WIEN/ Staatsoper : DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Ein „anderer Holländer“ – am 9.5.2013
Inzwischen sind es schon zehn Jahre und wir halten bei über 50 Vorstellungen dieses fragwürdigen Regieproduktes von Chistine Mielitz, die uns in einer handwerklich (Personenführung, Bühnenbild und Kostüme) gut gemachten Inszenierung sowohl mit postmarxistischen Phantasien als auch mit ihren sexuellen, aber trotzdem radikalemanzipatorischen Auswüchsen quält. Dass anstelle des Holländer-Konterfeis die Portraits von Lenin, Marx, Guevara und Bakunin über der Eingangstür hängen, haben wir bis heute nicht begriffen – vielleicht DDR- Humor, der sich uns nicht erschließt, aber wegen mangelnder Auswirkung auch nicht wirklich stört. Richtig ärgerlich ist aber die Streichung des „Erlösungsmotivs“, dessen Notwendigkeit uns bei jedem Anhören einer Aufnahme von Böhm, Furtwängler, Karajan, Knappertsbusch, Levine, Solti und Thielemann schmerzlich bewusst wird. Wagner hat seine Urfassung ja gezielt KORRIGIERT, weil er zu der Überzeugung kam, dass das Erlösungsmotiv FEHLT! Die Aussagen von Frau Mielitz, dass es erstens für eine selbstbewusste, emanzipierte Frau unzumutbar ist, sich für einen Mann zu opfern und zweitens man sich die Erlösung auch ohne Erlösungsmotiv vorstellen kann, sind in sich kontrovers und verändern die Geschichte in eine von Wagner nicht gewollte Richtung. Auch wenn es aus urheberrechtlichen Gründen nicht möglich ist, hätten wir am liebsten eine Überarbeitung dieser über weite Stecken guten Inszenierung mit Streichung der Gruppensex-Szene und der sinnlosen Selbstverbrennung, dafür aber mit Holländer-Konterfei und Erlösungsmotiv! Es ist erstaunlich, dass in unserem Rechtssystem die fragwürdige Interpretation besser geschützt ist als das Meisterwerk selbst.
Die musikalische Umsetzung bescherte uns ein unerwartetes, emotionales Wechselbad. Hauptproponent dafür war der – nach schwerer Krankheit zurückgekehrte – Juha Uusitalo. Der sympathische finnische Bassbariton, der uns in den letzten Jahren so viele wunderschöne Momente beschert hatte, kämpfte sich in der ersten Vorstellung der Serie mühevoll und nicht sehr erfolgreich in die anspruchsvolle Rolle des Holländer zurück. Am zweiten Abend hatte ein intelligentes Team offensichtlich aus den Schwierigkeiten gelernt und die richtigen Schlüsse gezogen. Sowohl das Orchester als auch die sehr stimmstarken Interpreten von Daland und Senta stellten sich auf die begrenzten Möglichkeiten des Holländer ein und wir erlebten einen interessanten „anderen Holländer“, der besonders in Kenntnis des Gesundheitszustandes von Juha Uusitalo sehr berührte. Nach den dominanten Rollenvorgängern (Struckmann, Grundheber, Titus, Dohmen), die alle einen bedrohlichen, zornigen und trotzigen Holländer auf die Bühne stellten, war diese – aus der Situation geborene – verzweifelte, gebrochene fatalistische Interpretation ineressant, beeindruckend und durchaus rollenkonform.
Wir hofften natürlich, dass sich diese erfreuliche Entwicklung in der dritten Vorstellung fortsetzen würde und waren deshalb entsetzt, dass die stimmlichen Ressourcen weg waren. Es war ein Mitleiden vom ersten bis zum letzten Ton. Dass man in dieser Situation sowohl nach dem Monolog als auch beim Schlussvorhang wütend „buht“, beweist Unwissenheit und/oder – noch schlimmer – fehlende Herzensbildung. Wir wünschen Juha Uusitalo viel Erfolg auf dem beschwerlichen Weg zurück – bei uns ist sein Bonus jedenfalls ungebrochen!
Nun zur ungetrübt erfreulichen Seite des Wechselbades:
Anja Kampe ist die perfekte Senta. Ihre hochdramarische Stimme hat mit dieser extremen Partie keinerlei Schwierigkeiten – vom Mezzo bis in die Höhen sicher und geradlinig gesungen, kein Schneiden, kein störendes Vibrato und ausreichende lyrische Fähigkeiten für die verliebten und verträumten Passagen – grossartig!
Stephen Gould setzt als Erik Maßstäbe; sein riesiger Heldentenor erblüht in der Form seines Lebens, die lyrischen Passagen erinnern an Johan Botha, sein Spiel und seine Beweglichkeit bescheren uns ein einzigartiges Gesamtpaket.
Stephen Milling ist – nach etwas verhaltenem Beginn in der ersten Vorstellung – ein mächtiger Daland, der mit seinem wunderbar runden Bass eher den herrischen Kapitän und Vater als das schmeichlerische Schlitzohr darstellt. Diese Darstellung verschiebt – im Zusammenspiel mit dem gebrochenen Holländer – das Verhältnis der beiden Alpha-Tiere auf der Bühne auf eine interessante Art und Weise.
Aus dem Ensemble der Wiener Staatsoper ist wieder einmal nur Gutes zu berichten: Benjamin Bruns macht mit seinem schönen, in allen Lagen sicheren „jugendlichen Heldentenor“ uneingeschränktes Vergnügen – ein Steuermann der Extraklasse – wir freuen uns schon auf seinen Tamino! Monika Bohinec beeindruckt als Mary mit wunderschönen Mezzo-Klängen und sehr guter Darstellung.
Nach einem weniger „guten Tag“ bei der ersten Vorstellung verzauberte uns das Staatsopernorchester am zweiten Abend mit einer hervorragenden Leistung unter der Leitung von Daniel Harding, der mit dieser Serie sein Staatsoperndebut gab. Beim dritten Mal ist der Alltag wieder eingekehrt – die bekannten Kickser sind zurück.
Der sensationelle Staatsopernchor nährte wieder einmal den Ruf, der „beste Opernchor der Welt“ zu sein. Nachdem wir nicht alle kennen, können wir das nur glauben – was wir aber gerne tun.
Maria und Johann Jahnas