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WIEN/ Staatsoper: DER ROSENKAVALIER. „Ich will den Tag nicht denken..“

07.04.2015 | Allgemein, Oper

Strauss: „Der Rosenkavalier“ — „Ich will den Tag nicht denken..“ 6. 4. 205


Wolfgang Bankl. Foto: Wiener Staatsoper/Pöhn

 Als sich gestern der Vorhang zum erste Akt öffnete und Elīna Garanča zur ersten Phrase „Wie du warst, wie du bist“ ansetzte, überfiel einen eine Traurigkeit: Schon lange durfte man keiner Sängerin mit einer derart stupenden Technik bei der Arbeit zusehen (und -hören). Frau Garanča zeichnete in ihrem 19. Wiener Auftritt in der Partie des Octavian ein vollendetes Psychogramm des 17-jährigen Grafen. Wie sie als Jüngling schmollte, um von der Marschallin Martina Serafins zum Frühstück gebeten zu werden, wie sie sich an der Liebhaberin Kosmetika verging: Das demonstrierte auf beeindruckende Weise jene Stümperhaftigkeit, mit welcher heutzutage die meisten Regisseure zu Werke gehen… Wie Octavian im zweiten Aufzug schüchtern die Hand an die von Sophie dargebotene Rose führte, nur um sie im letzten Moment wieder zurückzuziehen: Das war höchste Schauspielkunst!

 „Ich will den Tag nicht denken“ also, an welchem Frau Garanča Abschied nehmen wird von der Jünglingszeit. Aber wenn sie’s denn schon machen muß, dann soll sie uns Wiener noch einmal zuschauen lassen dabei. Und wenn sie sich die Partie der Feldmarschallin Fürstin Werdenberg erarbeitet haben wird, wünschen wir uns für Wien das ius primae noctis.

 Norbert Ernst sprang als Sänger ein und lieferte wie in seinen vorherigen Auftritten eine parodistische Interpretation von „Dirigori amato“. Darf ich mir wünschen, daß er uns in einem der nächsten Auftritte davon überzeugt, daß Excellenz Silva einen ausgezeichneten Geschmack besitzt und der Fürstin einen Sänger schickt, welcher die Strauss’schen Anforderungen an diese Arie mit dessen Anspielungen an Couperin und Rameau ebenso zu verbinden weiß wie mit der für Mozart geforderten Gesangstechnik, unter getreulicher Beachtung aller Legato-Bögen?

 Martina Serafin kehrte nach 2006 zu ihrer vierten Feldmarschallin nach Wien zurück. Sie überzeugte im Spiel mit Frau Garanča und bot im ersten Akt eine so interessante Rollengestaltung, daß ich gerne über so manchen schärferen, angeschliffenen Ton in der oberen Lage hinweghörte. Frau Serafin sang mit einer beeindruckenden Wortdeutlichkeit, welche man sich von vielen ihrer Kolleginnen wünschte. Berührend bedrückend auch, wie sie zu den sich immer höher schraubenden Es-Dur-Klängen der Solovioline Rainer Honecks den Spiegel weglegte und sich an den Hals fuhr.

 Leider konnte Frau Serafin die solcherart geweckten Hoffnungen im dritten Aufzug nicht einlösen. Zu schwer, zu schrill klang die Stimme im Schlußterzett, ließ den Großteil des Lyrischen vermissen, den man sich für die Seligkeit wünscht… Gleich darauf aber ihr „In Gottes Namen!“, gespielt, als wäre die Fürstin selbst zu Besuch gewesen. Und zum Abschluß ihres Psychogramms die leichthin entschwebende linke Hand, nachdem Octavian noch einmal an den eben geleisteten Verzicht erinnert worden war.

 Die Dritte im Damenbunde war Erin Morley in ihrem Rollen-Debut als Sophie. Nach dem gewiß aufregenden Haus-Debut in der Rigoletto-Première war ich gespannt, wie Mrs. Morley mit den Strauss’schen Klangwogen umgehen würde. Gestern hörte ich eine entweder sehr aufgeregte oder trotz ebenfalls sehr wortdeutlich und richtig artikulierten Sätzen an ihre stimmlichen Grenzen stoßende Sängerin. Obwohl verwirrt und aufgeschreckt, darf eine Sophie schon eine ein wenig größere Stimme zeigen. Ob Mrs. Morleys Stimmtechnik dies zulassen und sich das in den Folgevorstellungen bessern wird?

 Ihr Vater, der Edle von Faninal, war bei Jochen Schmeckenbecher (Rollen-Debut) vor allem stimmlich nur in braven Händen, nicht mehr. Mag sein, dass die Erwartungen nach dem Musiklehrer in der Ariadne auf Naxos zu hoch gesteckt waren, aber da gab es in Wien schon bessere Vertreter dieser Partie zu hören. Uneinheitlich in der Stimmgebung, leider immer wieder zugedeckt vom im zweiten Aufzug aufrauschenden Orchester, konnte mich das Gebotene nicht überzeugen.

 Caroline Wenborne stand als Jungfrau Marianne Leitmetzerin auf der Bühne, und damit sei fast alles gesagt. Darf ich noch einmal anmerken, daß Wortdeutlichkeit eine sängerische Tugend ist, welche eine Karriere vorwärtszubringen im Stande ist?

 Ulrike Helzel und Benedikt Kobel (als Einspringer für den erkrankten Thomas Ebenstein) gaben das Intrigantenpaar. So schön es war, wieder einmal eine schlanke Annina auf der Bühne zu sehen: Aus der großen Szene mit dem Ochs auf Lerchenau ließe sich — vor allem stimmlich — mehr machen.

 Und der Baron Ochs? Angesichts der internationalen „Ochs-Situation“ ist es schön, wenn man Wolfgang Bankl am Haus weiß, den man für diese Partie einsetzen kann. Gewiß, da war das tiefe e am Ende des zweiten Aufzugs, da war das kongeniale Spiel mit Frau Garanča im dritten. Und trotzdem: Wieviel ließe sich aus dieser Figur, dieser Partitur machen, wenn einem alle stimmlichen Mittel zu Gebote stünden? Gestern klang für mich einiges zu sehr buchstabiert, wo ich auf Singen gehofft hatte: Wie schön, könnte man zum Beispiel das Leiblied mit mehr Legato und besserer Phrasierung hören…

 Adam Fischer stand nach dem Parsifal am Vorabend wiederum am Pult des Staatsopernorchesters und es war eine Freude, ihm bei der Arbeit zuzusehen: Mit welch sparsamen Bewegungen er die Musiker animierte, ohne die Zeichengebung für Orchester und Bühne zu vernachlässigen! Mancher vom Boulevard hochgejubelte Dirigent könnte da noch etwas lernen! So aber ergab sich — nach der vielleicht detailreicher gearbeiteten Interpretation Kyrill Petrenkos — ein durch und durch wienerischer Abend, hie und da ein bisserl überbordend vielleicht, aber mit einem Zug und einer Frische, welcher es etwa in Baden-Baden ein paar Tage zuvor gemangelt zu haben schien. Am Ende des Abends ertappte ich mich dabei, nach mehr zu verlangen: mehr Abende für Maestro Fischer im Haus am Ring — für Strauss, für Wagner, aber auch für Mozart.

 Herrn Direktor Meyers zu Amtsbeginn geäußerter Anspruch, das weltweit führende Opernhaus für Richard Strauss zu sein: Gestern abend wurde er zum großen Teil eingelöst. Möge uns eine kluge und vorausschauende Besetzungspolitik auch in Zukunft keine schlechteren Aufführungen bescheren.

 Thomas Prochazka

 

 

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