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WIEN / Staatsoper: DANTONS TOD

24.03.2018 | KRITIKEN, Oper


Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
DANTONS TOD von Gottfried von Einem
Premiere: 24. März 2018

Als naiver Opernfreund hätte man sich die Situation so vorgestellt: Der junge Gottfried von Einem erhält 1943, da ist er gerade einmal 25 Jahre alt (!), einen Opernauftrag. Da hätte er doch denken können, auf Alban Bergs Spuren ist gut wandeln, wenn dieser Georg Büchners „Woyzeck“ vertont hat, wäre es doch sinnvoll, ein anderes Werk dieses großen Dramatikers zu wählen… aber nein, wie Einem selbst berichtet: „Es war wirklich zunächst purer Zufall, dass (Boris) Blacher den Band mit Büchners Dramen hervorzog…“

Leicht hatten es sich Lehrer, der stark am Libretto mitwirkte, und Schüler mit „Dantons Tod“ nicht gemacht. Die dramaturgischen Schwierigkeiten waren ungemein größer als beim „Wozzeck“ – sowohl im Personenreichtum wie in der Komplexität der Handlung und letztendlich der politisch-philosophischen-psychologischen Aussage. Das Zusammenschmelzen auf eineinhalb Stunden Spieldauer (wenn man, wie jetzt in Wien, auf die Pause verzichtet), konzentriert sich auf vier Hauptfiguren – Danton, Camille, Lucile und Robespierre. Wesentlich der Anteil des wankelmütigen Volkes (sprich: der Chor), im übrigen eine schrittweise klar voranschreitende Handlung.

Von der man allerdings akustisch wenig versteht. Es gibt nur einige wenige „solistische“ Szenen (vor allem für Robespierre, für Lucile), in denen Einem das Orchester so schlank führt, dass man den Text verstehen kann, hie und da schallt auch eine wichtige Aussage deutlich in den Raum, im übrigens versinkt der Gesang im Reichtum und auch der Lautstärke der Orchestersprache (hier kann man keinen Dirigenten beschuldigen, „zu laut“ zu sein, leiser geht es nicht). Das heißt, dass vieles nicht als klare Aussage, sondern von der Stimmung her zu begreifen ist.

Hier ist dann wiederum die Regie gefragt, wobei Josef Ernst Köpplinger und sein Bühnenbildner Rainer Sinell (historisierende Kostüme: Alfred Mayerhofer) auf die gar nicht einfache Lösung einer Einheits-Simultan-Bühne zurückgegriffen haben, eine Art Riesenschuppen mit transparenten Wänden und einigen optischen Möglichkeiten (auch durch das Licht). Nun hat Einem nicht weniger als sieben verschiedene Schauplätze vorgegeben und für die Umbaupausen Orchesterzwischenspiele geschrieben (die zu den eindrucksvollsten Stellen der Oper zählen). Wenn kein Vorhang fällt und der Umbau darin bestehen muss, die mit den „Resten“ einer Revolution (umgefallene Kutsche, Riesenbett, diverse Tische und Stühle) vollgemüllte Bühne jedesmal umzuräumen, ist das eine schwierige Aufgabe – aber genau das kann Regisseur Josef Köpplinger besonders gut. Und er „kann“ auch mit dem Chor, den er immer wieder herausfordernd an die Rampe stellt, hat er ihn doch gewissermaßen zum Hauptdarsteller erkoren.

Nun hat ein Einheitsbühnenbild auch Nachteile. Ein Tribunal ohne Anklagebank, ein Gefängnis, das nicht als solches erkennbar ist, ein Weg zum Schafott, bei dem die Delinquenten quasi in der Masse verschwinden, statt eindrucksvoll zum Tod zu schreiten… das sind Entscheidungen, die man trifft. Auch das andauernde Verschmelzen von Einzelperson und Masse ist in dieser Inszenierung offenbar Konzept.

Erklärungsbedürftig bleibt das Ende: Wenn Lucile da ihr „Es lebe der König“ ruft, wäre es vorgesehen, dass sie von Schergen abgeführt wird. In den Tod. Köpplinger allerdings gewährt ihr eine Art Erlösung – das Bühnenbild stürzt nicht ein, wie man es eher erwarten könnte, es hebt sich, Licht flutet herein. Ja, auch der Tod bedeutet Erlösung aus dem Gefängnis Leben. So ist es eigentlich schöner.

Köpplinger inszeniert auch Schauspiel, Sänger haben für ihn zu gestalten, und man spürt die Arbeit. Noch nie hat man etwa Olga Bezsmertna darstellerisch so überzeugend gesehen wie als Lucile, deren Liebe und Ängste, letztendlich aber vor allem ihr Wahnsinn wunderbar ausgeformt sind (abgesehen davon, dass sie die Rolle sehr schön singt). Sie ist auch die einzige Dame des Abends, die wirklich in den Fokus rückt. Alexandra Yangel, Ildikó Raimondi und Lydia Rathkolb bleiben am Rande.

Wolfgang Koch ist ein großer, schwerer Mann mit kraftvollem Bariton, der dennoch die innere Müdigkeit dieses Danton bestens zum Ausdruck bringt: Sein Aufbegehren vor dem Tribunal ist von Wut getragen, den Weg in den Tod geht er enttäuscht von der Menschheit und nahezu achselzuckend.

Die schönste, lyrischste, auch philosophischste Männerrolle ist der (von Danton immer wieder als „mein Junge“ angesprochene) Camille Desmoulins, den Herbert Lippert verhalten spielt, stimmlich manchmal leicht überfordert wirkend. Hérault de Séchelles ist als Rolle kleiner, als Figur lockerer, und Jörg Schneider macht das bestens, bis ihn am Ende auch kurz das Entsetzen vor dem Tod packt.

Einen vollkommenen Auftritt hat Thomas Ebenstein als Robespierre, der steif-verkrampfte Tugendapostel, in seiner Rede an das Volk, dem Gespräch mit Danton, dem er nicht gewachsen ist, der Möglichkeit zum Töten, die ihm St. Just bietet – da läuft in relativ kurzer Zeit bei schneidenden Tönen, die ideal zur Figur passen, eine ganze Charakterstudie ab.

Wolfgang Bankl als Henker Simon manipuliert das Volk souverän, den Ankläger von Clemens Unterreiner hätte man sich eine Spur nachdrücklicher erwartet, der St. Just des Ayk Martirossian verbreitete schon durch seine Miene Angst und Schrecken. Diese empfand Wolfram Igor Derntl überzeugend, als er vom Volk willkürlich ausgewählt wurde und aufgehängt werden sollte, aber gerade noch entkommen konnte. Er war dann auch der erste Henker mit dem berüchtigt schönen „Lied“, das er singt, als er von blutigem Massenmord kommt und die Leichen plündert, Marcus Pelz ging das Henkerhandwerk diskreter an.

Dass der Staatsopernchor (Leitung: Martin Schebesta) mit seiner „Hauptrolle“ nicht überfordert war, versteht sich. Köpplinger hatte (gerade für das eine oder andere Zwischenspiel) auch eine Choreographin für rhythmisch-stilisierte Aktion herangezogen (Ricarda Regina Ludigkeit). Diese blutige, tragische, unter die Haut gehende Revolutionsoper ist ja nicht realistisch. Sie ist ein Gleichnis. Eingebettet in einen vielfältig gewebten Musikteppich, den Dirigentin Susanna Mälkki in allen Farben und Stimmungen zum Leuchten brachte.

Der Beifall war stürmisch und lang anhaltend für alle Beteiligten – den Regisseur hätte man ohne sein „Kapperl“ beim Verbeugen fast nicht erkannt.

Fazit: Es lohnt sich, tot zu sein und Hundert zu werden, wenn Produktionen wie die „Alte Dame“ und „Danton“ dermaßen die Lebendigkeit und Wirksamkeit des Werks bestätigen.

Renate Wagner

 

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