WIENER STAATSOPER: CARMEN – 23.5.2013
Spätestens nachdem ich eine Aufnahme ihrer Londoner „Carmen“ gehört hatte, wußte ich, daß Elina Garancas Interpretation der Rolle in Wien auf geteilte Meinung stoßen wird. Denn das Wiener Publikum ist in nicht geringem Maße ein – wie man umgangssprachlich sagt –„Gewohnheitstier“, daß sich nur schwer auf neue Hörgewohnheiten umstellt – und das muß man bei Garanca, denn sie singt die Partie „französisch“, wobei hier der Stil der Opera comique, als die das Werk ja auch im Programmzettel bezeichnet ist, gemeint ist. In Wien war und ist man – mit wenigen Ausnahmen – die schweren italienischen Mezzos gewöhnt, die uns – ohne Frage – große Interpretationen dieser Rolle geliefert haben. Wenn man aber bereit ist, den Intentionen der Garanca zu folgen, dann erlebt man einen wunderbaren Opernabend. Stimmlich bereitet ihr die Rolle (fast) keine Probleme. Ihr wunderbarer Mezzo ist in der Höhe und der Mittellage nach der Babypause noch fülliger geworden und klingt stellenweise ungemein betörend. Höhepunkte waren für mich das sehr virtuos vorgetragene „Chansone boheme“ am Beginn des 2. Aktes und die sehr introvertiert und mit vielen dunklen Farben ausgestattete Kartenszene. Probleme bereiten ihr jedoch – und das sei natürlich nicht verschwiegen – die extremen Tiefen, wo die Stimme plötzlich nicht mehr wirklich klingt – aber das ist letztlich meckern auf hohem Niveau. Was ihre Darstellung betrifft, so muß ich Kollegin Wagner recht geben, das man schon merkt, daß sie offenbar bislang immer in bereits bestehende Produktionen eingestiegen ist und die Rolle nie wirklich mit einem Regisseur oder zumindest guten Regieassistenten erarbeitet hat. Trotzdem erkenne ich – und hier unterscheiden wir uns wieder – viele neue Facetten in ihrer Rollengestaltung. Sie ist nicht die tempramentvolle glutäugige Spanierin, die über die Bühne fegt sondern bei ihr ist alles kühles Kalkül, und da passen dann durchaus auch die blonden Haare. Sie spielt mit den Männern und wenn sie beginnt, sich für einen zu interessieren, dann nur als Mittel zum Zweck. Daß sie überhaupt auf José aufmerksam wird, liegt daran, daß er sich anscheinend nicht für sie interessiert um ihn in der Folge sofort zu „benützen“, um nicht ins Gefängnis zu müssen. Im 2.Akt löst sie dann nur ihr in der „Seguidilla“ gemachtes Versprechen ein und nützt die Situation um José für die Schmuggler zu gewinnen. Sie tut immer nur genau soviel, um das zu erreichen, was sie will. Bereits am Anfang weiß man, daß ihr José bald gleichgültig sein wird. Anders ist es bei Escamillo. Hier sind ganz offensichtlich wirklich Gefühle im Spiel und er wäre der Mann, zu dem sie eine echte Beziehung aufbauen würde und das entspricht auch ganz dem Text in der kurzen Szene mit ihm im 4. Akt. Das mancherseits kritisierte Richten des Gewandes – oder ist es doch ein Streicheln der Wange – ist ein durchaus berührender Moment. Sie weiß aber auch, daß sie die letzte Aussprache mit José führen muß um unter ihr bisheriges Leben einen Schlußstrich zu ziehen und sie geht in dieses Gespräch mit der gleichen Kühle und Emotionslosigkeit, wie sie früher gehandelt hat. Sie glaubt bis zum Schluß, heil aus der Situation herauszukommen. Typisch für ihre Gestaltung ist, daß sie den Ring nicht voll Zorn wegwirft oder ihn – wie die Baltsa – José ins Gesicht spuckt, sondern ihn einfach belanglos fallen läßt, genauso wie sie im 1. Akt die Rose, nach der José greift, fallengelassen hat.
Eine große Überraschung war für mich an diesem Abend Roberto Alagna als José. Ich hege zwar gegen ihn nicht die alttestamentarische Ablehnung mancher Forumsteilnehmer, gebe aber zu, daß meine Begeisterung für ihn bislang endenwollend war, obwohl er mir im französischen Fach immer lieber war als im italienischen. Vor allen Dingen im 1. Und 2. bemühte auch er sich „französisch“, d.h. voll auf Linie zu singen, ohne großen Druck auf die Stimme auszuüben. Sehr schön gestaltet und gut aufgebaut war die Blumenarie.
Im besonders heiklen Finale des 3. Aktes und in der Schlußszene wurede er dann doch wieder dramatischer, ohne jedoch den guten Gesamteindruck zu trüben.
Einen wunderbaren Abend hatte auch Anita Hartig als Micaela. Sie sang ungemein berührend und krönte ihre Leistung mit einer zu Recht heftig akklamierten Arie im 3.Akt. Massimo Cavalletti, Einspringer als Escamillo teilte das Schicksal vieler Fachkollegen – auch der Größten – in dieser Rolle. Wie fast allen echten Baritonen liegt ihm die Partie zu tief, genauso wie sie den Bässen, die sich an ihr versuchen meist zu hoch ist. Mir fallen aus den letzten Jahrzehnten eigentlich nur drei Sänger ein, die keine Probleme hatten: George London, Robert Merrill und Samuel Ramey – wobei ich die beiden ersten leider nur von Aufnahmen kenne.
Das Schmugglerquartett war mit Ileana Tonca (Frasquita), Juliette Mars (Mercedes), Dimitrios Flemotomos (Remendado) und Tae-Joong Yang (Dancairo) ordentlich und die Soldaten mit Janusz Monarcha (Zuniga) und Nikolay Borchev (Morales) unauffällig besetzt.
Die zweite große Überraschung war für mich der Dirigent Bertrand de Billy. Ich stand ihm bisher eigentlich immer etwas reserviert gegenüber, diesmal konnte er mich jedoch überzeugen. Die Musik hatte Esprit, die Tempi waren – sieht man vom extrem schnell genommenen ersten Vorspiel einmal ab – in Ordnung und sängerfreundlich. Besonders schön gelang das Vorspiel zum 3. Akt, wo die Philharmoniker wieder einmal bewiesen, daß sie eines eder besten Orchester der Welt sind, auch wenn das manche immer wieder in Abrede stellen.
Es war ein schöner Abend, auch wenn die Schlußszene nicht so „fetzig“ ausfiel, wie wir sie kennen (und lieben). Aber das Publikum hat es letztlich verstanden. Wollte während der Vorstellung der Funke noch nicht so recht überspringen, so gab es am Ende doch großen Jubel an dem sogar der Escamillo etwas mitnadschen durfte.
Heinrich Schramm-Schiessl