WIEN / Staatsoper
„DIE WALKÜRE“ von Richard Wagner
12.Jänner 2019
Eines Wotans Abschied
Als wenn es bei der Erstellung des Spielplans vorausgeahnt worden wäre: es hätte wohl kaum eine würdigere Form gegeben, des unvergesslichen THEO ADAM – für Generationen die ideale Verkörperung des Göttervaters Wotan (und vieler anderer Gestalten aus seinem umfangreichen Repertoire) – zu gedenken, als „Walküre“ zu spielen und diese Vorstellung, wie von Dir. Meyer in einer kurzen Ansprache zu Beginn erklärt, dem Andenken an den tags zuvor verstorbenen großen Sänger und Menschendarsteller zu widmen.
Wobei es wohl in der Natur der Sache liegt (und dem Rezensenten, der Adam’s Wotan schon als Heranwachsender von der legendären Böhm-Gesamtaufnahme kannte und verehrte, bevor er ihn als Student dann erstmals live auf der Bühne erleben durfte – in einer für heutige Begriffe auch schon unfassbaren Konstellation Rysanek/Hoffmann als Wälsungenpaar, Ludwig (Fricka) und Jones (Brünnhilde), sei es deshalb nachgesehen), dass die Gedanken aus dem aktuellen Bühnengeschehen abschweifen zu Erinnerungen an zahlreiche eindrückliche Begegnungen mit dem Ausnahmekünstler und seinen heute teils ebenfalls schon von uns gegangenen Kolleginnen und Kollegen. Der Versuchung, das Gegenwärtige an ihnen zu messen, ist groß, doch soll ihr so gut es geht widerstanden werden.
Dies war umso besser möglich, als sich gleich bei den ersten Takten des Vorspiels zeigte, dass sich zwischen dem musikalischen Leiter Axel Kober und dem Orchester der Wiener Staatsoper offenbar eine Kommunikationsebene aufgetan hat, die man beim „Rheingold“ noch vermissen musste. So spannte sich von einer atemlosen Hetzjagd zu Beginn des ersten Aufzugs bis zu einem prachtvollen Feuerzauber ein über weite Strecken akzentreicher Bogen, in dem namentlich die Streicher (und unter ihnen die Soli) noch für einige Höhepunkte sorgten, besonders innig gelang die Schlaf-Motivik nach Wotans Abschied.
Als Wälsungen-Paar waren Christopher Ventris (Siegmund) und – als Einspringerin – Martina Serafin (Sieglinde) zu erleben. Ventris, der mit seinem hell timbrierten Tenor nicht in der Tradition der baritonalen Siegmunde steht, artikuliert klar und setzt mit sicherer Mittellage auf strömendes Legato – in der (in der Partie ja eigentlich nicht völlig) exponierten Höhe geht nicht jeder Ton auf: die „Wälse“-Rufe gelangen tadellos, Notung aus der Esche zu ziehen, fiel ihm dann schon weniger leicht, und das „Wälsungenblut“ war zu seinem Glück schon die letzte Phrase vor der Pause, die er zur Sammlung seiner Kräfte vermutlich schon dringend benötigte. Im Spiel war Ventris eher verhalten und harmonierte daher nur zum Teil mit Serafin, die sich mit Volleinsatz ins Geschehen warf und in erschütternder Weise das Bild der liebenden Frau zeichnete, die in den Fängen der göttlichen Willkür zum Opfer schlechthin wird (das Deutsche kann nicht unterscheiden, was im Englischen mit victim und sacrifice bezeichnet wird und beides auf die beiden Wälsungen zutrifft.) Gesanglich vermag sie vor allem dort zu berühren, wo sie ihr Leid und/oder ihre Liebe offenbart. Im aufblühenden Jubel und in der dramatischen Verzweiflung kämpft sie mit Schärfen, die (nach einem durchaus effektvollen Abgang im 2. Aufzug) beim „hehrsten Wunder“ leider gänzlich von ihrer Stimme Besitz ergreifen.
Auf zwischenmenschlicher Ebene die Ursache ihres Elends war diesmal der deutsche Bassist Tobias Kehrer, der sich erstmals am Ring mit kernig-dunklem Organ präsentierte, von der Statur her glaubwürdig, ein Hunding eher von der dumpfen (denn von der bedrohlichen) Sorte, und empfahl sich durchaus für umfangreichere Aufgaben.
Einen tiefen Eindruck hinterließen Sophie Koch (Fricka) und Tomasz Konieczny (Wotan), die sich in ihrer großen Szene zu Beginn des zweiten Aufzugs eine bis in die letzte Geste auf einander abgestimmt eindringliche Auseinandersetzung lieferten. Koch, bei allen dezent vorzubringenden Einwänden gegen ihren riskanten Weg ins dramatische Fach, die schon im „Rheingold“ vorzubringen waren, konnte hier ihre vielfältigen stilistischen Mittel anscheinend noch besser zur Geltung bringen, verstand es auch, dramatische Akzente zu setzen, und blieb bei aller energischer Kritik an ihrem (Götter)gatten doch die Frau, die die Liebe ihres Mannes (noch) nicht verloren gibt. In dieser Form hätte sie am Ende der Tetralogie auch eine gute Waltraute abgegeben. Ihr Partner, der designierte österreichische Kammersänger, versteht (und genießt) es, mit seinem reichlich vorhandenen Material aufzutrumpfen, was ihm vor allem dort leicht fällt, wo ihn seine Gesangslinie in die Höhe führt. Beinahe will es scheinen, dass sich dann Bühne und Graben gegenseitig zu imposanten Entladungen „antörnen“. Er ist aber, besonders beim Abschied von seiner geliebten Tochter, auch um zarte Phrasierung bemüht. Darstellerisch, jedoch auch bedingt durch die Eigenheiten seines Timbres, ist sein Wotan – und hier ist es einfach ausgeschlossen, nicht doch noch einmal einen Vergleich mit dem verstorbenen Theo Adam (und einigen anderen, die vor ihm und zu seiner Zeit als Lichtalberich zu sehen waren) anzustellen – ein in eigener Sache energischer und um die Erhaltung seiner Macht ringender Mann; man könnte ihn sich gut als tragischen Herrscher irgendeines kriegerischen Königtums vorstellen. Dass alles, was er tut und was ihm widerfährt, letzte kosmische Konsequenzen nach sich zieht, ja dass er die Zentralgestalt eines Dramas metaphysischen Ausmaßes (eine Gottheit eben) ist, das wird aus seiner Interpretation nicht sichtbar.
Als erste in der Schar seiner Töchter fungierte die schwedische Sopranistin Iréne Theorin, die auch schon in der vergangenen Saison in der Ring-Serie die Brünnhilde verkörperte. Ihre Schlachtrufe zu Beginn des zweiten Aufzugs gehören vermutlich zum martialischsten, was man an dieser Stelle schon gehört hat. Wer jedoch darauf hin Erwartungen in Richtung einer „klassischen Hochdramatischen“ gehegt hat, war vermutlich enttäuscht, da die Stimme, wohl bedingt durch eine kehlige Vokalbildung, ab der Mittellage abwärts keine Durchschlagskraft besitzt, in der Intonation nicht immer sauber und unruhig geführt ist. Lediglich in der Höhe springt sie an, wozu sie allerdings etwa in der Todesverkündigungsszene oder während der ersten Konfrontation mit Wotan im dritten Aufzug wenig Gelegenheit hat. Möglicherweise wird die Siegfried-Brünnhilde der Künstlerin diesbezüglich ihren Möglichkeiten besser entsprechen. Leider konnte sich der Rezensent auch mit ihrer Rollenauffassung nicht wirklich anfreunden, da sie gerade an den bewegteren Stellen (wie bei der Rettung Sieglindes am Ende des zweiten bzw. bei ihrem Auftritt im dritten Aufzug) kaum mit der Musik mit-geht und dann in der finalen Auseinandersetzung mit ihrem Vater, der noch dazu ohnehin (das liegt aber zur Hälfte auch am Auftreten Koniecznys) eher als ihr Bruder durchgeht, auch noch reichlich forsch auftritt.
Für ihre acht Schwestern – angeführt, wenn man das so sagen darf, durch die Damen Bezsmertna, und Bohinec, dicht gefolgt von Jopson, Gabler, Houtzeel, Helzel, Nakani´und Stoyanova, – hat das Haus dafür einige seiner besten weiblichen Kräfte aufgeboten, deren Ensemble-Szenen bestens abgestimmt und (im Unterschied zu den Rheintöchtern am Dienstag) ohne koordinative Pannen über die Bühne gingen.
Das Publikum – das Haus war bis auf den letzten (Steh-) platz gefüllt – dankte einhellig für eine in Summe stimmige Aufführung, Koniecznys Wotan erntete frenetischen Applaus (und auch einen Blumenstrauß).
P.S.: Für einen special effect sorgten die Displays mit den Untertiteln, die zunächst im gesamten Haus anscheinend ausgefallen waren (oder hatte man bloß vergessen, sie rechtzeitig in Betrieb zu nehmen). Jedenfalls sprangen sie just in dem Moment an, als im Schein der erlöschenden Flammen aus Hundings Herd der in der Dunkelheit zurückgebliebene Siegmund erstmals den metallischen Glanz des in der Esche steckenden Schwertes erblickt: „Was gleißt dort hell im Glimmerschein, welch ein Strahl bricht aus der Esche Stamm?“ Es wird Regisseure geben, die es bedauern, solch Schauspiel nicht in ihre Inszenierung eingebaut zu haben.
Valentino Hribernig-Körber