WIEN / Staatsoper:
DIE WALKÜRE von Richard Wagner
22. Juni 2025
Vater – Tochter, hojotoho!
Der zweite Wiener „Ring“-Durchlauf dieser Spielzeit hat begonnen, die „Walküre“ lockte mit einer Besetzung, die man gesehen haben will (Paterson und Kampe waren erstmals in Wien in ihren Rollen vertreten). Wobei an der Spitze gleich Philippe Jordan genannt werden muss, der mit Gefühl und Verstand die Extreme des Werks auslotete, von den delikaten Köstlichkeiten der immer wieder einzeln hervorblitzenden Solo-Instrumente bis zum alles überrennenden Walkürenritt, von der wunderbar-magischen Verhaltenheit der Todesverkündigung bis zur Begleitung der Sänger durch alle Schwierigkeiten (und wenn er Wotan gelegentlich zudeckte – es war nicht zu vermeiden). Dass diese „Walküre“ ein ehrlicher Riesenerfolg wurde, aus dem Wagnerianer glücklich entschwebten, verdankt man nicht zuletzt dem Dirigenten.
Apropos Applaus – nach dem ersten Aufzug schrie das Publikum vor Begeisterung geradezu auf, und das war voll berechtigt. Natürlich ist auch Richard Wagner daran „schuld“ – man weiß, dass der erste Aufzug, zumal im zweiten Teil (ab „Ein Schwert verhieß mir der Vater“), an Dauerdramatik nicht zu überbieten ist, und wenn ein Meisterorchester und Meistersänger sich finden, dann gerät man schon in den berüchtigten Wagner-Rausch.
Der Meistersinger, Meistersänger, der beim Zuhören immer wieder nach Luft schnappen ließ, war in diesem Fall Andreas Schager. Wahrscheinlich gibt es derzeit niemanden (zumindest niemanden, den wir kennen), der über ähnliche Stimmkraft verfügt wie er. Dass er sie gerne zeigt, ja ausstellt, kann man ihm nicht verübeln. Dass er bei den extrem überzogenen „Wälse“-Rufen beim zweiten fast (nur fast) ins Schleudern gekommen wäre – wollen wir ihn dafür schelten? Wagner ist nun einmal ein Kraftakt, wer hat, der hat, und es ist einfach wunderbar, Schager zuzuhören. Wenn er auch, zumal im ersten Aufzug, so mit Kraftgeben beschäftigt war, dass der Ausdruck ein wenig zu kurz kam. Im zweiten Aufzug dann, wo er nicht dauernd stimmprotzen musste, fand er dann ausdrucks- und gefühlsmäßig mehr und schönere Töne. Herrlich, der Trotz, mit dem er sich Brünnhildes Ansinnen, ihn jetzt ins Jenseits abzuholen, widersetzt, weil der Sieglinde nicht allein lassen will.. Man weiß ja, dass es ihm nichts nützt, aber es ist ergreifend anzuhören. Keine Frage, mit Schager (und Groissböck) beliefert Österreich die internationale Weltspitze des Wagner-Gesangs.
Simone Schneider wuchs von Minute zu Minute in die Sieglinde hinein, bis zum leidenschaftlichen „Wälsungenblut“, das ihr auch stimmlich alles abverlangt, und in die berührende Verwirrtheit des zweiten Aufzugs. Sie blieb Schager als Partnerin nichts schuldig (und auch nicht jenen Besuchern, die eigentlich wegen Lise Davidsen in dieser Rolle gekommen waren).
Nun geht es ja in der „Walküre“ zwar um die Geschwisterliebe („Heut‘ hast Du‘s erlebt“, sagt Wotan trocken zu seiner Gattin, die sich darüber beschwert), aber es geht auch um die schönste Vater-Tochter-Geschichte, die Wagner je geschrieben hat. (An Senta-Daland, Evchen-Pogner ist ja nicht viel dran.) Wotan und Brünnhilde – das ist eine Sache für sich, und sie wurde von Iain Paterson und Anja Kampe geradezu ideal interpretiert, Wobei, das sei gleich und ehrlich gesagt, stimmlich nur Anja Kampe entsprach – von ihren ersten Hojotohu-Rufen bis zu dem ergreifenden Schlussduett, wo sie Wotan zumindest den Feuerkreis abringt, der sicher stellen soll, dass nicht der nächste Idiot sie aufwecken kann, war sie als schöne, junge Brünnhilde perfekt, anteilnehmend, glaubhaft, die richtige Lichtgestalt.
Und Iain Paterson zeigt in Persönlichkeit und Darstellung, in Souveränität und Zerrissenheit einen der interessantesten, ja faszinierendsten Wotans an den man sich erinnert, mit bemerkenswerter Detailarbeit an den Regungen dieses brüchigen Gottes. Allerdings klang die Stimme ungeachtet seines gar nicht hohen Alters wie aufgebraucht, dünn und dürr, nur durch Technik gerade noch hochgeshraubt, wo Wotan sich nicht ins Parlando retten kann, sondern auch schlicht Lautstärke geben muss. Dennoch – man hätte nicht gedacht, dass ein Sänger ohne schönen, sonoren Baßbariton ein so überzeugender Wotan sein könnte, der seine Seelenschmerzen bei dem, was er der geliebten Tochter antun muss, so überzeugend transportiert. Vater und Tochter, das war über alles andere hinaus, das Erlebnis des Abends. Hojotoho (als Anerkennungs-Ruf gemeint).
Am Rande gibt es die Gestalten, die für böses Blut sorgen – beide von der Regie eher statuarisch geführt, Kwangchul Youn als Hunding mit nicht röhrendem, sondern hartem Baß immerhin ausreichend gefährlich, Monika Bohinec als Fricka vor allem starr und böse keifend, wie man es immer wieder sieht. (Es geht auch anders und interessanter.) Die Walküren jodelten nach Herzenskräften.
Eine Bemerkung noch am Schluß. Ich habe seit vielen Jahren an der Wiener Staatsoper keinen „Ring“ mehr gesehen und die Produktion irgendwie vergessen (mein Unterbewusstsein weiß schon, was es tut). Diese „Walküre“ ist inszenatorisch kein Preis, der erste und zweite Aufzug nicht weiter definierte szenische Abstraktion, in der man sich immerhin bewegen kann, der dritte dann ein Unsinn. Anstelle der Kunstpferde hätte man vielleicht irgendeine Erhebung schaffen können, die einem Brünnhilden-Felsen in die Nähe kommt, statt die arme Frau glatt auf den Boden zu legen. (Der Feuerzauber dann ist ein reiner Schmarrn.). Und die Walküren sehen aus, als seien sie gerade aus einem Tartarenzelt entlaufen und treiben zappelnde Figuren vor sich her. Nein, bitte, es ist ausschließlich von Helden die Rede, die sie nach Walhall bringen sollen, und die wehren sich nicht so lächerlich!
Und dennoch habe ich Todesangst, dass in einem nächsten „Ring“ (man kennt die Zerstörungswut am Haus, besonders, wenn es um Wagner geht) Sieglinde vielleicht wieder einmal in einer Designer-Küche (oder Arme-Leute-Küche?) steht oder dass man Siegfried und Brünnhilde (soll ja schon vorgekommen sein) in einer Badewanne findet, so dass man – Besetzung hin, Besetzung her – wie es derzeit bei den Wiener Wagner-Inszenierungen der Fall ist, schon gar nicht erst hinein geht, um sich nicht zu ärgern.
Da ist die konzeptlose Inszenierung, die wir jetzt haben, noch besser, denn darin können sich die Sänger als Darsteller nach ihren Persönlichkeiten entfalten, ohne von der Regie gestört zu werden. Also, bleiben wir bei diesem „Ring“ – notgedrungen. Diesmal hat die „Walküre“ immerhin den unauffälligen Rahmen für eine mitreißende Aufführung geboten.
Renate Wagner