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WIEN/ Staatsoper. DANTONS TOD von Gottfried von Einem

Was ist aus unserer Revolution geworden

23.05.2019 | KRITIKEN, Oper


Tomasz Konieczny, Benjamin Bruns, Michael Laurenz. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Dantons Tod von Gottfried von Einem. 7. Aufführung in dieser Inszenierung am 22.5.2019

Was ist aus unserer Revolution geworden

Es ist kein Zufall, sondern das Ergebnis kluger Programmierung, wenn nun – wie schon im Vorjahr – gleich zwei „Revolutionsopern“ alternierend auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper stehen. Nach Andrea Chenier von Umberto Giordano jetzt also Gottfried von Einems Oper Dantons Tod. Das Werk, mit dessen Uraufführung 1947 im Rahmen der Salzburger Festspiele dem 29-jährigen Komponisten auf Anhieb der internationale Durchbruch gelang, spielt ebenso wie Giordanos dem Verismo zugerechnete Oper, in der Zeit der „Schreckensherrschaft“ der Französischen Revolution. In beiden Fällen enden die titelgebenden Helden auf der Guillotine.

Besetzungsmäßig präsentiert sich die nunmehrige Aufführungsserie der Einem-Oper – im Vergleich zur Premiere vor gut einem Jahr – stark erneuert. Da ist zunächst einmal der musikalische Leiter Michael Boder, ein kundiger und leidenschaftlicher Sachwalter moderner Musikdramen, der kürzlich erst Manfred Trojahns Orest an der Staatsoper mit Erfolg musikalisch betreut hat. Die großen Massenszenen, in denen es die Sängerinnen und Sänger im Wettstreit mit den gegeneinander anschreienden Chören nicht gerade leicht haben, vermag er um einiges transparenter zu gestalten und so die Solisten vernehmbarer zu machen, als dies Susanna Mälkki, seiner Vorgängerin am Dirigentenpult, gelungen ist. Das kommt vor allem Clemens Unterreiner zugute, der als Chefankläger Herrmann in der Premiere überdies auch noch vom Orchester ziemlich zugedeckt worden war und diesmal einen souveränen Eindruck hinterlässt. Eine Steigerung ist auch bei der Textverständlichkeit der Chorpassagen (Chorleitung Martin Schebesta) feststellbar. Michael Boder, der im Vorjahr am Theater an der Wien als Dirigent von Der Besuch der alten Dame sein Gespür für die rhythmisierende und amalgamierende Musiksprache des Musikdramatikers Einem unter Beweis gestellt hat, bringt die aufwühlende, aufpeitschende Partitur zum Leuchten und kontrastiert sie effektvoll mit den wenigen lyrischen und daher besonders anrührenden Passagen der Innerlichkeit und Reflexion. Großes Augenmerk widmet er auch den feinen Zwischenspielen, in denen besonders der Soloflötist Staatsopernorchesters, Karl Heinz Schütz, großen Eindruck hinterlässt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tomasz Konieczny. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Gespannt sein durfte man auf Tomasz Koniecny. Sein Rollendebüt in der Titelpartie ist durchaus gelungen und zeigt Danton als widersprüchliche Figur: Energisch und selbstbewusst, aber auch depressiv und melancholisch – und schließlich in Resignation und Lebens- und Revolutionsüberdruss mündend. Stimmlich und darstellerisch wie gewohnt eine Wucht. Aber ganz wohl scheint er sich der eben erst an der MET als Alberich gefeierte Bassbariton in dieser Partie doch nicht zu fühlen. Die eigenartige Färbung der Vokale, an die man sich bei der Kunstsprache der Wagner-Opern schon gewöhnt hat, macht im Falle der Büchnerschen Sprache wieder stärker auf sich aufmerksam, stört aber weiter nicht und ist inzwischen wohl längst zu einem Markenzeichen geworden – wie einst schon beim großen Leo Slezak. Dantons düsterer Gegenspieler ist Robespierre. Thomas Ebenstein gibt, wie schon in der Premiere, den fundamentalistischen, freudlosen Oberpriester der Revolution mit unterkühlter, geradezu eisiger Aura. Ein bürokratisch-penibler Verwalter des Grauens.

Neu sind Dantons Mitstreiter. Als Camille Desmoulins, der verzweifelt den Verrat der Ideale der Revolution beklagt und seinem Tod weit weniger gelassen entgegensieht als sein verehrter Freund, weiß Benjamin Bruns zu überzeugen. Er hat keinerlei Probleme mit den Spitzentönen und agiert intensiv in den Interaktionen mit seiner Frau und seinen Gefährten. Rollendebütant Michael Laurenz hat sich – nach der Partie des Josef K. in den konzertanten Aufführungen der Oper Der Prozess im Rahmen der Salzburger Festspiele sowie im Konzerthaus im Vorjahr – mit Hérault de Séchelles eine weitere Einem-Figur angeeignet und mit seiner Prägung versehen. Eine beachtliche Leistung des jungen Ensemblemitglieds. Das gilt auch für das Rollendebüt Peter Kellners als politischer Hitzkopf Saint-Just. Wolfgang Bankl als Simon ist – wie immer – darstellerisch und sängerisch eine sichere Bank, pardon: Besetzung. Und Wolfram Derntl und Marcus Pelz sorgen als Henker für Gänsehaut, wenn sie – als Henker nach einem langen Arbeitstag – fröhlich beschwingt nach Hause wanken und den Mondschein besingen.

Es fehlen noch die nicht nur dramaturgisch wichtigen Frauen in dieser von Männern dominierten Revolutionsgesellschaft. Szilvia Vörös ist eine gut rollendeckende Julie, Olga Beszmertna aber ist als verletzliche Lucille die stärkste Gestalt auf der Bühne. Wie sie – vom Schicksal gebeutelt – in den Wahnsinn kippt und am Ende, den Kopf ihres Mannes Camille, in ein Tuch gewickelt, in der Hand, das Lied vom Schnitter Tod singt und schließlich, allein und verlassen auf der weiten Bühne stehend, realitätsverloren „Es lebe der König“ ruft, verfehlt seine Wirkung nicht und berührt ungemein.

In Cannes, so ist in einer Tageszeitung nachzulesen, wurde jüngst der neueste Film von Hollywood-Regiestar Quentin Tarantino als „meist erwartetes Ereignis“ des Festivals mit „sieben Minuten“ Beifall bedacht. Damit kann Einems Dantons Tod, auch in der zweiten Runde, überraschend gut mithalten. Ob sich die anlässlich seines 100. Geburtstags 2018 ereignete „Wiederentdeckung“ des „Componisten“, wie er sich selbst zu bezeichnen pflegte, tatsächlich als langfristig und nachhaltig erweist, wird sich allerdings erst zeigen. Warum aber eigentlich nicht!

Manfred A. Schmid

 

 

 

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