßt und schließlich gebührend gefeiert. Mozart ist zumindest für das Staatsopernorchester seit eh und je Ehrensache. Ob es je wieder einmal ein Wiener Mozart-Ensemble geben wird, muss aber bezweifelt werden. Die Bedingungen haben sich geändert. Große Sängerinnen und Sänger binden sich nicht mehr an ein Haus. Umso mehr Freude angsichts von Groissböcks starker Verbundenheit zum Haus am Ring.
Eine rundum erfreulicher Repertoire-Abend an der Staatsoper. Rauschender Applaus, der aber die übliche Dauer von fünf Minuten nur mühsam erreicht. Dreieinviertel Stunden Dauer dürfte offenbar doch ihre Wirkung zeigen.