WIEN/ Staatsoper: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Foto: DI. Dr. Andreas Haunold
Es hat über 80 Jahre gedauert bis dieses essentielle Stück von Kurt Weill und Bertolt Brecht seinen Weg von Leipzig an das Haus am Ring gefunden hat – und vielleicht war das auch gut so, weil dieses Stück in Zeiten wie diesen wirklich extrem wichtig ist und beweist, dass sich über die ganzen Jahrzehnte nichts, aber auch gar nichts, in Bezug auf die Einstellung der Menschen zu Geld und Vergnügen geändert hat. Und wenn man noch dazu einen Dirigenten wie Ingo Metzmacher verpflichten kann, der schon bei verschiedensten Gelegenheiten bewiesen hat, dass die Musik des 20.Jahrhunderts bei ihm sehr gut aufgehoben ist, kann ja aus musikalischer Hinsicht schon nichts mehr schief gehen. Das Orchester der Wiener Staatsoper war hörbar hoch motiviert – und es machte auch enormen Spaß, Instrumente zu bemerken, die man im „normalen“ Opernbetrieb nicht zu hören bekommt – seien es jetzt Saxophone, akustische Gitarren oder – meine Favoritin – die Slide-Guitar, die mit der „Bottleneck“- Technik gespielt wurde.
Die Musik von Kurt Weill lebt naturgemäß auch von ihrem Rhythmus – und auch da konnten die Philharmoniker überzeugen. Es macht einfach Spaß, wenn man eine Musik, die auch einige Element des Jazz beinhaltet, von diesem Orchester zu hören. Brecht/Weill sind für ihre „Songs“ bekannt – und der bekannteste dieses Stückes ist sicherlich „The Moon of Alabama“, der in der großartigen Version der Doors Ende der 60er-Jahre auch dem nicht-opern-affinen Musikliebhabern ein Begriff geworden ist. Vergleicht man aber diese Cover-Version mit der Originalinstrumentation muss man auch sagen, wie sehr Jim Morrison & Co. die Melodie vereinfacht und „gestreamlined“ haben! Extrem spannend sind ja auch die Zitate anderer Komponisten, die Weill verwendet – mir fällt dazu beispielsweise der Beginn der Walküre ein (gleich nach der Pause, wenn der „Hurrikan“ auf Mahagonny zukommt), dann gab es auch noch Anspielungen auf Parsifal (3.Aufzug).
Orchester und Dirigent waren erstklassig – und das gilt auch für die Sängerriege, die sich fast zur Gänze aus aktuellen und ehemaligen Ensemblemitgliedern zusammensetzt.
Überragend war Elisabeth Kulman, die eine junge Leokadja Begbick spielte. Normalerweise wird diese Rolle mit älteren Sängerinnen besetzt, doch störte das überhaupt nicht – im Gegenteil brachte die Tatsache, dass zwei junge, schöne Protagonistinnen für die beiden weiblichen Hauptfiguren ausgewählt wurden, mehr Spannung in das Stück. Nach meinem Empfinden ist die Jenny Hill – bei aller Härte, die sie dem Jim schlussendlich angedeihen lässt – die weichere Seele, während die Leokadja als treibende Kraft hinter dem „Projekt Mahagonny“ alle Fäden zieht und dafür sowohl Intellekt, Persönlichkeit als auch ihr gutes Aussehen einsetzt. Elisabeth Kulman beherrschte die Szenen, in denen sie auftrat und es war schlichtweg ein Hochgenuss, ihren wohl fundierten Mezzo zu hören.
Angelika Kirchschlager kehrte wieder einmal an die Staatsoper zurück. Wie man ja weiß, zieht sie sich langsam vom Opernbetrieb zurück und macht nur noch Projekte, die sie wirklich interessieren. Bekannter Weise liebt sie die Musik von Weill und bringt auch das Gefühl und eine gewisse (gewollte) Flapsigkeit mit, die diese Stücke doch auch verlangen. Schauspielerisch war an ihr nichts auszusetzen, leider hatte man das Gefühl, dass sie stimmlich nicht ganz die Leistung erbringen konnte, die man von ihr erwartete. Dies hatte beim Schlussapplaus auch zur Folge, dass die eine oder andere Missfallenskundgebung hörbar war (obwohl der positive Zuspruch durchaus überwiegte!). Man kann nun spekulieren, ob es wirklich optimal war die Generalprobe am Tag vor der Premiere anzusetzen (und am Tag vorher noch die Matinee etc.). Nach der Premiere ist es noch zu früh für ein endgültiges Urteil.
Es erwies sich als richtige Entscheidung, die „sechs Mädchen von Mahagonny“ nicht mit Mitgliedern des Chors, sondern mit Solistinnen zu besetzen. So kam das Publikum in den Genuss einer wahren Luxusbesetzung für diese Mini-Rollen. Ileana Tonca, Valentina Nafornita, Ildikó Raimondi, Juliette Mars, Monika Bohinec und Stephanie Houtzeel waren nicht nur hübsch anzusehen, sondern entledigten sich ihrer Aufgabe mit Bravour und rundeten auch von dieser Seite die musikalisch so gelungene Umsetzung des Stückes ab. Ich bin allerdings der Ansicht, dass man, was die individuelle Ausformung der Charaktere betrifft, etwas mehr in die Tiefe hätte gehen können. Aber vielleicht wird das bei folgenden Durchläufen (angeblich kommt „Mahagonny“ im September wieder) nachgeholt.
Auch die Herren der Schöpfung standen den Damen nicht nach. An diesem Abend hat es mir besonders Herwig Pecoraro angetan. Sein Timbre kann man mögen oder auch nicht – mir gefällt sein Charaktertenor sehr (nach wie vor bevorzuge ich ihn als Mime!) und ich würde den „Fatty“ als eine weitere Rolle bezeichnen, in denen er seine Stärken ausspielen kann! Das Publikum hat ihn auch entsprechend bejubelt! Mit was? Mit Recht !!!!
Tomasz Konieczny. Foto: Barbara Zeininger
Ebenfalls großen Zuspruch erhielt Christopher Ventris in der Rolle als Jim Mahoney. Es war eine richtige Entscheidung, dass die Direktion die Rollen in diesem Stück mit erprobten Wagner-Sängern besetzt hat. Auch Tomasz Konieczny als Dreieinigkeitsmoses wusste zu überzeugen, allerdings war sein Akzent unüberhörbar.
Ein Wiedersehen in der Sprechrolle des „Regisseur auf der Bühne“ gab es mit Heinz Zednik.
Il Hong war ein wortdeutlicher Alaskawolfjoe, Norbert Ernst als Jack O’Brien bewies, dass dieser Sänger für zukünftige größere Aufgaben am Haus bereit ist und Wolfram Igor Derntl hatte wieder einmal die Gelegenheit, in einer Solisten-Rolle zu reüssieren. Es war Clemens Unterreiner zu vergönnen, dass er eine etwas größere Rolle zugestanden bekam (Sparbüchsenbill) – und wie immer glänzte er nicht nur mit seinem technisch fundiertem Bariton und angenehmen Timbre, aber auch durch seine schauspielerischen Fähigkeiten. Der junge Wiener besitzt die Fähigkeit, wirklich aus jeder Nebenrolle für den Augenblick, in dem er auf der Bühne steht, das Maximum rauszuholen und alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Dies war an diesem Abend insofern sehr schwer, als dass der Regisseur Jeróme Deschamps das Stück in einer Art auf die Bühne brachte, die nach meiner Meinung das hundertprozentige Wohlwollen von Brecht/Weill erfahren hätte. Das „epische Theater“ eines Brecht verlangte nicht, dass man tiefenpsychologisch vorging und die Untiefen der Seelen der Figuren herausarbeitete. Jede einzelne Gestalt steht für eine Idee, das Publikum sollte nicht durch „Gefühlsduselei“ von der Aussage der „Lehrstücke“ abgelenkt werden. Und „Mahagonny“ ist nun einmal ein Lehrstück und hält dem Publikum – teils mit erhobenen Zeigefinger, was allerdings auch typisch ist – die Schrecken und Gefahren eines Turbokapitalismus vor die Augen. Es ist da eine Welt, in der einige wenige die Gier der Menschen nach Unterhaltung, Luxus und Befriedigung ausnützen und so – ohne selbst viel dazu beizutragen – von den niederen Trieben des Homo Sapiens profitieren. Es ist alles erlaubt, so lange man Geld hat – wenn dieses einmal weg ist, ist man geliefert. Es ist ein Lehrstück über die Gier und dass Naivität und falsch verstandene Solidarität zu einem furchtbaren Ende führen können.
Die in dieser Hinsicht für mein Empfinden wichtigste Szene ist die, als Mahoney aus Freundschaft sein ganzes Vermögen auf Alaskawolfjoe wettet, obwohl dieser kaum eine Chance hat, den Boxkampf gegen den Dreieinigkeitsmoses zu gewinnen. Sparbüchsenbill ist da viel „praktischer“ – er weiß genau, dass die Chancen für ihn besser stehen, wenn er gegen seinen Freund wettet. Nun, der Ausgang ist ja dann bekannt…
Wenn man diese Überlegungen einbezieht, kann man die teils sehr statische Personenregie nachvollziehen, ebenso die Tatsache, dass quasi direkt von der Bühne mit dem Publikum kommuniziert wird. Bei anderen Stücken wäre eine derartige Vorgehensweise nicht akzeptabel, aber in diesem Fall erachte ich dies im Sinne einer brechtschen Werktreue für unabdingbar.
Die Bühne ist kahl gehalten, im Hintergrund werden immer wieder Projektionen der Stadt in den verschiedenen Stadien gezeigt (Bühnenbild: Olivia Fercioni). Die Kostüme sind farbenprächtig und opulent gehalten, mit der Übertreibung, die dem Stück auch gut tut. Verantwortlich dafür ist die junge Italienerin Vanessa Sannino, die ihrerseits ein recht bunter Vogel ist (sie erschien beim Schlussvorhang in einem Kleidchen, das in den 80er Jahren Cindy Lauper zur Ehre gereicht hätte).
Alles in allem war es eine gelungen Premiere – sicherlich die bis dato erfolgreichste in dieser Spielzeit. Ich rechne es Direktor Meyer hoch an, dass er ein weiteres wichtiges Stück des 20. Jahrhunderts produzieren ließ und somit das Risiko eingegangen ist, das Stammpublikum aus der musikalischen Beschaulichkeit des 19.Jahrhunderts hervorzulocken. „Mahagonny“ ist ein Stück, das zum Mitdenken und Reflektieren anregt – man kann sich nicht durch ewig andauernde Melodienbögen a la Belcanto einlullen lassen.
Kurt Vlach