Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Staatsoper: AUS EINEM TOTENHAUS

28.12.2011 | KRITIKEN, Oper

Wiener Staatsoper: AUS EINEM TOTENHAUS  am  27.12.2011

 Es hat schon lange keine Neuproduktion mehr gegeben, die mich nach Ende der Vorstellung so lange noch beschäftigt und so lange nachgewirkt hat wie das „Totenhaus“ in der Regie von Peter Konwitschny. Da der Regisseur während der Vorbereitung nicht zugegen sein konnte, übernahm Alexander Edtbauer die szenische Einstudierung. Dies  hätte bei einer „richtigen“ Premiere zu großen Problemen führen können, allerdings handelte es sich ja um eine Co-Produktion mit dem Opernhaus Zürich und somit wurde kein szenisches Neuland betreten.

Der Eindruck, den der sehr kurze Opernabend (90 Minuten ohne Pause) hinterlässt, ist sehr zwiespältig. Die musikalische Seite lässt keine Wünsche übrig. Es ist Franz Welser-Möst ein Anliegen, dem Wiener Publikum die Werke des Leos Janácek näher zu bringen – eine Tatsache, für die man ihn gar nicht genug loben kann, da der tschechische Komponist fähig war, beeindruckende Melodien und Klangfarben zu zaubern. Im Staatsopernorchester hat Welser-Möst „Mittäter“ gefunden, die dem musikalischen Chef des Hauses gerne folgen, was man besonders beim Vorspiel und während des musikalischen Intermezzos / der Don Juan – Parodie hören konnte.

 Konwitschny versuchte wieder einmal Ort und Zeit der Handlung zu verlegen – und er ist auf hohem Niveau dabei gescheitert. Ich habe das Programmheft nicht gelesen, um möglichst unvoreingenommen die Geschehnisse auf der Bühne schildern zu können. Diese selbst ergeben in sich eine absolut stimmige Handlung, die sich sogar noch zumeist dem Libretto entlang hantelt, doch geht man aus der Vorstellung mit der Erkenntnis raus, dass man zwar das „Totenhaus“ gehört, aber nicht gesehen hat (zumindest nicht so, wie es einst von Dostojewski und Janacek angedacht war).

Man sollte es tunlichst vermeiden, verschiedene Produktionen miteinander zu vergleichen, aber in diesem Fall ist es geradezu notwendig. Vor einigen Jahren wurde das selten gespielte Werk im Theater an der Wien gezeigt – unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez und in der Inszenierung von Patrice Chereau. Eine phantastische, aufwühlende Produktion, die Rezeptionsgeschichte geschrieben hat. Leider hat man sich nicht entschieden, diese Produktion ans Haus am Ring zu holen (und wahrscheinlich war es auch nicht möglich), daher griff man auf Konwitschny zurück. Er, der Altmeister der Verstörung, zeigte aber auch, dass er immer wieder die gleichen „Gags“ einbringt und ihm nicht wirklich mehr was Neues einfällt.

Ein wirklich ärgerlicher (und für das Haus sehr teurer) Gag ist das junge Paar, das nach einigen Minuten in gespielter Empörung seine Sitzplätze im Parkett verlässt und nicht wieder zurückkehrt. Alleine in der ersten Serie entgehen der Staatsoper dadurch Einnahmen aus Kartenverkäufen in der Höhe von fast EUR 1.500,-! Na vielleicht wurde die Gage des Regisseurs um diesen Betrag gekürzt, anderenfalls wäre es vom kaufmännischen Standpunkt aus nicht zu vertreten – da diese Einlage einerseits im Libretto nirgends zu finden und absolut unnötig ist. Vor 30 Jahren hätte sich das Publikum frei nach Thomas Bernhard wahrscheinlich eine „Erregung gestattet“, doch jetzt nimmt man so was mit Schulterzucken zur Kenntnis und ärgert sich höchstens, dass der Ablauf der Oper gestört wird. Nicht mehr als Gags sind auch die Kurzauftritte von Sängern, die aus Logen singen, pseudo-empörte Rufe aus dem Hintergrund („Er lügt!“) und dann noch die Ankündigung der Don Juan-Szene auf Deutsch.

Das waren absolut unnötige Einlagen, die man schon lange kennt (und wer ein Asterix-Leser ist, der weiß, dass schon im alten Rom Publikumsschmähungen und sonstige Auflockerungen im Theater verwendet wurden! 😉 ).

 Was ist nun zu sehen? Eine große Wohnung / ein großer Raum (Bühnenbild Johannes Leiacker), zu Beginn des Stückes regnet es draußen, gegen Ende schneit es leicht drinnen. Gut, statt in einem sibirischen Straflager zur Zeit des Zaren sind wir wahrscheinlich bei einer Party der „Diebe des Gesetzes“ im heutigen Russland gelandet. Sämtliche Anwesende dürften vorbestraft sein – allerdings haben sie ihre Strafe schon abgesessen und einige erzählen ihre Geschichte. Es gibt den Kommandanten, der von Alexandru Moisiuc glaubwürdig dargestellt wird.

 Und da unterbreche ich kurz, um meiner Verärgerung über die deutschen Untertitel Ausdruck zu verleihen (die englischen Untertitel habe ich nicht verfolgt) – es ist meiner Meinung nach eine Frechheit, was die Person bei der Übersetzung geleistet hat. Da werden Bezeichnungen beinhart umgeändert, damit sie dem, was auf der Bühne passiert, halbwegs einen Sinn geben. Ich kann mich nicht erinnern, dass im Originaltext eine „Patin“ vorkommt. Den „Kommandanten“ mit „Capo“ zu übersetzen, damit kann ich noch leben. Aber dann noch einen pseudo-modernen „Prolo-Neusprech“ mit ordinären Wörtern zu erfinden, die es so wirklich nicht gibt, geht meiner Meinung doch viel zu weit!

 Zurück zum Geschehen auf der Bühne. Man muss dem Regisseur zu Gute halten, dass er wirklich bemüht war, jedem einzelnen Darsteller eine Persönlichkeit zu geben, was ja gar nicht so leicht ist, da bis auf ein paar wenige Sänger jeder nur eine Art Stichwortgeber ist.

Im Original-Totenhaus wird eine geschlossene Männergesellschaft beschrieben, die sich in einem russischen Straflager herangebildet hat, das Konwitschny-Stück handelt von der Russen-Mafia, und das hat er gut umgesetzt. Lesern, die sich noch nicht mit dieser unehrenwerten Gesellschaft beschäftigt haben, sei zum besseren Verständnis der Inszenierung eine Dokumentation ans Herz gelegt, die man auf Youtube anschauen kann – http://www.youtube.com/watch?v=GX72evnav2c – es zahlt sich wirklich aus! In dieser Gesellschaft ist Alexander Gorjantschikow (Sorin Coliban) ein Außenseiter, der überhaupt nicht zu den anderen passt, da er kein Mörder ist, sondern als politischer Gefangener in Haft war. Während im Original die Ankunft und dann die Entlassung dieser Figur de facto der Rahmen ist, in dem die Geschichte spielt, wird in dieser Inszenierung Gorjantschikow zum Schluss erschossen. Na ja.

Schön rausgearbeitet, aber bezogen auf die zeitliche Veränderung ziemlich sinnentleert sind die Szenen, in denen der Obgenannte dem Aljeja (Gergely Németi) Lesen und Schreiben lehrt. Ihre Sekunden des Ruhmes haben im Laufe der 90 Minuten auch Carlos Osuna (Großer Sträfling), Hans Peter Kammerer (Kleiner Sträfling), Benedikt Kobel (Tscherewin), ein an den Ohren lang gezogener Michael Roider (Schapkin – seine Rolle ist etwas länger),  Tae-Joong Yang (Junger Sträfling), Jaroslav Pehal (Schmied), Michael Wilder (Koch), ein wie immer alles aus einer Rolle herausholender Clemens Unterreiner (Betrunkener Sträfling), Janusz Monarcha (Tschekunow), Franz Gruber und Florian Tomaschitz (1. und 2.Wache).

Der Phantasie jedes Regisseurs bleibt vorenthalten, wie die „Theatervorstellung“ dargestellt wird – und da kam mir in den Sinn, dass es für Regisseure doch sehr nett ist, dass man seine persönlichen Probleme auf der Bühne darstellen lassen kann, sich de facto selbst zu therapieren versucht – und noch dafür gut bezahlt bekommt! Markus Eiche (Don Juan), Peter Jelosits (Kedril) und Donna Ellen (Dirne) fanden sich in einer kleinen Orgie wieder (die – und das möchte ich betonen – allerdings perfekt zu dem Theaterstück von Konwitschny passte), ein bisserl Sado-Maso, ein bisserl angedeuteter Geschlechtsverkehr, ein bisserl Fellatio trug zur guten Laune der Mafia-Gesellschaft und zu einem verhaltenen Gähnen des Publikums bei. Ja, obwohl das Stück doch kurz ist, ertappte ich mich dabei, des Öfteren auf die Uhr zu sehen – das ist mir im Theater an der Wien nie passiert!

Herwig Pecoraro war ein sehr jugendlicher „ganz alter Sträfling“, der sich vor der Theaterstellung am Pole-Dancing versuchte. Leider verzichtete Konwitschny total darauf, zum Schluss der Oper das besungene Motiv des Adlers, des Symbols der Freiheit, szenisch umzusetzen. Was im Original doch wie ein letzter Hoffnungsschimmer besteht, wird hier auf der Bühne ignoriert, ein Erschossener in der Matrjoschka-Puppe sagt doch etwas komplett anderes aus….

 Drei Sträflinge / Diebe im Gesetz haben längere Monologe. Misha Didyk, den das Wiener Publikum schon in der Lady Macbeth of Mzensk kennengelernt hat, war ein etwas zu verhaltener Luka Kusmitsch, Herbert Lippert fühlte sich als Skuratow sicht- und hörbar wohl, was meinen Sitznachbarn beim Schlussapplaus enthusiasmierte. Sängerisches Highlight war aber der Auftritt des Christopher Maltman, der als Schischkow in Wien endlich sein Debüt gab. Ein volltönender Bariton, der auch mit der Sprache keine Probleme zu haben schien (dankenswerter Weise sind die Janácek-Neuproduktionen in der Originalsprache gehalten) und auch eine große Ausstrahlungskraft besitzt.

Trotz vieler Vorbehalte empfehle ich den Besuch dieser Produktion, besonders, wenn man die Originalgeschichte nicht kennt. Der Abend ist großartig musiziert, die Gesangsdarbietungen, auch die des Staatsopernchors unter der Leitung von Martin Schebesta, sind fehlerfrei und von hohem Niveau. Das zu dieser Musik auf der Bühne gezeigte und teilweise an Text des Totenhauses angelegte Stimmungsbild der Russland-Mafia ist auch überzeugend umgesetzt, ein paar alte Gags können einem schlussendlich das Ganze auch nicht madig machen.

 Kurt Vlach

 

 

Diese Seite drucken