WIEN / Staatsoper: DER ROSENKAVALIER von Strauss/Hofmannsthal
386. Aufführung in dieser Inszenierung
13. Juni 2021
Von Manfred A. Schmid
„In memoriam KS Christa Ludwig“ steht auf dem Programmzettel der 386. Aufführung der lieb und legendär gewordenen Schenk-Inszenierung aus dem Jahr 1968. Auch Staatsoperndirektor Bogdan Roscic lässt es sich nicht nehmen, vor den Vorhang zu treten und das Publikum von dieser Zueignung zu informieren. Richard Strauss‘ Rosenkavalier hat Christa Ludwig tatsächlich beinahe ihre ganzes, 50 lange Jahre andauerndes Bühnen-Leben begleitet: Ihren ersten Octavian probierte sie bereits mit 21 Jahren, als ihre Mutter – selbst Altistin und ihre einzige Lehrerin – ihr einen Klavierauszug schenkte, in dem sie hineingeschrieben hatte: „Jetzt für den Octavian und später für die Marschallin.“ Die gefeierte Mezzosopranistin hätte ab er, wie sie selbst bekannte, nie daran gedacht, diese Partie zu singen, bis – ja, bis eines Tages Leonard Bernstein in New York zu ihr sagte: „Da kommt ja meine Marschallin!“ Die meisten im Publikum werden angesichts dieser Ehrerbietung in wehmütigen Erinnerungen schwelgen. Viele interessiert an diesem Abend wohl aber auch das relativ späte Wiener Rollendebüt des Österreichers Albert Pesendorfer als Ochs auf Lerchenau.
Der auf unbekümmert tapsigen Freiersfüßen daherkommende und sich letztendlich ziemlich blamierende Ochs ist eine Rolle, die Albert Pesendorfer mit Erfolg bereits an vielen Bühnen gesungen hat, u.a. in Dresden und Berlin. Man hat gewiss schon stimmmächtigere Sänger als Ochs erlebt, doch es werden neue Facetten eines zugegebenermaßen nicht gerade sehr komplexen Wesens freigelegt. Der in Linz und Wien ausgebildete Bassist, von hochgewachsener Statur, verkörpert einen Landadeligen, dessen joviale, selbstgefällige, in Wien sich etwas fremd ausnehmende Art für Heiterkeit sorgt, ohne dass Pesendorfer bei seiner Zeichnung dieses Charakters allzu sehr zu Übertreibungen tendiert. Immerhin ist der Ochs ja, wie die Marschallin am Ende mahnend feststellt, eine Person von Stande. In einem fort parlierend und schwadronierend, besticht Pesendorfer durch große und Wortdeutlichkeit und ausdrucksstarke Artikulationsgabe im ersten und zweiten Akt und läuft im turbulenten 3. Akt zur erwarteten komödiantischen Bestform auf.
Marlis Petersen hat eben erst als Marschallin in München debütiert, wo Barrie Koskys Neuinszenierung, von Publikum und Kritik gelobt, eine langjährig liebevoll im Repertoire gepflegte Regiearbeit – ebenfalls von Otto Schenk – abgelöst hat. Auch bei ihrem Wiener Rollendebüt steht sie mit ihrem hellen, klaren Sopran im Mittelpunkt des Geschehens im 1. Akt. Wehmütigkeit und leichte Melancholie prägen ihre Tändeleien mit Octavian, und ihre Beschwörung der Zeit lässt beklemmende Abgründe erahnen. Wenn sie sich allerdings im 3. Akt in das in einem Vorstadtbeisel herrschende Tohuwabohu einmischt und – in disziplinierter Selbstaufgabe – schließlich für klare Verhältnisse sorgt, fällt es ihr zunächst etwas schwer, sich durchzusetzen. Anders als beispielsweise, vor nicht allzu langer Zeit, Martina Serafins elektrisierender Auftritt in dieser Szene, wo es ihr es auf Anhieb gelingt, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, will sich dieser charismatische Überraschungseffekt bei ihr nicht so klar einstellen. Das Terzett mit Sophie und Octavian gelingt dann aber perfekt und entführt in geradezu himmlische Sphären. Marlis Petersen ist der Schritt von der Sophie zur Feldmarschallin jedenfalls gut gelungen. Ihr Porträt einer komplexen Frau am Wendepunkt vermag zu berühren.
Als Octavian verleiht Daniela Sindram dem quirligen, jugendlich schwärmerischen Liebhaber ein samtweiches Timbre. Bei der Überreichung der silbernen Rose wird sofort klar, dass die Begegnung mit Sophie, der erste Augenkontakt, etwas Gravierendes ausgelöst hat und Folgen haben wird. Als verkleidete Kammerzofe zeigt die Mezzosopranistin, die in dieser Rolle vor einem halben Jahr in Wien, an der Seite von Günther Groissböck als Ochs, bereits im Streaming zu bewundern war, dass sie auch komödiantische Qualitäten auszuspielen hat.
Louise Alder hat alles, was man sich für eine Sängerin der Sophie wünscht: einen lyrischen, strahlend hellen und zu silberreiner, beschwingter Phrasierung fähig Sopran sowie eine bühnenpräsente, feine Erscheinung. Kein Wunder, dass sie auch bereits mit ihrer Interpretation von Strauss-Liedern international für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Voll Zärtlichkeit gestaltet sie bei ihrem Rollendebüt ihren Auftrit im 2. Akt, hin und hergerissen auf einer emotionalen Berg- und Talfahrt zeigt sie sich im Schlussakt.
Fein besetzt, beinahe luxuriös – aber bei Strauss kann es stimmlich in Wahrheit ohnehin nie zu luxuriös sein – sind auch die unterstützenden Rollen. Regine Hangler ist eine resolute Leitmetzerin, Thomas Ebenstein und Monika Bohinec geben ein höchst präsent umherschwirrendes Intrigantenpaar ab, Freddie De Tommaso liefert makellos die geforderte Tenorarie im italienischen Stil. Adrian Eröds Herr von Faninal ist die treffliche Charakterstudie eines Neureichen, der nach gesellschaftlicher Anerkennung giert, in einem Moment höchster Erregung aber seine Vorstadtherkunft nicht verleugnen kann und von der „Lamgruam“ spricht.
Spitzenkräfte aufgeboten werden weiters für den Polizeikommissar – Wolfgang Bankl stand immerhin selbst schon auch als Ochs auf der Bühne der Wienber Staatsoper, sowie für den Wirt: Jörg Schneider.
Die musikalische Leitung obliegt erneut Philippe Jordan, dem musikalischen Chef des Hauses. Alles klappt tadellos, aber eine gewisse Kühle ist nicht zu überhören. Bei den Wiener Philharmonikern ist man eigentlich etwas mehr Leidenschaftlichkeit bei „ihrem“ Strauss gewöhnt. Der Applaus ist freundlich bis begeistert. Ein Repertoireabend mit vielen gelungenen Rollendebüts auf einem angemessenen Niveau.