DIE WIENER STAATSOPER UND IHR PUBLIKUM FEIERN MIRELLA FRENI
Kein weiteres Foto: Eine besonders unliebenswürdige Dame hinter mir verbot sich meine Versuche, von der Freni live auf der Bühne ein Foto zu schießen, mit aller Gehässigkeit: „Das stört!“ Danke vielmals für so viel Freundlichkeit!
Ha! Welch ein Vormittag!
Standing Ovations gleich zu Beginn, als Mirella Freni an diesem Sonntagvormittag die Bühne der Wiener Staatsoper betrat – am 10. November 2013, fünfzig Jahre und einen Tag, nachdem sie als Mimi in der „Bohème“ an diesem Haus debutiert hat. Eine Sängerin, die man geliebt hat (und, da sie glücklicherweise noch lebt, liebt) wie wenige – und der an diesem Vormittag alle Herzen zuflogen wie eh und je. Eine Frau, die mit 78 nichts von ihrem Zauber verloren hat.
Von Renate Wagner
Hundert Minuten Freni wurden zum Fest für Opernfreunde. So blond wie einst und unverkennbar noch die Frau, deren junges Gesicht mit den großen Kulleraugen von der Riesenleinwand strahlte, stand sie nicht nur Barbara Rett Frage und Antwort, sondern riß auch – unterstützt von Übersetzerin Christa Springer, wobei man den Eindruck hatte, dass ohnedies ein Großteil des Publikums ihr schönes Italienisch verstand – den Vormittag an sich. Am rechten Bühenrand hatte man drei Freni-Kleider auf Puppen hingestellt – „Ecco miei costumi!“ erkannte sie.
Es begann, wie auch anders, mit Karajan, und vermutlich ist kein anderer Name an diesem Vormittag so oft gefallen wie seiner. Die „Boheme“, für die er die junge Freni in Mailand entdeckt hatte, war die gemeinsame Arbeit 1963 in Wien – und der Stolperstein für Karajan als Operndirektor: Wiener Intrigen schaffen es immer, die Großen zu vertreiben. Immerhin hatte Karajan noch Salzburg, und die Freni und er arbeiteten noch 26 glückliche Jahre miteinander. „Ich habe zweimal in meinem Leben geweint“, sagte er zu ihr. „Beim Tod meiner Mutter und bei Deiner Mimi.“
Karajan-Filme waren auch die Beispiele, die es von der jungen, hinreißenden Mirella Freni gab, als Mimi, als Desdemona, als Butterfly, als Micaela. Die Freni hat diese Filme nie gesehen, wollte sich selbst nie sehen und hören. Trug es jedoch mit Fassung – und befand es als „gar nicht so schlecht“. Fürwahr.
Und noch ein Videobeispiel: Barbara Rett wollte dem Ehrengast zweifellos Freude bereiten, als sie die Philipp-Szene aus „Don Carlos“ mit Nicolai Ghiaurov spielte, dem 2004 verstorbenen zweiten Gatten der Freni. Bloß – diese konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Barbara Rett lief um Taschentücher, aber schon hatte eine mitleidige Seele aus dem Zuschauerraum eines heraufgereicht. Mirella war übrigens nicht die einzige, die beim Anblick dieses unvergesslichen, unersetzlichen Sängers, mit dem sie so glücklich war, weinte. „Sorry, Scusi“, sagte sie zum Publikum. (Lockerer wurde es später, als man erfuhr, dass Karajan ausgesprochen eifersüchtig war, als die Freni Ghiaurov heiratete… Ghiaurov seinerseits soll wieder eifersüchtig gewesen sein, wenn Mirella mit Domingo Liebesszenen spielte.)
Der „Butterfly“-Film, den Karajan der Freni abgerungen hatte (sie wollte die anstrengende Rolle nicht auf der Bühne singen), ist bis heute ein Meisterwerk auch von Regisseur Jean-Pierre Ponnelle – und da konnte die Staatsoper den Vormittag einfach wunderbar bereichern. Zuerst Auftritt Placido Domingo, der damals den Pinkterton gesungen hat und nun als „Butterfly“-Dirigent an der Staatsoper ist. Und dann, wieder Standing Ovations eines Publikums, das kaum begreifen konnte, dermaßen beschenkt zu werden: Auftritt Christa Ludwig, die damalige Suzuki, mit ihrer herrlich forschen Art. („Karajan hat Carmen viel zu langsam dirigiert“, meinte sie, „das ist eine französische Oper, keine italienische. Aber er konnte sich halt an Mirellas Stimme nicht satthören. Er hat sie einfach geliebt, platonisch natürlich – diese Kulleraugen!“)
Das Gespräch Freni – Ludwig – Domingo, auf Deutsch (auch Domingo versuchte sich lobenswert in dieser Sprache), Englisch, Italienisch, war dann ein Fest für sich, drei Kollegen untereinander, deren Zuneigung und Achtung für die jeweils anderen zu spüren war und die auch herrlich miteinander lachen können.
Mirella Freni hat am 21. Juni 1995 als Fedora (eine Rolle, zu der Domingo sie überredet hat) ihre letzte Vorstellung in Wien gesungen, knapp 32 Jahre nach ihrem Debut. Eine Zeitspanne, in der es ihr gelungen ist, das Wunder ihrer Stimme unverändert zu bewahren, weil sie stets sorgfältig damit umgegangen ist. Und der absolute Einsatz, mit dem sie jede Rolle gestaltete, sicherte ihr nicht nur die Bewunderung, sondern auch die Liebe des Publikums.
Am Ende zeigte Direktor Dominique Meyer bessere Manieren als Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann, der es nicht für nötig gehalten hatte, persönlich zur Festvorstellung von Michael Heltaus 80er zu erscheinen. Meyer kam nicht nur mit Blumen und bewundernden Worten, sondern brachte auch ein zauberhaftes Geschenk: Jenen Muff, den die Freni als Mimi getragen hat (unglaublich, was da über ein halbes Jahrhundert in der Requisite überlebt…)
Sie sei „überglücklich“ und „unendlich dankbar“ für das Wiener Publikum, sagte die Freni: „Ich wünschte, ich hätte so lange Arme, damit ich Sie alle umarmen könnte!“
Renate Wagner