Wiener Staatsoper: CARMEN am 27.2.2012
Ein voller Stehplatz, entzücktes „Ooh“ und „Aah“ wenn der Vorhang aufgeht und erfreute Gesichter allerorten – wieder einmal war eine Carmen-Serie angesetzt, dieses inszenatorische Meisterwerk des Franco Zeffirelli, das mit seiner naturalistischen Ästhetik schon seit Jahrzehnten Generationen von Opernbesuchern erfreut. Im Rahmen der Fernsehübertragung vor ein paar Jahren wurde das Bühnenbild entstaubt und es wurden wieder mehr Statisten in die Produktion aufgenommen. Dies wirkt auch jetzt noch und es war einfach ein Fest für das Auge! Was im Vergleich mit einer anderen „klassischen“ Produktion, dem Andrea Chenier, ins Auge stach war, dass auch Statisten und Chor eigene Geschichten zu spielen hatten und nicht mehr oder weniger unbeteiligt herumstanden. Es war die 144. Aufführung der Inszenierung und ich wünsche mir noch viele weitere!
Eine Eigenschaft eines Repertoirehauses ist die, dass gastierende Sänger einen gewissen Freiraum haben, was die Ausgestaltung ihrer Rolle betrifft – solange diese das Gesamtkonzept (oder die Reste dessen) nicht stören. Dies ist um so interessanter, als dass die Figur der Carmen verschieden ausgelegt werden kann.
Dies bringt mich zu Elena Maximova, die sich in dieser Rolle erstmals dem Publikum der Staatsoper vorstellt. Gleich das Resümee zuerst – sie war die beste Carmen, die ich seit ein paar Jahren gehört habe. Sie hat natürlich noch viel Potential, an der Rolle noch mehr zu feilen, doch gefiel mir ihr Rollenporträt ausgesprochen gut. Man sah keinen männermordenden Vamp, der mit billig zur Schau gestellter Erotik den Männern den Kopf verdreht, sondern eine junge Frau, die im 1.Akt ihre Reize spielerisch einsetzt, im 2.Akt Don José zum Desertieren bringt – mehr aus einer Laune denn aus Berechnung heraus -, im dritten Akt für mich schon reifer wirkt und merkt, dass der „Bub“ José in keiner Weise mit dem „Mann“ Escamillo konkurrieren kann und sich deshalb von ihm abwendet. Nicht aus Übermut oder Boshaftigkeit, sie merkt aber, dass die Beziehung mit José keine Zukunft hat, da er einfach zu instabil ist und zieht entsprechende Konsequenzen. Im Schlussbild verhöhnt sie José nicht – so, wie es viele Rollenvorgängerinnen machten -, sondern sie teilt ihm ihren Entschluss, nicht zu ihm zurückzukehren, fast entschuldigend vor – „Tut mir leid, ich habe es versucht, bin in mich gegangen, bin aber drauf gekommen, dass das mit uns nichts mehr wird…“ Gesanglich hätte ich mir etwas mehr „Breite“ in der Stimme gewünscht. Was sehr erfreulich war, ist die Tatsache, dass ihre Stimme sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe anspricht und immer hörbar war. Persönlich mag ich ein etwas dunkleres Timbre mehr, doch in Verbindung mit der etwas mädchenhafteren Auslegung der Rolle passte der etwas hellere Klang zum Gesamteindruck.
„Seperates the men from the boys“ – ich weiß nicht mehr genau, für welche Marke dieser Werbeslogan erfunden wurde, doch erinnerte mich der gestrige Abend daran. Grund dafür war die Besetzung der beiden männlichen Hauptrollen.
Beginnen wir mit der Rückkehr des Carlos Álvarez, der nach einigen Jahren und immer wieder verschobenen Comebackversuchen wieder auf der Bühne der Staatsoper stand. Seitdem man ihn das letzte Mal in Wien gesehen hat, ist seine Haarpracht um einige Zentimeter kürzer geworden – diese Zentimeter fand man dann beim Körperumfang wieder. Seine Stimme erklang nicht so laut wie früher – vielleicht testet er sein Volumen noch aus und war daher vorsichtig, doch konnte er mit guter Technik punkten. Dieser Escamillo wirkte ausgesprochen männlich – ein gestandener Mann, der auf Frauen ausgesprochen attraktiv wirkt.
Als sein Rivale fand sich Thiago Arancam wider – ein weiterer Sänger, der zum ersten Mal an der Staatsoper singt. Groß, schlank, etwas schlaksig wirkte er extrem jugendlich und war so ein richtig guter Gegensatz zu Álvarez. Von Beginn bis zum Schluss sahen wir einen jungen Buben auf der Bühne, einer, der sich im Vergleich zu Carmen nicht weiterentwickelt hat und fast schon als Trotz seine Geliebte umbringt. Von der Galerie aus gesehen wirkte er auf mich wie eine Mischung aus Christoph Schlingensief und Joseph Fiennes (in der Rolle des William S. aus „Shakespeare in Love“). Wenn man seine Biografie liest, sieht man, dass der junge Tenor schon einige Spinto-Rollen in seinem Repertoire hat. Nun, wenn das tatsächlich der Fall ist, so befürchte ich schon jetzt ein Schicksal a la Rolando Villazon. Die Stimme, baritonal gefärbt, ist recht eng geführt, er singt mit relativ viel Kraft. Die Höhen sind alle da, doch er musst das eine oder andere Mal sich diesen erst annähern – in Wien sagt man dazu, dass er sich „zuwe terzelt“.
Den größten Publikumszuspruch erhielt aber die Lettin Maija Kovalevska als Micaela. Auch da gibt es kleine Einschränkungen – als Tatjana war sie noch überzeugender, da man sich in dieser Rolle eine etwas weniger selbstbewusste Frau vorstellt, eine, die mehr „Süße“ in der Stimme hat. Das beste Beispiel dafür war in letzter Zeit sicherlich Genia Kühmeier, die das Mädchenhafte der Rolle auch stimmlich perfekt umsetzte. Von der Erscheinung, dem Stimmvolumen und der Technik her war aber nichts auszusetzen und es bleibt zu hoffen, sie auch in Zukunft oft in Wien zu hören.
Clemens Unterreiner machte das, was man von ihm gewohnt ist und beinahe schon erwartet – durch seine Präsenz auch mittlere und kleine Rollen aufzuwerten. Er war ein sehr zackiger Morales und bewies wieder einmal, dass in ihm Potential für größere Rollen steckt. Bei seiner Matinee im März wird er unter anderem auch die Escamillo-Arie singen – man kann wirklich gespannt sein, wie ihm diese gelingen wird.
Die Schmuggler wurden von Hans-Peter Kammerer (Dancairo – sehr gut gespielt und auch sonst eine seiner besseren Rollen), Ho-yoon Chung als Remendado, der genau so wie Juliette Mars als Mercedes hinter den Erwartungen zurückblieb, und Ileana Tonca (Frasquita) gegeben. Insgesamt blieben die vier Sänger aber ein wenig farblos.
Janusz Monarcha war ein überzeugender Zuniga, der auch respekteinflößend war, während Csaba Markovits als Lillas Pastia unauffällig blieb.
Der Chor unter der Leitung von Thomas Lang machte seine Sache sehr gut und auch die Tanzsolisten (Una Zobovic, Oleksandr Maslyannikow,Vladimir Snizek) trugen zu einem sehr stimmigen 2.Akt bei.
An diesem Abend galt meine Aufmerksamkeit besonders dem Geschehen auf der Bühne, sodass nur zu berichten war, dass Yves Abel das Staatsopernorchester beschwingt dirigierte, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen. Die Hörner waren manchmal nicht ganz perfekt, doch der „Gesamtsound“ dieses Orchesters entschädigt für vieles.
Es war eine gute, stimmungsvolle Repertoirevorstellung, die vor allem vom Bühnenbild und der tollen Musik gelebt hat. Die Hauptdarsteller waren in Ordnung, ohne allerdings außergewöhnliche Leistungen zu erbringen. Aber wie so oft mussten sie gegen die „Geister der Vergangenheit“ antreten – und das ist ein fast aussichtsloser Kampf, denn die Erinnerung verklärt vieles.
Kurt Vlach